„In ungemess’nen Räumen, übersel’ges Träumen“ – „Tristan und Isolde“ wieder in Wien

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Richard Wagners opus metaphysicum, die Handlung in drei Aufzügen „Tristan und Isolde“, steht wieder auf dem Programm der Wiener Staatsoper und wird die Aufführung vom Publikum hefig akklamiert – zu Recht, wird doch dem Publikum am 17. September 2023 hohes Wagner-Glück beschert.

Die reine Freude an Hörgenuss ist wieder einmal das in allen Gruppen bestens disponierte Orchester der Wiener Staatsoper mit herausragenden Solisten der Wiener Philharmoniker an den ersten Pulten. So klingt auch Wagner nur an Festtagen, was auch das Verdienst von Philippe Jordan ist, der, es scheint so, mit dem Orchester zu einer vertrauten, mittlerweile hervorragend harmonisierenden Einheit zusammengewachsen ist. Ausgehend von einem schlanken, noch etwas zu getragen musizierten Vorspiel steigert er Gehalt und Größe der Partitur von Akt zu Akt, musiziert in einem rauschhaften Sog, den er zu entfachen versteht und dabei nicht nur auf die Wirkung der Musik Wagners vertraut, sondern eigene Akzente in puncto Gestaltung, Dynamik und Tempo setzt, bleibt aber der Bühne stets ein hilfreicher Diener. Schade, dass er das Haus als Musikdirektor nach Ablauf der Saison 2024/2025 wieder verlassen wird, versteht er es doch die unterschiedlichsten Werke auf höchstem Niveau zu interpretieren. Besonders hervorsticht das groß musizierte Vorspiel zum dritten Akt und die ohne Strich gegebene Szene zwischen Tristan und Isolde im zweiten Akt, wo sich die Stimmen und das Orchester nahezu magisch mischen.

Der von Martin Schebesta einstudierte Chor der Wiener Staatsoper entledigt sich seiner nicht allzu großen Aufgabe mit schallendem Chorgesang, die kleinen Partien sind allesamt rollendeckend aus dem hauseigenen Ensemble besetzt: Martin Hässler als Melot, Hiroshi Amako (Hirt), Jusung Gabriel Park (Steuermann) und Katleho Mokhoabane (Stimme eines jungen Seemanns). Iain Paterson mit hellem Bariton wird von Aufzug zu Aufzug stärker als Kurwenal, Ekaterina Gubanova gibt eine starke, sorgsame, schön tönende Brangäne. Günther Groissböck ist an diesem Abend bei seinem Rollendebüt am Haus als Marke mit großer Bassstimme kein leidender, klagender König, sondern ein anklagender, betroffen beleidigter Monarch. Andreas Schager singt die Titelrolle wie gewohnt mit kräftigem Heldentenor und Riesenstimme, mit bestechender Robustheit und Ausdauer, aber auch ungemein differenziert und ganz auf Linie. Gestaltung steht an erster Stelle und der sympathische Sänger verlässt sich nicht darauf, die schwere, gewaltig fordernde Riesenpartie mit stentorhaften Tönen nur bis zum Schluss zu stemmen. Die Krone des Abends gebührt Anja Kampe in der weiblichen Titelrolle, ebenfalls ein Rollendebüt am Haus, verfügend über einen stimmschönen wie nahezu bereits hochdramatischen Sopran mit perfektem Stimmsitz. Faszinierend, wie mühelos und souverän sie die schwere Partie zu singen wie zu interpretieren weiß. Ihr gelingt im Verlauf des Abends einfach alles, gekrönt von einer voll ausgesungen Verklärung – unterstützt von Jordan, der zum Ausklang sein vorher mitunter entfesseltes Tempo zurücknimmt, um der Sängerin dieses stimmliche Ausfluten zu ermöglichen. So hat man „Tristan und Isolde“ lange nicht gehört!

Dröhnte bei der Premiere im April 2022 beim Erscheinen des Regieteams noch ein veritabler Buhorkan durch das Haus am Ring, hat man sich an die Seelenräume evozierende Inszenierung von Calixto Bieito mittlerweile gewöhnt. Manches erscheint schlüssig, manches wirft mehr und mehr an Fragen auf; man muss der Regiearbeit aber zugestehen, in gewisser Weise im Einklang mit der Musik zu stehen. Der katalanische Regisseur verarbeitet bewusst eigene Assoziationen und möchte auch beim Zuseher Assoziationen wecken. Der aufmerksame Betrachter wird dabei von Szene zu Szene sogartig in eine an einen film noir á la Luis Bunuel erinnernde Vorstellung hineingezogen. Wichtig ist Bieito dabei offensichtlich das extreme Verhältnis von Liebe und Tod. Der mittelalterliche Versroman Gottfried von Straßburgs als Wagners Vorlage interessiert Bieito dabei nicht; er schafft mit Hilfe von Wagner eine Art Traumgedicht, rätselhaft, mit Gedanken, Träumen, Rätseln, Sehnsüchten, Wünschen, die jeder für sich auf seine Art und Weise nachvollziehen, entdecken, erfahren kann. Bieitos Szene ist enorm heftig, stark, mitunter befremdlich, verstörend. Es sind Filme, die Bieito besonders intensiv inspirieren: Lars von Triers „Breaking the waves“, Francois Truffauts „La femme d’a coté“, dessen dunkelstes Werk, die tragische Geschichte einer amour fou und Stanley Kubricks „Eyes, wide, shut“, basierend auf Hieronymus Bosch‘ Triptychon „Der Garten der Lüste“. Was in Bietos Inzenierung besonders einnimmt und nachhaltig im Gedächtnis des Zuschauers bleibt, ist eine grandiose, exzeptionelle Personenregie, an Intensität, Kraft, Stärke und Dichte kaum zu übertreffen und gleichzeitig subtil psychologisierend, die Beziehungen der handelnden Personen bereits abgründig erfahrbar, deutlich wie unmittelbar zwingend herausarbeitend.

Wagnerianer sollten „Tristan und Isolde “ an der Wiener Staatsoper nicht auslassen. Das Privatfoto zeigt die Ausführenden beim Schlussapplaus.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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