Marco Armiliato und Ambrogio Maestri begeistern in Gaetano Donizettis “Don Pasquale”

Die letzte Premiere der laufenden Saison in Stefan Herheims MusikTheater an der Wien in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier am 27. Mai 2023 gilt Alban Bergs unvollendeter, 1937 posthum uraufgeführter, von ihm selbst nach Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ eingerichteter Oper „Lulu“. Bei der Neuproduktion handelt es sich erstmals um ein gemeinsames Projekt vom MusikTheater an der Wien mit den Wiener Festwochen. Man hat sich für die zweiaktige Fassung mit einer offenen Form des unvollendeten dritten Aktes entschieden, der mit den „Variationen“ und dem „Adagio“ aus Bergs „Lulu-Suite“ ergänzt wird, so wie Karl Böhm, Wegbereiter des Werkes, das Stück immer aufgeführt hat.
Nachdem sie bereits 2021 auf Einladung der Wiener Festwochen Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ völlig verfremdet inszeniert hatte, wagt man nunmehr viel, indem man für die Inszenierung wiederum die auf den Kapverden geborene Tänzerin und Choreografin Marlene Montero Freitas auswählt. Wie würde sie an dieses komplexe Werk, worin die Titelheldin eine Femme fragile wie gleichsam eine Femme fatale darstellt, herangehen? Wie auf die Frage eingehen, ob diese Lulu nunmehr ein Opfer männlicher Gewalt oder selbst die skrupellose Verführerin frei jeder Moral ist? Wie nicht anders zu erwarten war, geht da in zweidreiviertel Stunden eine hochstilisierte, artifizielle Kunstinstallation über die Bühne. Das Orchester befindet sich auf einem Podium im Hintergrund der Szene, was sich für die heikle Akustik, die man, der Tontechnik sei Dank, in der Halle E im Museumsquartier aber immer besser in den Griff bekommt, als ungemein förderlich erweist, können sich die Stimmen doch gut im schlauchartigen Raum der Veranstaltungsstätte entfalten. Davor gibt es als Einheitsbühnenbild (Yannick Fouassier, auch für das Licht verantwortlich, und Freitas selbst) über den ganzen Abend eine Szene zu sehen, die an eine zirkus- wie kabarettartige Arena erinnert; es kommen jedoch auch Assoziationen an ein Versuchslabor auf, was so sicher von der Inszenierung beabsichtigt ist. Dazu passen die uniformierten Kostüme (Andreas Merk, Hsin-Yi Hsiang) ganz gut, die Herren tragen alle, inklusive Dirigent, halbfertige Schneideranzüge, und alle auf der Bühne stecken in denselben blauen Turnschuhen. Letztendlich erlebt das Publikum unter dem Deckmantel von Alban Bergs „Lulu“ eine atemberaubende Performance, wo sich Akrobatik, Pantomime und Tanz permanent mischen und abwechseln, überlagern und ergänzen. Das Ganze läuft in einer nahezu irren Bewegungsflut ab, dass sich gewiss manche im Publikum wenig auf die komplexe, reiche Musik konzentrieren können; wenn dies aber gelingt, kann man erleben, dass Freitas‘ bewegungsreiche Choreografie sowie die Bewegungen der Akteur*innen ganz im Einklang mit dem Fließen von Bergs Musik stehen, eine Tatsache, die der Regisseurin Respekt ab zollt. Allerdings – eine Personenführung oder gar eine Personenregie findet so gut wie gar nicht statt: In einer quasi semikonzertanten Aufführung sind die Sänger*innen, was die Darstellung betrifft, sich zur Gänze selbst überlassen, hilfloses Agieren wird nur vermieden, da alle um Ausdruck und Gestaltung auch in der Darstellung bemüht sind. Positiv an der Regie hervorzuheben ist der Umstand, dass keine plakativ vulgäre Sexualisierung die Bühne überschwemmt. Angekündigt als das „wilde, schöne Tier“, findet „Lulu“, welche die sexuelle Faszination des Weibes repräsentiert (und in jeder Inszenierung auch repräsentieren müsste, weil ansonsten das wesentliche Element des Stückes auf der Strecke bleibt), derart aber nicht statt. Im Original von Wedekind und ursprünglich auch bei Berg nacheinander gezeigt als Frau und Geliebte mehrerer, unterschiedlich gearteter Männer, für einige andere Figuren bloß als unerreichbares Objekt der Begierde, bloß die lesbische Bewunderung der Gräfin Geschwitz duldend, geht bei Freitas dieser ungemein facettenreichen Stoff mit einer rücksichtslosen Kindfrau im Fokus beinahe zur Gänze unter, nimmt das Auge des Publikums doch überwiegend die Akrobat*innen und Tänzer*innen wahr, die den Sänger*innen zur Seite gestellt werden. Glücklicherweise gemahnen Bewegungschoreografien, in denen auch das singende Ensemble immer wieder voran- wie dahinschreitet, an den Expressionismus der Entstehungszeit des Werkes.
Ob man es nun goutieren mag oder nicht, wenn Freitas Libretto und Partitur um eine dritte Ebene, die hin und wieder mit der Handlung verschmilzt, erweitert, aber auch eigene, schwer dechiffrierbare Wege in einem imaginären Raum geht und sich Wiens neue „Lulu“ so jeder Psychologie und jedem Realismus entzieht, lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis auf jeden Fall, zumal auch die musikalische Seite dieser Neuproduktion durch hohe Qualität aufhorchen lässt. Das beginnt bereits bei den Nebenrollen: Solide Katrin Wundsam (Theatergarderobiere, Gymnasiast), Paul Kaufmann (Prinz, Kammerdiener), Andreas Jankowitsch (Theaterdirektor) und Franz Tscherne (Medizinalrat), sehr gut Martin Summer (Tierbändiger, Athlet). Stark aufhorchen mit ausgeprägtem lyrischem Tenor lässt Cameron Becker als Maler, mehr noch als der tenorgeschmeidige Alwa von Edgaras Montvidas, dem mehr Einheiten mit dem Sprachcoach nicht geschadet hätten. Charakterstark hervorragend besetzt sind zwei Rollen, die gerne ausgewiesenen Sänger*innendarsteller*innen am Ende einer großen Karriere anvertraut werden – Anne Sophie von Otter als Geschwitz und Kurt Rydl als Schigolch begeistern das Publikum, was Ausdruckssingen betrifft. Gebieterischer Sprechgesang, heftige Forte-Ausbrüche werden von einem hohen dramatischen Bass-Bariton als Dr. Schön verlangt: Bo Skovhus bringt das alles noch mit und vermag auch mit gestenreichem Spiel zu überzeugen. Die Hauptrolle muss einem dramatischen Koloratursopran entsprechen, über scharf akzentuierte Spitzentöne wie verführerische Sirenentöne und ruhige Atemführung in melodiösen langen Bögen, dazu noch über laszive Erotik in Stimme und Gestaltung verfügen – nicht oft steht eine Sängerin zur Verfügung, die das alles mitbringt: Vera-Lotte Boecker gelingt dieses Kunststück nach schrillem Beginn hervorragend und wird sie für Ihre Leistung vom Publikum zu Recht bejubelt. Ließe man ihre Erotik, die sie im zweiten Teil zumindest andeutet, in einer Inszenierung auch ausspielen, würde „Lulu“ auch szenisch stattfinden, ihr Businessoutfit einer Sekretärin, in das sie von der Regie gezwängt wird, entbehrt hingegen jeglicher Sexyness. Als Glückfall erweist sich auch das auf moderne Partituren spezialisierte, durchgehend sehr gut disponierte ORF Radiosymphonieorchester Wien, welches unter der formidablen Leitung des jungen Dirigenten Maxime Pascal Alban Bergs großartiges Werk in einem einzigen Aufrauschen lyrisch dramatischer Sinnlichkeit hervorragend umzusetzen weiß. Als bitterer Wermutstropfen entpuppt sich aber die Tatsache, dass sich Pascal und Freitas gegen den dritten Akt entschieden haben, wovon ein vollständiges Particell von Berg vorliegt und der vom kürzlich verstorbenen Friedrich Cerha kongenial instrumentiert wurde, zerstört das Fehlen dieses Teiles doch völlig die Proportionen des Werkes. Daran vermag auch die – verstörende und beklemmend machende – Schlussszene zu den Variationen und dem abschließenden Adagio, wo ein in Schwarz gekleideter Mann (Jack the Ripper?) eine weiße Puppe (Lulu?) missbraucht und meuchelt, nichts zu ändern. Am Schluss gibt es deutliche Bekundungen für die Musik, jedoch nur lauen Applaus für die Szene, durchmischt von wenigen, obligaten Buhrufen.

