LES CONTES D’HOFFMANN – fantastisch inszeniert an der Oper Graz

Hofmanns Erzählungen
Das Ensemble von "Les contes d'Hoffmann" beim Schlussapplaus © Thomas Rauchenwald

Die Oper Graz hat die laufende Saison am 30. September 2023 mit LES CONTES D’HOFFMANN, der am 10. Februar 1881 an der Opéra-Comique Paris uraufgeführten opéra-fantastique in fünf Akten von Jacques Offenbach (1819 – 1880), eröffnet. Das Libretto stammt von Jules Barbier – nach dem gleichnamigen, 1881 uraufgeführten Theaterstück von Jules Barbier und Michel Carré, das auf verschiedenen Erzählungen des deutschen, romantischen Schriftstellers E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822) beruht.

Vor der Fertigstellung des Werkes gestorben, musste der Komponist das Werk als unvollendeten Torso hinterlassen, weshalb unterschiedliche Fassungen von der Oper existieren. Viel für verschollen gehaltenes Material ist in den letzten Jahrzehnten entdeckt, gesichtet und ausgewertet worden. Anhand einer vom Schott-Verlag Mainz zur Verfügung gestellten Zusammenführung aller bisher bekannten Quellen, der sog. „Kaye-Keck-Fassung“, kann sich jedes Opernhaus eine ihrer Konzeption entsprechende Version erarbeiten. Und Offenbach selbst hätte wohl Gefallen daran gefunden, dass sein „Hoffmann“, Mysterium und Summe seines künstlerischen Schaffens, nie wirklich zu Ende erzählt worden ist.

Der Dichter Hoffmann ist in der Oper selbst der Held der Erzählungen – im Gegensatz zu den literarischen Werken Hoffmanns, in denen die männlichen Helden andere Namen tragen oder fiktive Ich-Erzähler sind. Auf den erklärenden ersten Akt, worin die Muse darüber in Kenntnis setzt, dass sie beabsichtigt, den Dichter von seinen unglücklichen Liebschaften abzulenken und zur Dichtkunst zurückzuführen, schließen die drei Mittelakte mit den inhaltlich voneinander völlig unabhängigen Erzählungen über reale oder traumhafte Liebeserlebnisse Hoffmanns an und besinnt sich Hoffmann im abschließenden fünften Akt auf die Kunst, indem er der Muse folgt. Inhaltlich zusammengehalten werden die fünf Akte durch die Forderung des Komponisten, die vier Geliebten Hoffmanns, die vier Widersacher sowie die vier Dienerrollen jeweils von denselben Interpreten singen zu lassen, was im Fall der Bösewichte und Domestiken unerlässlich, im Fall der Frauen wegen der unterschiedlichen Stimmlagen bzw. Stimmcharaktere problematisch erscheint, weshalb verschiedene Interpretinnen der Frauenrollen zweckmäßig erscheinen. Die in der Oper enthaltene Anspielung auf Mozart ist kein Zufall: Beide Künstler, Offenbach und E. T. A. Hoffmann, begeisterten sich für Mozart. Entsprechend der Erzähl- wie Fabulierkunst E. T. A. Hoffmanns ist der spannende Kontrast karikierend-komischer und expressiv-tragischer Elemente charakteristisch für Offenbachs abwechslungsreiche Musik.

