Kafkaesk und kalt: Puccinis TURANDOT an der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper Turandot Marco Armiliato Claus Guth Asmik Grigorian Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian in "Turandot" © Monika Rittershaus

Im nächsten Jahr gedenkt die Opernwelt des 100. Todestages des großen italienischen Opernkomponisten Giacomo Puccini, der viele Opernsängerinnen und -sänger nährt, weshalb die Wiener Staatsoper als dritte Premiere der laufenden Saison eine Neuproduktion seines Schwanengesanges „Turandot“ mit dem Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach dem gleichnamigen Theaterstück von Carlo Gozzi auf ihren Spielplan setzt, nur zwei Monate nach der Premiere der vorletzten Oper von Puccini, dessen „Il trittico“.

Seine Krankheit und der Tod verhinderten ja schließlich, dass Puccini das Schlussduett der „Turandot“ nicht mehr vollenden konnte, und wurde die Szene stattdessen von Franco Alfano nach geringfügigen Skizzen von Puccini weitgehend angelegt, wogegen der Dirigent der posthumen Uraufführung 1926, Arturo Toscanini, erhebliche Einwände äußerte und Alfano zu Kürzungen veranlasste; diese „Fassung“ ist heute am häufigsten zu hören. Die Wiener Staatsoper spielt das Stück nunmehr in Alfanos originaler, deutlich längerer Version, die einige stilistische Höhenflüge aufweist: In dieser Originalversion ist das Schmelzen der „eisumgürteten Prinzessin“ ein Prozess nach und nach, weshalb auch besser nachvollziehbar.

Ursprünglich sollte Spitzendirigent Franz Welser-Möst die aktuelle Premierenserie dirigieren, musste sich jedoch krankheitsbedingt einer Therapie unterziehen und wird erst nach dem Jahreswechsel wieder ans Dirigentenpult zurückkehren. An seiner Stelle konnte für die musikalische Leitung der Serie Marco Armiliato, der längst als einer der großen italienischen „Maestri“ in einer Reihe mit italienischen Spitzenkapellmeistern wie Tullio Serafin, Antonino Votto, Gianandrea Gavazzeni, Francesco Molinari-Pradelli, Giuseppe Patanè oder Nello Santi steht, gewonnen werden. Armiliato schätzt Alfanos Originalversion des Schlusses von „Turandot“ sehr, wie er im Vorfeld der Produktion bemerkt, und ist die späte Partitur Puccinis mit ihren unzähligen Fein- wie Schönheiten naturgemäß in guten Händen. Mit dem spielfreudigen, hervorragend in allen Instrumentengruppen aufgestellten Orchester der Wiener Staatsoper gelingt denn auch eine höchst dramatische, effektvolle, bisweilen jedoch lärmende Wiedergabe von Puccinis letzter Oper. Mitunter, in den ariosen Abschnitten der Liu, verfällt Armiliato, was ansonsten überhaupt nicht seine Art ist, gelegentlich ins Schleppen, eine durch und durch organische Gangart wird sich im Laufe der Serie, es stehen insgesamt sechs Aufführungen von „Turandot“ in der Adventzeit auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper, gewiss einstellen. Sehr gut präsentiert sich der Kinderchor der Opernschule der Wiener Staatsoper, einstudiert von Johannes Mertl. Und wenn er zu sehen war, ist auch vom Chor der Wiener Staatsoper differenziert prächtiger, schallender Chorgesang zu vernehmen gewesen – an der von Thomas Lang präparierten Formation ist es nicht gelegen, dass der Chor im zweiten und dritten Akt nicht wirklich zur Geltung kommt.

