Schostakowitsch fulminant: Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie im Wiener Musikverein

Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie zu Gast im Wiener Musikverein © Thomas Rauchenwald

Dmitri Schostakowitsch, die Musikwelt gedenkt heuer seines 50. Todestages, reagierte mit seiner Symphonie Nr. 5 d-moll op. 47, uraufgeführt von Jewgeny Mrawinsky in Leningrad im November 1937, auf die scharfen Angriffe in der Prawda, die in Zeiten des stalinistischen Terrors lebensbedrohlich waren. Es gelang ihm mit dieser Komposition – trotz des oberflächlich vordergründigen Einlenkens auf die offizielle Parteilinie – ein künstlerisch bedeutsames Werk zu schaffen, das zwischen den Zeilen eine ergreifende Anklage darstellt.

Mit der Tschechischen Philharmonie, deren Chefdirigent er seit der Saison 2018/2019 ist, gelingt es Semyon Bychkov am Nachmittag des 2. März 2025 im Wiener Musikverein fulminant, die Doppelbödigkeit, vor allem jene des falschen Jubels, dieses Meisterwerkes beeindruckend herauszuarbeiten wie tiefschürfend zu vermitteln. „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. …“ – formulierte Schostakowitsch selbst seine Absichten mit diesem Werk.

Furchterregend spannend, latent bedrohlich und beklemmend klingt diese Symphonie in der herben, schroffen Interpretation von Semyon Bychkov. Brutale Orchesterschläge, gewaltigen Hammern gleich, stehen neben feinen, zart lyrischen Streicherlinien, bohrend bedrohliche Passagen der Celli und Bässe neben filigranem Holz. Den schmerzhaften Charakter des ersten Satzes (Moderato) wie das betonte, extrem Groteske von Schostakowitsch Musik im zweiten Satz (Allegretto) erfasst Bychkov meisterhaft; den dritten Satz, ein breit ausschwingendes Largo, steigert er zum beinahe unerträglichen Lamento, um im vierten Satz (Allegro non troppo) genau jene verzerrende, denn befreiende Wirkung zu erzielen, die Schostakowitsch beabsichtigte, indem er die durch permanente Tonwiederholungen gestörten, hymnisch aufgetürmten Steigerungen unerbittlich schnörkellos, ohne jegliche Effekthascherei höchst differenziert musizieren lässt.

Für diese hervorragende Interpretation steht ihm ein sehr gut aufgestelltes Orchester zur Verfügung, ein klares und transparentes Klangbild vermittelnd, nie laut lärmend, sondern räumlich differenziert sowohl in der Breite wie auch in der Tiefe. Die Soli – Flöte, Klarinette, Fagotte – tönen sehr sinnlich, geschmeidig die Streichergruppe. Das saubere, präzise Zusammenspiel der Formation ist beeindruckend.

Zupackend und vorwärtsdrängend: Bychkov ergeht sich nie in manieriert langsamen Tempi, setzt nicht auf verstärkte Rubato-Effekte, um den entsprechenden Stellen des Werkes zusätzlich eine besondere Bedeutungsschwere zu verleihen. Das Bizarre, Groteske, die Doppelsinnigkeit des Werkes wird dadurch am besten dargeboten, kommt derart zwingend zum Ausdruck. Die dynamische Gestaltung geht, werkimmanent, bisweilen in Extreme, intensiv wie expressiv – und provoziert entsprechenden Publikumsjubel.

Vor der Pause überzeugt und begeistert der junge britische Cellist Sheku Kanneh-Mason mit seiner fein flackernden, vibrierenden Interpretation des, Mstislaw Rostropowitsch gewidmeten, Konzertes für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107 von Schostakowitsch. Sein Instrument, ein Violoncello von Matteo Goffriller aus dem Jahr 1700, eine Leihgabe auf unbestimmte Zeit, verfügt über einen fast zu feinen Ton für das virtuose Konzert, die Werkgestaltung ist dennoch gelungen. Zum Höhepunkt gerät der elegische zweite Satz mit seinem weit ausschwingenden Hauptthema des Soloinstrumentes und einem famos geblasenen, verhaltenen Horn-Solo.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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