Jacques Offenbachs Oper über Schaffen und Scheitern eines Künstlers wird in dieser Neuproduktion der Oper Graz, die eine Koproduktion mit der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf darstellt, gleich vier Regieteams mit komplett unterschiedlichen Ansätzen anvertraut. Regisseur Tobias Ribitzki sorgt für die Kontinuität des ersten und fünften Aktes, dieser Teil der Produktion ist im Hinblick auf die Regiearbeit noch die herkömmlichste. Für den Olympia-Akt, basierend auf E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“, sorgt die britische Theatergruppe 1927 mit einer Kombination aus Projektion, Filmanimation und live acting. Der aus Australien stammende Puppenspieler Neville Tranter inszeniert mit lebensgroßen bizarren Klappmaulpuppen, von Sänger: innen und Puppenspieler: innen gemeinsam geführt, den auf der Erzählung „Rat Krespel“ von E. T. A. Hoffmann zurück gehenden Antonia-Akt. Schließlich gestaltet die niederländische Choreographin Nanine Linning mit Tanz, Couture, Design, Licht, Video und bildender Kunst den auf „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“ E. T. A. Hoffmanns beruhenden Giulietta-Akt. Die skurril-fantastischen Erzählungen eines Romantikers werden szenisch höchst abwechslungsreich umgesetzt – eine Umsetzung, die dem zwischen Realität und Surrealem ständig hin und her pendelnden Werk mit Alkohol, Bühnenzauber, Frauen, Ironie, Parodie und Travestie in all‘ seinen Facetten gerecht wird. Ein kleiner Einwand, bezogen auf die nuancenreiche Regiearbeit wäre, dass für die Gestaltung des Olympia-Aktes die Klappmaulpuppen und vice versa für den Antonia-Akt die Kombination von 1927 besser geeignet gewesen wäre, was aber die großartige Inszenierung im Gesamten nicht wirklich beeinträchtigt.

Was das Musikalische betrifft, hat man sich in Graz für die Rezitativfassung und nicht für die Dialogfassung entschieden und wird im Giulietta-Akt Dapertuttos Arie „Tourne, tourne, miroir“ – und nicht „Scintille, diamant“ – gespielt. Unter der Leitung von Johannes Braun wird von den engagierten Grazer Philharmonikern auch in der Derniére am 6. Janmuar 2024 straff und zügig, mit Verve und Biss, musiziert; etwas mehr an französischen Charme, Parfum und eleganten Charme hätte man sich bisweilen gewünscht. Der Chor und der Extrachor der Oper Graz, Choreinstudierung von Johannes Köhler, ist seiner Aufgabe gut gewachsen.

War die Titelpartie in der Oper ursprünglich noch für Bariton konzipiert, steht und fällt heute das Stück auf der Opernbühne mit einem Tenor allererster Güte, was Gesang und Darstellung betrifft. Matthias Koziorowski, ein deutscher Tenor aus Essen, seit der Spielzeit 2021/2022 dem Ensemble der Oper Graz angehörend, hat sich dieser spannenden wie dankbaren Herausforderung in insgesamt 15 (!) Aufführungen gestellt und besticht auch in der letzten Aufführung mit Totaleinsatz, mit dem er seinen lyrischen Tenor mit Emphase in die Partie wirft. Niemand kann es dem jungen Sänger verübeln, wenn er am Ende dieser Herkules-Aufgabe mitunter ein wenig angestrengt, vor allem in den Höhen, klingt. Bemerkenswert, wie er ständig versucht, seinem wohl für Tenorpartien von Mozart oder Britten hervorragend geeigneten Tenor französische Stilistik und eine „voix mixte“ abzuringen. Sein Widersacher – Lindorf, Coppelius, Miracle, Dapertutto – wird von Petr Sokolov gegeben, der mit starkem, etwas eindimensionalem Bariton die vier Bösewichte singt, etwas mehr an Differenzierung statt permanent stimmlicher Kraftmeierei hätte hier nicht geschadet. Sehr gut agieren an diesem Abend die Damen auf der Bühne – die koloratursichere Tetiana Zhuravel als Olympia, die großstimmige Mareike Jankowski als Giulietta, vor allem aber die fein charmante Andzelika Wisniewska als La Muse/Nicklausse und die mit wunderbar lyrischem Sopran großartig singende Anne-Fleur Werner als Antonia.

Das Publikum spendet allen Ausführenden in der besuchten Derniére lautstarken Beifall mit standing ovations.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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