LE GRAND MACABRE – musikalisch hochklassig, szenisch lau an der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper Le Grand Macabre Erstaufführung

Die letzte Premiere der laufenden Saison in Stefan Herheims MusikTheater an der Wien in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier am 27. Mai 2023 gilt Alban Bergs unvollendeter, 1937 posthum uraufgeführter, von ihm selbst nach Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ eingerichteter Oper „Lulu“. Bei der Neuproduktion handelt es sich erstmals um ein gemeinsames Projekt vom MusikTheater an der Wien mit den Wiener Festwochen. Man hat sich für die zweiaktige Fassung mit einer offenen Form des unvollendeten dritten Aktes entschieden, der mit den „Variationen“ und dem „Adagio“ aus Bergs „Lulu-Suite“ ergänzt wird, so wie Karl Böhm, Wegbereiter des Werkes, das Stück immer aufgeführt hat.
Nachdem sie bereits 2021 auf Einladung der Wiener Festwochen Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ völlig verfremdet inszeniert hatte, wagt man nunmehr viel, indem man für die Inszenierung wiederum die auf den Kapverden geborene Tänzerin und Choreografin Marlene Montero Freitas auswählt. Wie würde sie an dieses komplexe Werk, worin die Titelheldin eine Femme fragile wie gleichsam eine Femme fatale darstellt, herangehen? Wie auf die Frage eingehen, ob diese Lulu nunmehr ein Opfer männlicher Gewalt oder selbst die skrupellose Verführerin frei jeder Moral ist? Wie nicht anders zu erwarten war, geht da in zweidreiviertel Stunden eine hochstilisierte, artifizielle Kunstinstallation über die Bühne. Das Orchester befindet sich auf einem Podium im Hintergrund der Szene, was sich für die heikle Akustik, die man, der Tontechnik sei Dank, in der Halle E im Museumsquartier aber immer besser in den Griff bekommt, als ungemein förderlich erweist, können sich die Stimmen doch gut im schlauchartigen Raum der Veranstaltungsstätte entfalten. Davor gibt es als Einheitsbühnenbild (Yannick Fouassier, auch für das Licht verantwortlich, und Freitas selbst) über den ganzen Abend eine Szene zu sehen, die an eine zirkus- wie kabarettartige Arena erinnert; es kommen jedoch auch Assoziationen an ein Versuchslabor auf, was so sicher von der Inszenierung beabsichtigt ist. Dazu passen die uniformierten Kostüme (Andreas Merk, Hsin-Yi Hsiang) ganz gut, die Herren tragen alle, inklusive Dirigent, halbfertige Schneideranzüge, und alle auf der Bühne stecken in denselben blauen Turnschuhen. Letztendlich erlebt das Publikum unter dem Deckmantel von Alban Bergs „Lulu“ eine atemberaubende Performance, wo sich Akrobatik, Pantomime und Tanz permanent mischen und abwechseln, überlagern und ergänzen. Das Ganze läuft in einer nahezu irren Bewegungsflut ab, dass sich gewiss manche im Publikum wenig auf die komplexe, reiche Musik konzentrieren können; wenn dies aber gelingt, kann man erleben, dass Freitas‘ bewegungsreiche Choreografie sowie die Bewegungen der Akteur*innen ganz im Einklang mit dem Fließen von Bergs Musik stehen, eine Tatsache, die der Regisseurin Respekt ab zollt. Allerdings – eine Personenführung oder gar eine Personenregie findet so gut wie gar nicht statt: In einer quasi semikonzertanten Aufführung sind die Sänger*innen, was die Darstellung betrifft, sich zur Gänze selbst überlassen, hilfloses Agieren wird nur vermieden, da alle um Ausdruck und Gestaltung auch in der Darstellung bemüht sind. Positiv an der Regie hervorzuheben ist der Umstand, dass keine plakativ vulgäre Sexualisierung die Bühne überschwemmt. Angekündigt als das „wilde, schöne Tier“, findet „Lulu“, welche die sexuelle Faszination des Weibes repräsentiert (und in jeder Inszenierung auch repräsentieren müsste, weil ansonsten das wesentliche Element des Stückes auf der Strecke bleibt), derart aber nicht statt. Im Original von Wedekind und ursprünglich auch bei Berg nacheinander gezeigt als Frau und Geliebte mehrerer, unterschiedlich gearteter Männer, für einige andere Figuren bloß als unerreichbares Objekt der Begierde, bloß die lesbische Bewunderung der Gräfin Geschwitz duldend, geht bei Freitas dieser ungemein facettenreichen Stoff mit einer rücksichtslosen Kindfrau im Fokus beinahe zur Gänze unter, nimmt das Auge des Publikums doch überwiegend die Akrobat*innen und Tänzer*innen wahr, die den Sänger*innen zur Seite gestellt werden. Glücklicherweise gemahnen Bewegungschoreografien, in denen auch das singende Ensemble immer wieder voran- wie dahinschreitet, an den Expressionismus der Entstehungszeit des Werkes.
Ob man es nun goutieren mag oder nicht, wenn Freitas Libretto und Partitur um eine dritte Ebene, die hin und wieder mit der Handlung verschmilzt, erweitert, aber auch eigene, schwer dechiffrierbare Wege in einem imaginären Raum geht und sich Wiens neue „Lulu“ so jeder Psychologie und jedem Realismus entzieht, lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis auf jeden Fall, zumal auch die musikalische Seite dieser Neuproduktion durch hohe Qualität aufhorchen lässt. Das beginnt bereits bei den Nebenrollen: Solide Katrin Wundsam (Theatergarderobiere, Gymnasiast), Paul Kaufmann (Prinz, Kammerdiener), Andreas Jankowitsch (Theaterdirektor) und Franz Tscherne (Medizinalrat), sehr gut Martin Summer (Tierbändiger, Athlet). Stark aufhorchen mit ausgeprägtem lyrischem Tenor lässt Cameron Becker als Maler, mehr noch als der tenorgeschmeidige Alwa von Edgaras Montvidas, dem mehr Einheiten mit dem Sprachcoach nicht geschadet hätten. Charakterstark hervorragend besetzt sind zwei Rollen, die gerne ausgewiesenen Sänger*innendarsteller*innen am Ende einer großen Karriere anvertraut werden – Anne Sophie von Otter als Geschwitz und Kurt Rydl als Schigolch begeistern das Publikum, was Ausdruckssingen betrifft. Gebieterischer Sprechgesang, heftige Forte-Ausbrüche werden von einem hohen dramatischen Bass-Bariton als Dr. Schön verlangt: Bo Skovhus bringt das alles noch mit und vermag auch mit gestenreichem Spiel zu überzeugen. Die Hauptrolle muss einem dramatischen Koloratursopran entsprechen, über scharf akzentuierte Spitzentöne wie verführerische Sirenentöne und ruhige Atemführung in melodiösen langen Bögen, dazu noch über laszive Erotik in Stimme und Gestaltung verfügen – nicht oft steht eine Sängerin zur Verfügung, die das alles mitbringt: Vera-Lotte Boecker gelingt dieses Kunststück nach schrillem Beginn hervorragend und wird sie für Ihre Leistung vom Publikum zu Recht bejubelt. Ließe man ihre Erotik, die sie im zweiten Teil zumindest andeutet, in einer Inszenierung auch ausspielen, würde „Lulu“ auch szenisch stattfinden, ihr Businessoutfit einer Sekretärin, in das sie von der Regie gezwängt wird, entbehrt hingegen jeglicher Sexyness. Als Glückfall erweist sich auch das auf moderne Partituren spezialisierte, durchgehend sehr gut disponierte ORF Radiosymphonieorchester Wien, welches unter der formidablen Leitung des jungen Dirigenten Maxime Pascal Alban Bergs großartiges Werk in einem einzigen Aufrauschen lyrisch dramatischer Sinnlichkeit hervorragend umzusetzen weiß. Als bitterer Wermutstropfen entpuppt sich aber die Tatsache, dass sich Pascal und Freitas gegen den dritten Akt entschieden haben, wovon ein vollständiges Particell von Berg vorliegt und der vom kürzlich verstorbenen Friedrich Cerha kongenial instrumentiert wurde, zerstört das Fehlen dieses Teiles doch völlig die Proportionen des Werkes. Daran vermag auch die – verstörende und beklemmend machende – Schlussszene zu den Variationen und dem abschließenden Adagio, wo ein in Schwarz gekleideter Mann (Jack the Ripper?) eine weiße Puppe (Lulu?) missbraucht und meuchelt, nichts zu ändern. Am Schluss gibt es deutliche Bekundungen für die Musik, jedoch nur lauen Applaus für die Szene, durchmischt von wenigen, obligaten Buhrufen.

