„Mit dem Ring hat Wagner versucht, die Welt zu ergründen, im Modell zu erklären – und das über eine geradezu privat entwickelte, oder zumindest weiterentwickelte Mythologie. Wir haben also einen ganzen Kosmos vor uns, der abseits von der Trias Tristan-Meistersinger-Parsifal liegt.“ – so Franz Welser-Möst im Vorfeld von zwei Zyklen von Richard Wagners gewaltiger Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, die der Österreicher, Musikdirektor in Cleveland, im Juni 2023 an der Wiener Staatsoper dirigiert hatte. Welser Möst betont auch die Tradition des Orchesters der Wiener Staatsoper, „dieses unbestritten großartigsten Opernorchesters der Welt“, über das der Dirigent ins Schwärmen gerät und erklärt, „dass dieser süße Wiener Geigenklang schon zu Wagners Lebzeiten genau in dieser Form existiert hat.“ Der besuchte Zyklus am 21., 22. 25. und 30. Juni 2023 ist aber auch der letzte in seinem Leben, bei dem der Dirigent am Pult gestanden ist. Wie schon „Elektra“ von Richard Strauss legt er nun auch Wagners „Ring“ bewusst zur Seite, weshalb beim Zuhören auch eine gewisse Wehmut mitgeschwungen ist, hat man doch die Ring-Interpretation dieses Dirigenten ungemein liebgewonnen.
Und es wurde in der Tat ein besonderes Ereignis. Straff, zügig, mitunter forsch, analytisch in höchster Transparenz, den großen Wagner-Klang, wo erforderlich, nicht vermissen lassend, durchmisst Welser-Möst mit dem ihm in allen Belangen bereitwillig folgenden Orchester die Tetralogie. Gestaltung, Tempodramaturgie, das Aufbauen und Halten von groß angelegten Spannungsbögen gelingen organisch fließend, wie aus einem Guss. Der Bühne ist Welser-Möst ein kongenialer Partner, gibt alle Einsätze, unterstützt, wo er nur kann. Einsame Höhepunkte an diesen vier Abenden sind die rein orchestralen Passagen, wo das Orchester der Wiener Staatsoper seine ganze Sinnlichkeit wie Leuchtkraft ausspielen kann. Einfach beeindruckend, wie fulminant die Formation auch am Ende einer langen Saison noch aufzuspielen in der Lage ist, ohne jegliche Ermüdungserscheinungen selbst noch im „Trauermarsch“ wie im Orchesterfinale der „Götterdämmerung“, wie das gewaltige Schlusswerk überhaupt wie ein einziger reißender Strom daherkommt. Dass Dirigent und Orchester vom Publikum für diese Leistung frenetisch gefeiert werden – lautstarke Zustimmung für Welser-Möst und die unvergleichliche Formation gab es schon vor jedem Aktbeginn – versteht sich von selbst.
Gerät dieser letzte „Ring“ Welser-Mösts zum Orchesterfest per excellence, ist die Besetzung doch ein wenig durchwachsen. Herausragende – Klaus Florian Vogt als Jung-Siegfried, Tomasz Konieczny als Walküren-Wotan und Wanderer-Wotan im zweiten und dritten Akt von „Siegfried, Mika Kares als Hagen – und sehr gute Leistungen – Ricarda Merbeth als Brünnhilde, Simone Schneider als Sieglinde, Tanja Ariane Baumgartner als Fricka, Michael Nagy als Alberich, Michael Laurenz als Loge und Matthäus Schmidlechner als Mime – sind da zu hören, leider auch ungenügende, die doch Wermutstropfen, was die SängerInnen betrifft, hinterlassen haben – Eric Owens als Rheingold-Wotan und Wanderer-Wotan im ersten „Siegfried“-Akt und Daniel Frank als Siegmund und Siegfried in „Götterdämmerung“.
Und hoffen, wünschen, dass uns Franz Welser-Möst als „Ring“-Dirigent weiterhin erhalten bleibt, darf man ja … Das Privafoto zeigt den Dirigenten beim Solovorhang nach der Aufführung „Siegfried“ am 25. Juni 2023.