Strauss’sches Melos mit Wagner-Pathos: Lise Davidsen als „Ariadne“ an der Wiener Staatsoper

Die norwegische Sängerin Lise Davidsen - ganz groß als "Ariadne" in Wien © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

In einer Serie von vier Vorstellungen hätte die russische Diva Anna Netrebko an der Wiener Staatsoper die echte Primadonnen-Partie der „Ariadne“ in Richard Strauss Oper in einem Akt nebst einem Vorspiel, „Ariadne auf Naxos“, mit dem Text von Hugo von Hofmannsthal singen sollen, erkrankte jedoch und wurden alle Vorstellungen von der norwegischen Sängerin Lise Davidsen übernommen.

Erforderlich für diese wunderbare Partie ist ein schwebender, jugendlich-dramatischer Sopran, mit der Fähigkeit einerseits zum Jubel, andererseits zum Aufblühen in der Höhe, voll, sinnlich, reich an Farben, glänzend, kraftvolle Aufschwünge sollten kein Problem darstellen, ausgestattet mit sehr guter Tiefe und Mittellage. Frau Davidsen verfügt im Grunde über all‘ diese Attribute, ihre Stimme ist jedoch schon beinahe zu groß, zu auftrumpfend, zu kräftig für eine fein subtile Gestaltung der Partie wie Elisabeth Schwarzkopf, Gundula Janowitz oder Renée Fleming. Diese kleinen Einwände sollen die großartige Leistung der Sängerin jedoch nicht schmälern, seit Jessye Norman hat man vermutlich keine solch‘ starke Rolleninterpretin mehr erlebt wie Frau Davidsen: gleißend leuchtende, groß ausgesungene Bögen sind da zu vernehmen, die blühende Melodik von Richard Strauss strahlt in vollem Wagner-Pathos, mühelos füllt die hervorragend geführte Stimme den Raum im Haus am Ring.

An ihrer Seite besteht Michael Spyres hervorragend als Bacchus in der fordernden, hoch notierten Extrempartie. Schmelzreich, mit Stimmglanz wie Strahlkraft agiert der US-amerikanische Tenor, muss lediglich bei den Phrasierungen und Attacken zwischendurch nachjustieren, weil das Tempo der Musik in erster Linie auf das Einschwingen von Frau Davidsen abgestimmt zu sein scheint, deren immer schwerer werdendes Stimmorgan dafür doch etwas mehr Zeit benötigt. Als Zerbinetta begeistert die Spanierin Sara Blanch das Publikum vor allem mit ihren geläufigen, sicheren Koloraturen und behändem, quirligem Spiel; ihr Sopran klingt hell und silbrig, ist sehr geläufig, die Artikulation erscheint verbesserungswürdig. Engagiert, temperamentvoll, sympathisch, wirft sich Kate Lindsey mit ihrem bewegenden Mezzosopran in die Rolle des jungen Komponisten, die zarte Annäherung von Zerbinetta und dem Jüngling im Vorspiel gerät sehr berührend. Mehr als rollendeckend besetzt sind die kleinen und (Neben)Rollen: Adrian Eröd ist inzwischen zum prägnanten Musiklehrer gereift und tritt damit in die Fußstapfen seines Lehrers Walter Berry, alle übrigen Partien sind mehr oder weniger  rollendeckend besetzt. Am Pult des fein musizierenden wie am Schluss werkimmanent groß aufspielenden Orchesters der Wiener Staatsoper waltet wie in den drei Vorstellungen zuvor in der 40. Aufführung des Werkes am 31. Januar 2025 in der ansprechenden, repertoiretauglichen Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf mit Umsicht der Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister. Bissig herrschaftlich spielt Bernhard Schir den Haushofmeister.

Ihre für Juni 2025 geplanten Auftritte an der Wiener Staatsoper – Sieglinde in „Die Walküre“, Marschallin in „Der Rosenkavalier“ – muss Lise Davidsen absagen – aus freudigem Anlass: Die Sängerin erwartet Zwillinge.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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