Neuer „Eiserner Vorhang“ in der Wiener Staatsoper

Anselm Kiefer Solaris

Langsam gewöhnt man sich an sie, die Regie von Vincent Huguet zu Richard Strauss‘ höchst anspruchsvoller Oper „Die Frau ohne Schatten“. Der Regisseur versucht erst gar nicht, das symbolisch wie motivisch überfrachtete Werk zu deuten, verzichtet auf jegliche Psychoanalyse, und wurde dafür nach der Premiere viel gescholten, weil der herausragenden musikalischen Qualität der Produktion keine szenisch äquivalente Umsetzung entgegengesetzt sei. Huguet setzt auf die Entwicklung der drei Frauengestalten, die klinischen Symptome wie Pathologien sowohl der weiblichen als auch der männlichen Charaktere werden ausgespart. Die ganz aus Musik und Text entwickelte Personenregie ist bisweilen bewegend, berührend, wenn auch nicht unbedingt zwingend, hat jedenfalls nicht die Qualität der aus der Psychoanalyse entwickelten Vorgängerinszenierung von Robert Carsen.
Im Hinblick auf die musikalische Wiedergabe, die im Rahmen dieser Wiederaufnahmeserie im Haus am Ring im Oktober 2023 einer Offenbarung nahekommt, erscheint dies jedoch verschmerzbar, kann man die „Die Frau ohne Schatten“ denn vor allem hören – um zu erleben, was sie auch und vor allem ist, nämlich ein „Märchenspiel vom Überleben der Menschheit“ (Hans Mayer). Das Publikum der Wiener Staatsoper hat ähnlich dem Färber Barak auch am Schluss dieser denkwürdigen, letzten Aufführung der aktuellen Wiederaufnahmeserie am 24. Oktober 2023 „gejubelt, wie keiner gejubelt“. Der heftige Applaus gerät hier auch immer wieder zur Demonstration pro Christian Thielemann. Hier in Wien genießt der Dirigent die besondere Bewunderung und die uneingeschränkte Liebe des Publikums, der Wiener Staatsoper ist er ja besonders verbunden. Und es mag der Faszination des unwiederholbaren Augenblicks geschuldet sein, dass man zu hören glaubte, das Orchester der Wiener Staatsoper hätte an diesem letzten Abend der Serie noch um eine Spur glänzender, sinnlicher, eruptiver, nuancierter, farbenreicher und sinnlicher geklungen als in der ebenfalls besuchten Aufführung am vergangenen Samstag. Und im rauschhaft gesteigerten Orchesterfurioso gegen Schluss gönnt sich Thielemann an diesem Abend ein Bad in diesem von der Formation verströmten Klangmeer, nachdem es seinen Anweisungen zuvor bedingungslos gefolgt war und ihm jeden Wunsch erfüllte, ja ihn und das Publikum nahezu überreich beschenkte. Ähnlich hervorragend, wie in der Aufführung zuvor, war auch wieder das mit großen Stimmen ausgestattete Ensemble auf der Bühne – Elza van den Heever (Kaiserin), Elena Pankratova (Färberin), Tanja Ariana Baumgartner (Amme), Andreas Schager (Kaiser) und Tomasz Konieczny (Barak) in den fünf Hauptrollen.
Am ersten Abend der aktuellen Aufführungsserie von „Die Frau ohne Schatten“ am 14. Oktober 2013 wurde Christian Thielemann auf offener Bühne nach der Vorstellung von Staatsoperndirektor Dr. Bogdan Roscic zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt, außerdem erhielt er den Ehrenring der Wiener Staatsoper aus dem Hause Juwelier Wagner. Dem Dirigenten wurde im Rahmen der Auszeichnung auch ein Plakat jener Aufführung überreicht, in der er zum ersten Mal am Pult der Wiener Staatsoper gestanden ist, und zwar in „Cosi fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 19. November 1987. Seither hat er, neben dem genannten Werk und Giuseppe Verdis „La traviata“, Wiederaufnahmen von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Der Ring des Nibelungen“ dirigiert. Neben der „Frau ohne Schatten“ hat er noch Premieren von Wagners „Tristan und Isolde“ sowie Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ musikalisch betreut.
Im Frühjahr des nächsten Jahres kehrt Thielemann für eine Premierenserie von Wagners „Lohengrin“ zurück, für jenes Werk also, das er bereits im Wagnerjahr 2013 in einer Premierenserie dirigieren sollte, damals kurzfristig wegen seiner spontanen Verpflichtung zu den Osterfestspielen Salzburg von dieser Aufgabe jedoch wieder entbunden werden musste. Gemeinsame Projekte sind bis 2030 geplant. Das Wiener Publikum freut sich jedenfalls auf viele Abende mit Christian Thielemann, auch wenn er ab der Saison 2024/2025 als Nachfolger von Daniel Barenboim an die Berliner Staatsoper berufen wurde.

