Philippe Jordan steht als Generalmusikdirektor zum letzten Mal am Dirigentenpult der Wiener Staatsoper. GÖTTERDÄMMERUNG, Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ mit Dichtung und Musik von Richard Wagner, beendet am 28. Juni 2025 auch seinen zweiten Ring-Zyklus in diesem Haus. Zu Beginn ziert eine Rose das Pult beim Erscheinen des scheidenden Generalmusikdirektors.
Zwei Tage vor Ende einer langen Saison präsentiert sich das Orchester der Wiener Staatsoper in hervorragender Form, ausgenommen die Hörner und Tuben, die Philippe Jordan zu Beginn des dritten Aktes gehörig im Stich lassen. Sein Dirigat ist zügig, forsch, stark akzentuiert angelegt, große Spannungsbögen entstehen, werden aufgebaut und bis zur Kulmination gesteigert, reißen während der ganzen Aufführungsdauer von fünf Stunden und zwanzig Minuten inklusive zweier Pausen nicht ab. Jordan atmet und gestaltet mit den SängerInnen, führt sie durch die komplexen Klippen des Riesenwerkes, unterstützt, wo er nur kann. Als zusätzliche Höhepunkte erklingen die instrumentalen Abschnitte – die gleißende Morgendämmerung, die stürmische Rheinfahrt, der markerschütternde Trauermarsch und das furiose, fließende Orchesterfinale.
Zu sehen ist noch immer die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf die sich in ihrer kargen, werkimmanenten Ästhetik – Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg – auf das Wesentliche beschränkend, nach wie vor für ein großes Repertoirehaus geeignet erweist, vor allem, wenn sich SängerInnendarstellerInnen um überzeugendes Spiel bemühen wie an diesem Abend.
Gesungen wird solide bis ausgesprochen exzellent. Gleich zu Beginn hinterlassen die Nornen (Monika Bohinec, Szilvia Vörös und Regine Hangler) starken Eindruck, ebenso homogen zu Beginn des dritten Aktes die Rheintöchter (Ileana Tonca, Isabel Signoret und Stephanie Maitland), alle aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper. Höchst überzeugend agieren die Gibichungen: Clemens Unterreiner als charakterlich stark ausgeprägter Gunther, Regine Hangler als gleißend verführerische Gutrune. Weniger zur Geltung kommen an diesem Abend die Nibelungen: Jochen Schmeckenbecher ist mit schwacher Stimme nur ein Hauch von einem dämonischen Alberich, Samuel Youn zwar ein ausdrucksstark gestaltender Hagen, sein Bassbariton verfügt jedoch über zu wenig an Kraft und Fülle, um in dieser großartigen Rolle wirklich überzeugen zu können, ein durch und durch böser Hagen sollte an einem ersten Haus wie der Wiener Staatsoper mit einem mächtigen, schwarzen Bass besetzt sein. Derart verblassen zwei der stärksten Stellen des Riesenwerkes – Hagens Wachgesang im ersten, die Begegnung Hagen mit Alberich im zweiten Aufzug – nahezu, trotz abgründig fahler Orchesterfarben. Ensemblemitglied Szilvia Vörös singt eine warme, sorgenvolle Walkürenschwester, Waltraute, bisweilen ein wenig schrill in der Höhe. Zum Ereignis machen – neben dem Dirigat von Philippe Jordan und dem Orchester – den Abend aber zwei ausgeprägte Persönlichkeiten: Als Wälsungenspross, Siegfried, beeindruckt Andreas Schager wieder einmal mit schier endlos heldentenoralen Reserven, trotz Virusinfektion scheint Anja Kampe als Wunschmaid, Brünnhilde, stimmlich über den Dingen zu stehen. Ihr hochdramatischer Sopran ist strahlend stählern, die breite, volle, kerngesunde Mittellage schneidet nur so durch die Orchesterwogen, das hat man lange nicht so im Haus am Ring hören, erleben können. Dazu kommen bei beiden Protagonisten eine bewegende, im Fall von Frau Kampe auch berührende Rollengestaltung.
Am Ende nach fünf Jahren als Generalmusikdirektor wieder Rosen für Philippe Jordan – vom Publikum, vom Orchester. Das Amt bleibt fortan vakant. Die Einschätzung, dass ein Haus mit einer derart hohen musikalischen Qualität wie die Wiener Staatsoper ein paar Saisonen auch ohne Generalmusikdirektor auskommen kann, mag zwar grundsätzlich richtig sein, dennoch benötigt auch das Haus am Ring einen solchen, stellen doch das Paradeorchester und ein Chef die Grundlage seines Betriebes dar. Die Ernennung Philippe Jordans, der sehr viel für das Haus geleistet hat, zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper im Anschluss an seine letzte Vorstellung wäre nur allzu adäquat gewesen. Und vielleicht hätten die österreichischen Bundestheater und die Kulturverantwortlichen der Republik diesen ausgezeichneten Dirigenten, der sich um Premieren wie Repertoire mehr als bemüht und sehr verdient gemacht hat, nicht so einfach ziehen lassen sollen.