„Es gibt Stellen in diesem Werk, von denen kann ich gar nicht genug kriegen.“ – bemerkt der Dirigent über dieses Werk und so ergeht es wohl den meisten im gespannt lauschenden Auditorium am Abend des 11. September 2023, wenn Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden, der das Werk vom Komponisten auch gewidmet ist, zum Auftakt der neuen Saison im Wiener Musikverein „Eine Alpensinfonie“, op. 64 von Richard Strauss zur Aufführung bringen. Es handelt sich bei dem oft mit gehässigem Spott bedachtem, kolossalen Werk um jenes Stück, mit dem Thielemann am 7. Oktober 2000 am Pult der Wiener Philharmoniker bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien höchst erfolgreich debütierte – und natürlich haben sich sein Verständnis und seine Interpretation in diesen beinahe 23 Jahren verändert. War es damals vor allem der Klangrausch, der faszinierte, sind es jetzt diese unglaublichen Orchesterfarben, die Thielemann dem Orchester entlockt bei all‘ dem großen, für das Werk natürlich essenziellen Klang. Dirigent Thielemann hat das Werk im kleinen Finger, was eine höchst kompakte, in sich geschlossene Interpretation nach sich zieht. Das oft missverstandene Werk, dem ein philosophisches Menschenleben mit allen Höhen und Tiefen, Stürmen sowie einem versöhnlichen Ausklang zu Grunde liegt, wird vom in allen Instrumentengruppen bestens disponierten Orchester in fein abgestufter Differenziertheit, Brillanz und Klangpracht dargeboten, wie man es nicht alle Tage zu hören bekommt. Am meisten beeindrucken neben den machtvoll aufgebauten, spannungsgeladenen Steigerungen die herbstlichen Farben, mit denen Thielemann das Werk nach dem Gewitter ausklingen, ja in einem Guss ausschwingen lässt. Lange Stille, bevor der Applaus losbricht, unterstreichen noch die ungemeine Wirkung dieser Aufführung. Besonders hervorzuheben ist der einfach phänomenale Solohornist des Orchesters, Zoltán Màcsai, der auch in der als Zugabe gespielten „Mondscheinmusik“ aus dem Konversationsstück für Musik „Capriccio“ von Richard Strauss zu brillieren weiß.
Vor der Pause gab es ein selten gehörtes Stück – Der Schwanendreher. Konzert nach alten Volksliedern für Bratsche und kleines Orchester von Paul Hindemith – mit Antoine Tamestit als Solisten, der auf einem wundervollen Instrument, einer Viola von Antonio Stradivari aus 1672 spielt und mit kräftig vollem Ton das Publikum bei diesem schönen wie abwechslungsreichen Werk in seinen Bann zu ziehen vermag. Auch hier gab es noch eine Zugabe – den ungemein virtuosen IV. Teil aus der Sonate für Bratsche solo op. 25. Nr. 1 von Paul Hindemith.
In seiner kurzen Ansprache zur Saisoneröffnung vor dem Konzert durfte Intendant Stephan Pauly zu Recht stolz auf fast 800 Konzerte in ca. 70 Abonnementzyklen verweisen, die der Musikverein seinem Publikum in der aktuellen Saison anbieten kann, wobei selbstverständlich neben den besten Solistinnen und Solisten auch die besten Orchester mit den besten Dirigentinnen und Dirigenten gastieren. Tritt man nach dem Konzert beglückt von den gehörten Klängen in eine laue Wiener Spätsommernacht, erscheint es umso weniger nachvollziehbar, weshalb der Freistaat Sachsen den Vertrag von Thielemann als Chefdirigenten der Staatskapelle Dresden mit 31. Juli 2024 auslaufen lassen und nicht zur Verlängerung gebracht hat.