Jonas Kaufmann als ungemein feiner, melancholisch introvertierter OTELLO an der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper Otello Jonas Kaufmann Ludovic Tezier

Die letzte Premiere der laufenden Saison in Stefan Herheims MusikTheater an der Wien in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier am 27. Mai 2023 gilt Alban Bergs unvollendeter, 1937 posthum uraufgeführter, von ihm selbst nach Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ eingerichteter Oper „Lulu“. Bei der Neuproduktion handelt es sich erstmals um ein gemeinsames Projekt vom MusikTheater an der Wien mit den Wiener Festwochen. Man hat sich für die zweiaktige Fassung mit einer offenen Form des unvollendeten dritten Aktes entschieden, der mit den „Variationen“ und dem „Adagio“ aus Bergs „Lulu-Suite“ ergänzt wird, so wie Karl Böhm, Wegbereiter des Werkes, das Stück immer aufgeführt hat.
Nachdem sie bereits 2021 auf Einladung der Wiener Festwochen Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ völlig verfremdet inszeniert hatte, wagt man nunmehr viel, indem man für die Inszenierung wiederum die auf den Kapverden geborene Tänzerin und Choreografin Marlene Montero Freitas auswählt. Wie würde sie an dieses komplexe Werk, worin die Titelheldin eine Femme fragile wie gleichsam eine Femme fatale darstellt, herangehen? Wie auf die Frage eingehen, ob diese Lulu nunmehr ein Opfer männlicher Gewalt oder selbst die skrupellose Verführerin frei jeder Moral ist? Wie nicht anders zu erwarten war, geht da in zweidreiviertel Stunden eine hochstilisierte, artifizielle Kunstinstallation über die Bühne. Das Orchester befindet sich auf einem Podium im Hintergrund der Szene, was sich für die heikle Akustik, die man, der Tontechnik sei Dank, in der Halle E im Museumsquartier aber immer besser in den Griff bekommt, als ungemein förderlich erweist, können sich die Stimmen doch gut im schlauchartigen Raum der Veranstaltungsstätte entfalten. Davor gibt es als Einheitsbühnenbild (Yannick Fouassier, auch für das Licht verantwortlich, und Freitas selbst) über den ganzen Abend eine Szene zu sehen, die an eine zirkus- wie kabarettartige Arena erinnert; es kommen jedoch auch Assoziationen an ein Versuchslabor auf, was so sicher von der Inszenierung beabsichtigt ist. Dazu passen die uniformierten Kostüme (Andreas Merk, Hsin-Yi Hsiang) ganz gut, die Herren tragen alle, inklusive Dirigent, halbfertige Schneideranzüge, und alle auf der Bühne stecken in denselben blauen Turnschuhen. Letztendlich erlebt das Publikum unter dem Deckmantel von Alban Bergs „Lulu“ eine atemberaubende Performance, wo sich Akrobatik, Pantomime und Tanz permanent mischen und abwechseln, überlagern und ergänzen. Das Ganze läuft in einer nahezu irren Bewegungsflut ab, dass sich gewiss manche im Publikum wenig auf die komplexe, reiche Musik konzentrieren können; wenn dies aber gelingt, kann man erleben, dass Freitas‘ bewegungsreiche Choreografie sowie die Bewegungen der Akteur*innen ganz im Einklang mit dem Fließen von Bergs Musik stehen, eine Tatsache, die der Regisseurin Respekt ab zollt. Allerdings – eine Personenführung oder gar eine Personenregie findet so gut wie gar nicht statt: In einer quasi semikonzertanten Aufführung sind die Sänger*innen, was die Darstellung betrifft, sich zur Gänze selbst überlassen, hilfloses Agieren wird nur vermieden, da alle um Ausdruck und Gestaltung auch in der Darstellung bemüht sind. Positiv an der Regie hervorzuheben ist der Umstand, dass keine plakativ vulgäre Sexualisierung die Bühne überschwemmt. Angekündigt als das „wilde, schöne Tier“, findet „Lulu“, welche die sexuelle Faszination des Weibes repräsentiert (und in jeder Inszenierung auch repräsentieren müsste, weil ansonsten das wesentliche Element des Stückes auf der Strecke bleibt), derart aber nicht statt. Im Original von Wedekind und ursprünglich auch bei Berg nacheinander gezeigt als Frau und Geliebte mehrerer, unterschiedlich gearteter Männer, für einige andere Figuren bloß als unerreichbares Objekt der Begierde, bloß die lesbische Bewunderung der Gräfin Geschwitz duldend, geht bei Freitas dieser ungemein facettenreichen Stoff mit einer rücksichtslosen Kindfrau im Fokus beinahe zur Gänze unter, nimmt das Auge des Publikums doch überwiegend die Akrobat*innen und Tänzer*innen wahr, die den Sänger*innen zur Seite gestellt werden. Glücklicherweise gemahnen Bewegungschoreografien, in denen auch das singende Ensemble immer wieder voran- wie dahinschreitet, an den Expressionismus der Entstehungszeit des Werkes.
Ob man es nun goutieren mag oder nicht, wenn Freitas Libretto und Partitur um eine dritte Ebene, die hin und wieder mit der Handlung verschmilzt, erweitert, aber auch eigene, schwer dechiffrierbare Wege in einem imaginären Raum geht und sich Wiens neue „Lulu“ so jeder Psychologie und jedem Realismus entzieht, lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis auf jeden Fall, zumal auch die musikalische Seite dieser Neuproduktion durch hohe Qualität aufhorchen lässt. Das beginnt bereits bei den Nebenrollen: Solide Katrin Wundsam (Theatergarderobiere, Gymnasiast), Paul Kaufmann (Prinz, Kammerdiener), Andreas Jankowitsch (Theaterdirektor) und Franz Tscherne (Medizinalrat), sehr gut Martin Summer (Tierbändiger, Athlet). Stark aufhorchen mit ausgeprägtem lyrischem Tenor lässt Cameron Becker als Maler, mehr noch als der tenorgeschmeidige Alwa von Edgaras Montvidas, dem mehr Einheiten mit dem Sprachcoach nicht geschadet hätten. Charakterstark hervorragend besetzt sind zwei Rollen, die gerne ausgewiesenen Sänger*innendarsteller*innen am Ende einer großen Karriere anvertraut werden – Anne Sophie von Otter als Geschwitz und Kurt Rydl als Schigolch begeistern das Publikum, was Ausdruckssingen betrifft. Gebieterischer Sprechgesang, heftige Forte-Ausbrüche werden von einem hohen dramatischen Bass-Bariton als Dr. Schön verlangt: Bo Skovhus bringt das alles noch mit und vermag auch mit gestenreichem Spiel zu überzeugen. Die Hauptrolle muss einem dramatischen Koloratursopran entsprechen, über scharf akzentuierte Spitzentöne wie verführerische Sirenentöne und ruhige Atemführung in melodiösen langen Bögen, dazu noch über laszive Erotik in Stimme und Gestaltung verfügen – nicht oft steht eine Sängerin zur Verfügung, die das alles mitbringt: Vera-Lotte Boecker gelingt dieses Kunststück nach schrillem Beginn hervorragend und wird sie für Ihre Leistung vom Publikum zu Recht bejubelt. Ließe man ihre Erotik, die sie im zweiten Teil zumindest andeutet, in einer Inszenierung auch ausspielen, würde „Lulu“ auch szenisch stattfinden, ihr Businessoutfit einer Sekretärin, in das sie von der Regie gezwängt wird, entbehrt hingegen jeglicher Sexyness. Als Glückfall erweist sich auch das auf moderne Partituren spezialisierte, durchgehend sehr gut disponierte ORF Radiosymphonieorchester Wien, welches unter der formidablen Leitung des jungen Dirigenten Maxime Pascal Alban Bergs großartiges Werk in einem einzigen Aufrauschen lyrisch dramatischer Sinnlichkeit hervorragend umzusetzen weiß. Als bitterer Wermutstropfen entpuppt sich aber die Tatsache, dass sich Pascal und Freitas gegen den dritten Akt entschieden haben, wovon ein vollständiges Particell von Berg vorliegt und der vom kürzlich verstorbenen Friedrich Cerha kongenial instrumentiert wurde, zerstört das Fehlen dieses Teiles doch völlig die Proportionen des Werkes. Daran vermag auch die – verstörende und beklemmend machende – Schlussszene zu den Variationen und dem abschließenden Adagio, wo ein in Schwarz gekleideter Mann (Jack the Ripper?) eine weiße Puppe (Lulu?) missbraucht und meuchelt, nichts zu ändern. Am Schluss gibt es deutliche Bekundungen für die Musik, jedoch nur lauen Applaus für die Szene, durchmischt von wenigen, obligaten Buhrufen.