Das Haus am Ring steht an diesem Premierenabend im Fokus der internationalen Opernwelt, weil Asmik Grigorian ihre allererste Turandot überhaupt singt und Jonas Kaufmann sein weltweites szenisches Rollendebüt als Kalaf gibt. Frau Grigorian ringt sich die Partie, wofür eigentlich eine Isolden- oder Brünnhildenstimme zur Verfügung stehen müsste, förmlich ab, singt permanent unter Höchstdruck, muss ständig forcieren, die von Puccini bewusst komponierte Schärfe deutlich betonend, was der voll intakten Stimme derzeit noch nicht zu schaden scheint. Wenig differenziertes Dauerforte ist da über den ganzen Abend zu hören, ob sich die wunderbare Sängerin mit dieser Partie Gutes getan hat, sei dahingestellt. Trotz dieser stimmlichen Einwände, an die allergrößten Rollenporträts der chinesischen Prinzessin – um mit Birgit Nilsson, Maria Callas und Eva Marton nur einige wenige zu nennen – kommt sie nicht heran, da fehlt ihr einfach der feurige und eisige Stahl wie Strahl in der Stimme, beeindruckt sie mit ihrer gesanglich-darstellerischen Gestaltung einer Schlacht zwischen Liebe und Hass, der Charakterläuterung einer jungen Frau mittels psychologischer Problemverarbeitung, mit den ihr eigenen, immer wieder überzeugenden Mitteln. Mit Herrn Kaufmann verhält es sich ähnlich, der sich ungemein anstrengen muss, um seinen Tenor mit immer dunkler und dunkler werdendem, erdfarbenem Timbre an diesem Abend zum Glühen zu bringen. Das so wichtige Metall in der Stimme, bei Jussi Björling oder Franco Corelli von Natur aus vorhanden, muss er künstlich beimischen und dieser Kraftakt ist ihm anzuhören. Der Buhrufer am Schluss hätte sich seine Missfallenskundgebung dennoch sparen können – den Herausforderungen der Rolle, eine hohe Tessitura und dicke Orchestrierung, stellt er sich gekonnt, die Rätselszene gelingt mit lodernder Stimme und mit „Nessun dorma“ setzt er den erwarteten Höhepunkt. Es darf jedoch nicht verhehlt werden, dass beide, Frau Grigorian und Herr Kaufmann, mit diesen heiklen Partien Raubbau an ihren schönen, kostbaren Stimmen betreiben. Wie so oft bei „Turandot“ vermag die Sängerin der Liu das Publikum zu berühren, zu bewegen: Kristina Mkhitaryan gibt ein heftig akklamiertes Rollendebüt am Haus, ihr dunkel timbrierter Sopran flutet sehr schön und hat auch starke Durchschlagskraft. Hervorragend besetzt ist das Ministertrio mit Martin Hässler (Ping), Norbert Ernst (Pang) und Hiroshi Amako (Pong); der Mandarin von Attila Mokus könnte mit stärkerer Phonation daherkommen, Dan Paul Dumitrescu singt einen warmstimmigen Timur, als Altoum ist Jörg Schneider rollendeckend solide.

