Zum Saisonfinale gastiert im Großen Saal des Wiener Musikvereins die Staatskapelle Berlin erstmals mit Christian Thielemann, der zu Beginn der Saison 2024/2025 sein Amt als deren neuer Generalmusikdirektor angetreten hat. Und man hat den Eindruck, dass die Kapelle mit einer Tradition von mehr als 450 Jahren bereits „sein“ Orchester geworden ist – iim Hinblick auf die trauteste Harmonie mit der da gemeinsam musiziert, geatmet wird, und dem Umstand, wie bedingungslos das Orchester seinem Chef bereits zu folgen geneigt ist.
Letzteres ist bei einem so heiklen Werk wie der Symphonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 von Anton Bruckner, dem Hauptwerk des Abends nach der Pause, auch Voraussetzung, um eine bis ins letzte ausgefeilte, durchdrungene Wiedergabe wie am 27. Juni 2025 erzielen zu können. Der Komponist selbst hat sie als die „keckste“ seiner Symphonien bezeichnet, was sie wegen ihres unentwegt fließenden musikalischen Verlaufes auch ist, fehlen doch die schroff unvermittelt gegenüberstehenden erratischen Blöcke der anderen Symphonien wie deren Monumentalität, ekstatischen Entladungen und leidenschaftliche Aufgewühltheit.
Heiter ist sie nicht, diese Sechste, aber umso männlich majestätischer kommt der erste Satz daher, zu dessen Hauptthema Bruckner von einem militärischen Trompetenmotiv, der „Retraite“, inspiriert worden sein soll. Das Adagio, traditionell an zweiter Stelle stehend, ist ein fließend trauriger Gesang von erlesener Schönheit, das Scherzo kurz, voller Fantasie, ungemein farbig, das Finale zwar wirkungsvoll, die Höhen der ersten beiden Sätze nicht erreichend, weil etwas äußerlich, was vielleicht der Grund sein mag, dass das herrliche Werk eher selten auf den Konzertprogrammen zu finden ist.
Thielemann und die an diesem Abend in allen Instrumentengruppe bestens disponierte, spielfreudige Formation – schimmernd samtige Streicher, keckes Holz, strahlend rundes Blech – bringen all‘ das wunderbar zur Geltung, das Finale nimmt Thielemann ungemein ernst, sodass zur großen Wirkung auch noch grüblerischer Ernst und stimmungsvolle Tiefe dazu kommen. Das Werk in seiner ganzen Individualität erstrahlt nahezu in seiner ganzen Schönheit und Individualität. Unter dem – auswendigen – Dirigat Thielemanns breitet sich ein virtuoses Geflecht aus filigranen Tönen, groß angelegten und gesteigerten Spannungsbögen wie beeindruckender, fesselnder Tiefe aus.
Der erste Satz überwältigt nahezu mit Energie, Rhythmik und Spannung, melancholisch einfühlsam entwickelt sich das Adagio unter seiner Stabführung zum großen Trauergesang, im Scherzo zieht Thielemann alle Register und begeistert im Finale transparentes wie kraftvolles, höchst differenziertes Orchesterspiel. Schöner, überzeugender kann eine tolle Saison im Musikverein nicht ausklingen wie mit einer derartig leuchtkräftigen, klanggewaltigen Wiedergabe einer Symphonie von Bruckner.
Vor der Pause noch sieben Orchesterlieder von Richard Strauss, gesungen von Erin Morley, einer lyrischen Koloratursopranistin aus Salt Lake City, Utah, USA. „Flieg leicht hinaus in die Mondscheinnacht“ heißt es im „Ständchen“ – und genauso klingt die Stimme der bezaubernden Sängerin, die mit schön aufblühenden, stratosphärischen Höhen das Publikum zu begeistern vermag. Als besondere Zugabe und Erstaufführung im Wiener Musikverein erklang „Nacht“ von Thomas Hennig, inspiriert durch Klavierskizzen von Richard Strauss.