Christian Thielemann ist neues Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper Ehrenmitglied Christian Thielemann

Langsam gewöhnt man sich an sie, die Regie von Vincent Huguet zu Richard Strauss‘ höchst anspruchsvoller Oper „Die Frau ohne Schatten“. Der Regisseur versucht erst gar nicht, das symbolisch wie motivisch überfrachtete Werk zu deuten, verzichtet auf jegliche Psychoanalyse, und wurde dafür nach der Premiere viel gescholten, weil der herausragenden musikalischen Qualität der Produktion keine szenisch äquivalente Umsetzung entgegengesetzt sei. Huguet setzt auf die Entwicklung der drei Frauengestalten, die klinischen Symptome wie Pathologien sowohl der weiblichen als auch der männlichen Charaktere werden ausgespart. Die ganz aus Musik und Text entwickelte Personenregie ist bisweilen bewegend, berührend, wenn auch nicht unbedingt zwingend, hat jedenfalls nicht die Qualität der aus der Psychoanalyse entwickelten Vorgängerinszenierung von Robert Carsen.
Im Hinblick auf die musikalische Wiedergabe, die im Rahmen dieser Wiederaufnahmeserie im Haus am Ring im Oktober 2023 einer Offenbarung nahekommt, erscheint dies jedoch verschmerzbar, kann man die „Die Frau ohne Schatten“ denn vor allem hören – um zu erleben, was sie auch und vor allem ist, nämlich ein „Märchenspiel vom Überleben der Menschheit“ (Hans Mayer). Das Publikum der Wiener Staatsoper hat ähnlich dem Färber Barak auch am Schluss dieser denkwürdigen, letzten Aufführung der aktuellen Wiederaufnahmeserie am 24. Oktober 2023 „gejubelt, wie keiner gejubelt“. Der heftige Applaus gerät hier auch immer wieder zur Demonstration pro Christian Thielemann. Hier in Wien genießt der Dirigent die besondere Bewunderung und die uneingeschränkte Liebe des Publikums, der Wiener Staatsoper ist er ja besonders verbunden. Und es mag der Faszination des unwiederholbaren Augenblicks geschuldet sein, dass man zu hören glaubte, das Orchester der Wiener Staatsoper hätte an diesem letzten Abend der Serie noch um eine Spur glänzender, sinnlicher, eruptiver, nuancierter, farbenreicher und sinnlicher geklungen als in der ebenfalls besuchten Aufführung am vergangenen Samstag. Und im rauschhaft gesteigerten Orchesterfurioso gegen Schluss gönnt sich Thielemann an diesem Abend ein Bad in diesem von der Formation verströmten Klangmeer, nachdem es seinen Anweisungen zuvor bedingungslos gefolgt war und ihm jeden Wunsch erfüllte, ja ihn und das Publikum nahezu überreich beschenkte. Ähnlich hervorragend, wie in der Aufführung zuvor, war auch wieder das mit großen Stimmen ausgestattete Ensemble auf der Bühne – Elza van den Heever (Kaiserin), Elena Pankratova (Färberin), Tanja Ariana Baumgartner (Amme), Andreas Schager (Kaiser) und Tomasz Konieczny (Barak) in den fünf Hauptrollen.
Am ersten Abend der aktuellen Aufführungsserie von „Die Frau ohne Schatten“ am 14. Oktober 2013 wurde Christian Thielemann auf offener Bühne nach der Vorstellung von Staatsoperndirektor Dr. Bogdan Roscic zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt, außerdem erhielt er den Ehrenring der Wiener Staatsoper aus dem Hause Juwelier Wagner. Dem Dirigenten wurde im Rahmen der Auszeichnung auch ein Plakat jener Aufführung überreicht, in der er zum ersten Mal am Pult der Wiener Staatsoper gestanden ist, und zwar in „Cosi fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 19. November 1987. Seither hat er, neben dem genannten Werk und Giuseppe Verdis „La traviata“, Wiederaufnahmen von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Der Ring des Nibelungen“ dirigiert. Neben der „Frau ohne Schatten“ hat er noch Premieren von Wagners „Tristan und Isolde“ sowie Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ musikalisch betreut.
Im Frühjahr des nächsten Jahres kehrt Thielemann für eine Premierenserie von Wagners „Lohengrin“ zurück, für jenes Werk also, das er bereits im Wagnerjahr 2013 in einer Premierenserie dirigieren sollte, damals kurzfristig wegen seiner spontanen Verpflichtung zu den Osterfestspielen Salzburg von dieser Aufgabe jedoch wieder entbunden werden musste. Gemeinsame Projekte sind bis 2030 geplant. Das Wiener Publikum freut sich jedenfalls auf viele Abende mit Christian Thielemann, auch wenn er ab der Saison 2024/2025 als Nachfolger von Daniel Barenboim an die Berliner Staatsoper berufen wurde.

Christian Thielemann dirigiert „Die Frau ohne Schatten“: Ein Hochfest an der Wiener Staatsoper