Seine letzte Inszenierung an der Wiener Staatsoper ( „Tannhäuser“ 2010, der im Hotel Orient, dem Schwindfoyer und am Steinhof angesiedelt war) geriet zum Eklat – und auch an diesem Premierenabend straft das Wiener Publikum den Regisseur Claus Guth, unterstützt von Etienne Pluss (Bühne), Ursula Kudrna (Kostüme), Olaf Freese (Licht), Sommer Ulrickson (Choreografie), Rocafilm – Roland Horvath (Video) sowie Konradin Kuhn und Nikolaus Stenitzer (Dramaturgie) gnadenlos für seine Demontage des auf Carlo Gozzi basierenden Märchenstückes ab, indem auf das Regieteam ein veritabler Buhorkan bei deren Erscheinen auf der Bühne hereinbricht. Der Regisseur ist bekannt, dass Treppen immer wieder eine zentrale Rolle in seinen Bühnenbildelementen spielen: Bei „Turandot“, wo eine solche unter Umständen gar obligat gewesen wäre, verzichtet er zur Gänze darauf und verfrachtet eine junge Frau als Prinzessin in ihr geschlossenes Schlafzimmer, wo sie, im Nachthemdchen auf ihrem Bettgestell kauert, mit ihren Puppen spielt. Von einem überdimensionierten Hofstaat ist nichts zu sehen, die Chormassen, eigentlich Handlungsträger in dieser Oper, sind im zweiten und dritten Akt überwiegend unsichtbar, singen hinter bzw. neben der Bühne, was akustisch höchst problematisch ist, weil der Chor derart nur sehr schwer zur Geltung kommt. Lediglich im ersten Akt ist der Chor vor die Spielfläche platziert, teilt aber während der gesamten Aufführung nicht die Bühne mit den Protagonisten. In einem kammerspielartigen, engen Raum – ist „Turandot“ nicht eine Volksoper mit Massenszenen, wo der Chor als Handlungsträger fungiert? – sind viele verschlossenen Türen: Das Ganze steht offenbar für die verwundete Seele Turandots, die traumatisiert in ihrem Gedankenkorsett eingeschlossen lebt, umgeben von einem nahezu kafkaesk grotesk anmutenden, von ameisenhaften Beamten dominierten Hofstaat. Ein Element des Bühnenbildes, die große Tür, vor der Kalaf Einlass begehrt, ist von Wien inspiriert, nämlich der Eingangstür zu den Praxisräumen von Sigmund Freud, des Begründers der Psychoanalyse: Prinz Kalaf soll also die Türen zu Turandots verschlossener Seele öffnen. Völlig unüblicherweise für Guth bleiben in dieser Regiearbeit Personenregie und Personenführung gewaltig auf der Strecke, weil zeitweise nur läppisch, vor allem die gekünstelten Bewegungen der drei Minister. Problematisch gerät auch die Choreografie, weil die Bewegungsabläufe auf der Bühne oft nicht im Einklang mit der Musik stehen, sehr gelungen sind allerdings die Videos im ersten Akt, welche die Prinzessin in ihrem Gemach zeigen. Claus Guth möchte mit dieser merkwürdig kalten, zu wenig Teilnahme animierenden Regiearbeit eine Parabel in einer erfundenen Zeit auf die Bühne bringen, China ist weder in Bühnenbild noch bei den schrägen Kostümen ein Thema. Im ersten Akt soll Kalafs Geschichte erzählt werden, im zweiten Akt die Erlebnisse von Turandot geschildert werden, der dritte Akt soll zeigen, wie die beiden als Paar zusammenkommen. So weit, so gut. Diese artifiziell kühle Arbeit, fokussiert auf Turandot und ihre Gedankenwelt, mag intellektuell höchst spitzfindig zu erklären sein, wird dem Stück jedoch nur wenig gerecht, weil das einfache Erzählen eines Märchens, entwickelt aus Musik und Text heraus, weitgehend vernachlässigt wird.

Am Ende bietet sich daher das für Premieren an der Wiener Staatsoper gewohnte Bild: Jubel für die Musik und Ablehnung für die Regie.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Kommentare

  1. Rieseerla

    Meiner Meinung nach wäre es hoch an der Zeit, deutsche Protagonisten von den diversen Häusern von ihrer „Kunst“ fernzuhalten! Österreich und Deutschland funktionieren eben auch hier nicht!

  2. Mojgan Akhzar

    Eine großartige Kritik!
    Ja, diese Turandot ist kafkaesk und kalt. Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann sind mMn eine Fehlbesetzung für diese Oper. Sie forcieren nurmehr und die Stimmen fließt nicht.

  3. Böhm

    Endlich eine richtige Kritik, die sich nicht von den überschwänglichen anderen Kritiken beeinflussen lässt.Anscheinend hat niemand die Sänger mit Nisson,Martin,Corelli und anderen verglichen! So etwas wäre früher nicht so toll gehalten worden. Ich stimme ganz mit ihrer Kritik überein. Ich habe Corelli und Nilsson selbst gehört. BRAVO!

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