Christian Thielemann Wiener Staatsoper Die Frau ohne Schatten

Die letzte Premiere der laufenden Saison in Stefan Herheims MusikTheater an der Wien in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier am 27. Mai 2023 gilt Alban Bergs unvollendeter, 1937 posthum uraufgeführter, von ihm selbst nach Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ eingerichteter Oper „Lulu“. Bei der Neuproduktion handelt es sich erstmals um ein gemeinsames Projekt vom MusikTheater an der Wien mit den Wiener Festwochen. Man hat sich für die zweiaktige Fassung mit einer offenen Form des unvollendeten dritten Aktes entschieden, der mit den „Variationen“ und dem „Adagio“ aus Bergs „Lulu-Suite“ ergänzt wird, so wie Karl Böhm, Wegbereiter des Werkes, das Stück immer aufgeführt hat.
Nachdem sie bereits 2021 auf Einladung der Wiener Festwochen Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ völlig verfremdet inszeniert hatte, wagt man nunmehr viel, indem man für die Inszenierung wiederum die auf den Kapverden geborene Tänzerin und Choreografin Marlene Montero Freitas auswählt. Wie würde sie an dieses komplexe Werk, worin die Titelheldin eine Femme fragile wie gleichsam eine Femme fatale darstellt, herangehen? Wie auf die Frage eingehen, ob diese Lulu nunmehr ein Opfer männlicher Gewalt oder selbst die skrupellose Verführerin frei jeder Moral ist? Wie nicht anders zu erwarten war, geht da in zweidreiviertel Stunden eine hochstilisierte, artifizielle Kunstinstallation über die Bühne. Das Orchester befindet sich auf einem Podium im Hintergrund der Szene, was sich für die heikle Akustik, die man, der Tontechnik sei Dank, in der Halle E im Museumsquartier aber immer besser in den Griff bekommt, als ungemein förderlich erweist, können sich die Stimmen doch gut im schlauchartigen Raum der Veranstaltungsstätte entfalten. Davor gibt es als Einheitsbühnenbild (Yannick Fouassier, auch für das Licht verantwortlich, und Freitas selbst) über den ganzen Abend eine Szene zu sehen, die an eine zirkus- wie kabarettartige Arena erinnert; es kommen jedoch auch Assoziationen an ein Versuchslabor auf, was so sicher von der Inszenierung beabsichtigt ist. Dazu passen die uniformierten Kostüme (Andreas Merk, Hsin-Yi Hsiang) ganz gut, die Herren tragen alle, inklusive Dirigent, halbfertige Schneideranzüge, und alle auf der Bühne stecken in denselben blauen Turnschuhen. Letztendlich erlebt das Publikum unter dem Deckmantel von Alban Bergs „Lulu“ eine atemberaubende Performance, wo sich Akrobatik, Pantomime und Tanz permanent mischen und abwechseln, überlagern und ergänzen. Das Ganze läuft in einer nahezu irren Bewegungsflut ab, dass sich gewiss manche im Publikum wenig auf die komplexe, reiche Musik konzentrieren können; wenn dies aber gelingt, kann man erleben, dass Freitas‘ bewegungsreiche Choreografie sowie die Bewegungen der Akteur*innen ganz im Einklang mit dem Fließen von Bergs Musik stehen, eine Tatsache, die der Regisseurin Respekt ab zollt. Allerdings – eine Personenführung oder gar eine Personenregie findet so gut wie gar nicht statt: In einer quasi semikonzertanten Aufführung sind die Sänger*innen, was die Darstellung betrifft, sich zur Gänze selbst überlassen, hilfloses Agieren wird nur vermieden, da alle um Ausdruck und Gestaltung auch in der Darstellung bemüht sind. Positiv an der Regie hervorzuheben ist der Umstand, dass keine plakativ vulgäre Sexualisierung die Bühne überschwemmt. Angekündigt als das „wilde, schöne Tier“, findet „Lulu“, welche die sexuelle Faszination des Weibes repräsentiert (und in jeder Inszenierung auch repräsentieren müsste, weil ansonsten das wesentliche Element des Stückes auf der Strecke bleibt), derart aber nicht statt. Im Original von Wedekind und ursprünglich auch bei Berg nacheinander gezeigt als Frau und Geliebte mehrerer, unterschiedlich gearteter Männer, für einige andere Figuren bloß als unerreichbares Objekt der Begierde, bloß die lesbische Bewunderung der Gräfin Geschwitz duldend, geht bei Freitas dieser ungemein facettenreichen Stoff mit einer rücksichtslosen Kindfrau im Fokus beinahe zur Gänze unter, nimmt das Auge des Publikums doch überwiegend die Akrobat*innen und Tänzer*innen wahr, die den Sänger*innen zur Seite gestellt werden. Glücklicherweise gemahnen Bewegungschoreografien, in denen auch das singende Ensemble immer wieder voran- wie dahinschreitet, an den Expressionismus der Entstehungszeit des Werkes.
Ob man es nun goutieren mag oder nicht, wenn Freitas Libretto und Partitur um eine dritte Ebene, die hin und wieder mit der Handlung verschmilzt, erweitert, aber auch eigene, schwer dechiffrierbare Wege in einem imaginären Raum geht und sich Wiens neue „Lulu“ so jeder Psychologie und jedem Realismus entzieht, lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis auf jeden Fall, zumal auch die musikalische Seite dieser Neuproduktion durch hohe Qualität aufhorchen lässt. Das beginnt bereits bei den Nebenrollen: Solide Katrin Wundsam (Theatergarderobiere, Gymnasiast), Paul Kaufmann (Prinz, Kammerdiener), Andreas Jankowitsch (Theaterdirektor) und Franz Tscherne (Medizinalrat), sehr gut Martin Summer (Tierbändiger, Athlet). Stark aufhorchen mit ausgeprägtem lyrischem Tenor lässt Cameron Becker als Maler, mehr noch als der tenorgeschmeidige Alwa von Edgaras Montvidas, dem mehr Einheiten mit dem Sprachcoach nicht geschadet hätten. Charakterstark hervorragend besetzt sind zwei Rollen, die gerne ausgewiesenen Sänger*innendarsteller*innen am Ende einer großen Karriere anvertraut werden – Anne Sophie von Otter als Geschwitz und Kurt Rydl als Schigolch begeistern das Publikum, was Ausdruckssingen betrifft. Gebieterischer Sprechgesang, heftige Forte-Ausbrüche werden von einem hohen dramatischen Bass-Bariton als Dr. Schön verlangt: Bo Skovhus bringt das alles noch mit und vermag auch mit gestenreichem Spiel zu überzeugen. Die Hauptrolle muss einem dramatischen Koloratursopran entsprechen, über scharf akzentuierte Spitzentöne wie verführerische Sirenentöne und ruhige Atemführung in melodiösen langen Bögen, dazu noch über laszive Erotik in Stimme und Gestaltung verfügen – nicht oft steht eine Sängerin zur Verfügung, die das alles mitbringt: Vera-Lotte Boecker gelingt dieses Kunststück nach schrillem Beginn hervorragend und wird sie für Ihre Leistung vom Publikum zu Recht bejubelt. Ließe man ihre Erotik, die sie im zweiten Teil zumindest andeutet, in einer Inszenierung auch ausspielen, würde „Lulu“ auch szenisch stattfinden, ihr Businessoutfit einer Sekretärin, in das sie von der Regie gezwängt wird, entbehrt hingegen jeglicher Sexyness. Als Glückfall erweist sich auch das auf moderne Partituren spezialisierte, durchgehend sehr gut disponierte ORF Radiosymphonieorchester Wien, welches unter der formidablen Leitung des jungen Dirigenten Maxime Pascal Alban Bergs großartiges Werk in einem einzigen Aufrauschen lyrisch dramatischer Sinnlichkeit hervorragend umzusetzen weiß. Als bitterer Wermutstropfen entpuppt sich aber die Tatsache, dass sich Pascal und Freitas gegen den dritten Akt entschieden haben, wovon ein vollständiges Particell von Berg vorliegt und der vom kürzlich verstorbenen Friedrich Cerha kongenial instrumentiert wurde, zerstört das Fehlen dieses Teiles doch völlig die Proportionen des Werkes. Daran vermag auch die – verstörende und beklemmend machende – Schlussszene zu den Variationen und dem abschließenden Adagio, wo ein in Schwarz gekleideter Mann (Jack the Ripper?) eine weiße Puppe (Lulu?) missbraucht und meuchelt, nichts zu ändern. Am Schluss gibt es deutliche Bekundungen für die Musik, jedoch nur lauen Applaus für die Szene, durchmischt von wenigen, obligaten Buhrufen.

IL TRITTICO von Giacomo Puccini – Musikalisch hervorragend an der Wiener Staatsoper

Wolfgang Amadeus Mozart Don Giovanni Opéra Bastille Peter Mattei Claus Guth

Die letzte Premiere der laufenden Saison in Stefan Herheims MusikTheater an der Wien in der Ausweichspielstätte im Museumsquartier am 27. Mai 2023 gilt Alban Bergs unvollendeter, 1937 posthum uraufgeführter, von ihm selbst nach Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ eingerichteter Oper „Lulu“. Bei der Neuproduktion handelt es sich erstmals um ein gemeinsames Projekt vom MusikTheater an der Wien mit den Wiener Festwochen. Man hat sich für die zweiaktige Fassung mit einer offenen Form des unvollendeten dritten Aktes entschieden, der mit den „Variationen“ und dem „Adagio“ aus Bergs „Lulu-Suite“ ergänzt wird, so wie Karl Böhm, Wegbereiter des Werkes, das Stück immer aufgeführt hat.
Nachdem sie bereits 2021 auf Einladung der Wiener Festwochen Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ völlig verfremdet inszeniert hatte, wagt man nunmehr viel, indem man für die Inszenierung wiederum die auf den Kapverden geborene Tänzerin und Choreografin Marlene Montero Freitas auswählt. Wie würde sie an dieses komplexe Werk, worin die Titelheldin eine Femme fragile wie gleichsam eine Femme fatale darstellt, herangehen? Wie auf die Frage eingehen, ob diese Lulu nunmehr ein Opfer männlicher Gewalt oder selbst die skrupellose Verführerin frei jeder Moral ist? Wie nicht anders zu erwarten war, geht da in zweidreiviertel Stunden eine hochstilisierte, artifizielle Kunstinstallation über die Bühne. Das Orchester befindet sich auf einem Podium im Hintergrund der Szene, was sich für die heikle Akustik, die man, der Tontechnik sei Dank, in der Halle E im Museumsquartier aber immer besser in den Griff bekommt, als ungemein förderlich erweist, können sich die Stimmen doch gut im schlauchartigen Raum der Veranstaltungsstätte entfalten. Davor gibt es als Einheitsbühnenbild (Yannick Fouassier, auch für das Licht verantwortlich, und Freitas selbst) über den ganzen Abend eine Szene zu sehen, die an eine zirkus- wie kabarettartige Arena erinnert; es kommen jedoch auch Assoziationen an ein Versuchslabor auf, was so sicher von der Inszenierung beabsichtigt ist. Dazu passen die uniformierten Kostüme (Andreas Merk, Hsin-Yi Hsiang) ganz gut, die Herren tragen alle, inklusive Dirigent, halbfertige Schneideranzüge, und alle auf der Bühne stecken in denselben blauen Turnschuhen. Letztendlich erlebt das Publikum unter dem Deckmantel von Alban Bergs „Lulu“ eine atemberaubende Performance, wo sich Akrobatik, Pantomime und Tanz permanent mischen und abwechseln, überlagern und ergänzen. Das Ganze läuft in einer nahezu irren Bewegungsflut ab, dass sich gewiss manche im Publikum wenig auf die komplexe, reiche Musik konzentrieren können; wenn dies aber gelingt, kann man erleben, dass Freitas‘ bewegungsreiche Choreografie sowie die Bewegungen der Akteur*innen ganz im Einklang mit dem Fließen von Bergs Musik stehen, eine Tatsache, die der Regisseurin Respekt ab zollt. Allerdings – eine Personenführung oder gar eine Personenregie findet so gut wie gar nicht statt: In einer quasi semikonzertanten Aufführung sind die Sänger*innen, was die Darstellung betrifft, sich zur Gänze selbst überlassen, hilfloses Agieren wird nur vermieden, da alle um Ausdruck und Gestaltung auch in der Darstellung bemüht sind. Positiv an der Regie hervorzuheben ist der Umstand, dass keine plakativ vulgäre Sexualisierung die Bühne überschwemmt. Angekündigt als das „wilde, schöne Tier“, findet „Lulu“, welche die sexuelle Faszination des Weibes repräsentiert (und in jeder Inszenierung auch repräsentieren müsste, weil ansonsten das wesentliche Element des Stückes auf der Strecke bleibt), derart aber nicht statt. Im Original von Wedekind und ursprünglich auch bei Berg nacheinander gezeigt als Frau und Geliebte mehrerer, unterschiedlich gearteter Männer, für einige andere Figuren bloß als unerreichbares Objekt der Begierde, bloß die lesbische Bewunderung der Gräfin Geschwitz duldend, geht bei Freitas dieser ungemein facettenreichen Stoff mit einer rücksichtslosen Kindfrau im Fokus beinahe zur Gänze unter, nimmt das Auge des Publikums doch überwiegend die Akrobat*innen und Tänzer*innen wahr, die den Sänger*innen zur Seite gestellt werden. Glücklicherweise gemahnen Bewegungschoreografien, in denen auch das singende Ensemble immer wieder voran- wie dahinschreitet, an den Expressionismus der Entstehungszeit des Werkes.
Ob man es nun goutieren mag oder nicht, wenn Freitas Libretto und Partitur um eine dritte Ebene, die hin und wieder mit der Handlung verschmilzt, erweitert, aber auch eigene, schwer dechiffrierbare Wege in einem imaginären Raum geht und sich Wiens neue „Lulu“ so jeder Psychologie und jedem Realismus entzieht, lohnt eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis auf jeden Fall, zumal auch die musikalische Seite dieser Neuproduktion durch hohe Qualität aufhorchen lässt. Das beginnt bereits bei den Nebenrollen: Solide Katrin Wundsam (Theatergarderobiere, Gymnasiast), Paul Kaufmann (Prinz, Kammerdiener), Andreas Jankowitsch (Theaterdirektor) und Franz Tscherne (Medizinalrat), sehr gut Martin Summer (Tierbändiger, Athlet). Stark aufhorchen mit ausgeprägtem lyrischem Tenor lässt Cameron Becker als Maler, mehr noch als der tenorgeschmeidige Alwa von Edgaras Montvidas, dem mehr Einheiten mit dem Sprachcoach nicht geschadet hätten. Charakterstark hervorragend besetzt sind zwei Rollen, die gerne ausgewiesenen Sänger*innendarsteller*innen am Ende einer großen Karriere anvertraut werden – Anne Sophie von Otter als Geschwitz und Kurt Rydl als Schigolch begeistern das Publikum, was Ausdruckssingen betrifft. Gebieterischer Sprechgesang, heftige Forte-Ausbrüche werden von einem hohen dramatischen Bass-Bariton als Dr. Schön verlangt: Bo Skovhus bringt das alles noch mit und vermag auch mit gestenreichem Spiel zu überzeugen. Die Hauptrolle muss einem dramatischen Koloratursopran entsprechen, über scharf akzentuierte Spitzentöne wie verführerische Sirenentöne und ruhige Atemführung in melodiösen langen Bögen, dazu noch über laszive Erotik in Stimme und Gestaltung verfügen – nicht oft steht eine Sängerin zur Verfügung, die das alles mitbringt: Vera-Lotte Boecker gelingt dieses Kunststück nach schrillem Beginn hervorragend und wird sie für Ihre Leistung vom Publikum zu Recht bejubelt. Ließe man ihre Erotik, die sie im zweiten Teil zumindest andeutet, in einer Inszenierung auch ausspielen, würde „Lulu“ auch szenisch stattfinden, ihr Businessoutfit einer Sekretärin, in das sie von der Regie gezwängt wird, entbehrt hingegen jeglicher Sexyness. Als Glückfall erweist sich auch das auf moderne Partituren spezialisierte, durchgehend sehr gut disponierte ORF Radiosymphonieorchester Wien, welches unter der formidablen Leitung des jungen Dirigenten Maxime Pascal Alban Bergs großartiges Werk in einem einzigen Aufrauschen lyrisch dramatischer Sinnlichkeit hervorragend umzusetzen weiß. Als bitterer Wermutstropfen entpuppt sich aber die Tatsache, dass sich Pascal und Freitas gegen den dritten Akt entschieden haben, wovon ein vollständiges Particell von Berg vorliegt und der vom kürzlich verstorbenen Friedrich Cerha kongenial instrumentiert wurde, zerstört das Fehlen dieses Teiles doch völlig die Proportionen des Werkes. Daran vermag auch die – verstörende und beklemmend machende – Schlussszene zu den Variationen und dem abschließenden Adagio, wo ein in Schwarz gekleideter Mann (Jack the Ripper?) eine weiße Puppe (Lulu?) missbraucht und meuchelt, nichts zu ändern. Am Schluss gibt es deutliche Bekundungen für die Musik, jedoch nur lauen Applaus für die Szene, durchmischt von wenigen, obligaten Buhrufen.