In Oslo zu Besuch bei „Blaskjeggs Borg“

Blaskjeggs Borg
Die Beteiligten beim Schlussapplaus in der Norwegischen Oper Oslo © Thomas Rauchenwald

Architektonisch betrachtet, stellt es eine Symphonie, einen Traum aus Stein, Glas, Marmor und Holz, dar, das Neue Opernhaus am Kirsten Flagstad Plass in Oslo, seit April 2008 die Spielstätte der Norwegischen Oper. Dieses größte Kulturprojekt der Nachkriegszeit in Norwegen ist einem treibenden Eisberg nachempfunden, wurde vom norwegischen Architekturbüro „Snohetta“mit Christoph Kapeller als Design Leader und Project Director entworfen sowie gebaut und hat sich zum neuen Wahrzeichen der norwegischen Hauptstadt entwickelt.

Als erste Neuproduktion im neuen Jahr setzt Den Norske Opera Oslo auf eine gleichsam interessante wie spannende Operntrilogie: Unter dem Namen „Blaubarts Burg“ werden drei Stücke auf ungewöhnliche Art zusammengefasst – und zwar der von Robert Schumann für mittlere Stimme und Klavier auf Texte aus dem gleichnamigen Gedichtzyklus von Adelbert von Chamisso komponierte Liederzyklus „Frauenliebe und Leben“, der nahtlos übergeht in die von Béla Bartok komponierte Oper in einem Akt mit dem Libretto von Béla Balász „Herzog Blaubarts Burg“ und, nach der Pause, „Eine florentinische Tragödie“, einer Oper in einem Akt von Alexander von Zemlinsky, wozu der Text auf der gleichnamigen Dichtung von Oscar Wilde in der deutschen Übersetzung von Max Meyerfeld beruht. Kann so ein Konglomerat an Stücken, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, gut gehen?

Es kann, wie die außergewöhnliche Produktion beweist, wenn so ein Regisseur wie Tobias Kratzer sich intensiv mit den Werken auseinandersetzt, eine über den Maßen kluge Regie mit oft überraschenden Wendungen schafft und auf die drei Stücke lebendig gegenwärtig zugreift. Kratzer spinnt so etwas wie einen roten Faden durch die drei Werke, man könnte es als Auseinandersetzung mit toxischen männlichen Charakteren bezeichnen. Unterstützt wird er bei seiner zeitgemäßen Arbeit wie gewohnt von Rainer Sellmaier, Michael Bauer und Manuel Braun, was Ausstattung, Lichtdesign und Videodesign betrifft: Zur subtilen, psychologisch fundierten, die Beziehungen der handelnden Personen förmlich herausmeißelnden Personenregie wie bewegungsreicher, niemals statischen Personenführung Kratzers schafft ihm Sellmaier für alle drei Stücke einen Einheitsraum, einen bürgerlichen Salon der Biedermeierzeit aus dem 19. Jahrhundert, aufgepeppt durch einige moderne Versatzstücke wie Designersofa, Flachbildschirm und Schlafzimmerschrank. Folgt Kratzer zu Beginn von Schumanns Liederzyklus, worin der Lebensweg einer treu hingebungsvollen Ehefrau von der ersten Liebe bis zum Tod des Ehemanns nachvollzogen wird, noch der originalen Handlung, schert er dann aus und macht die Frau zum willenlosen Opfer kranker, männlicher Macht: Acht Töchter gebiert die Frau dem sichtlich unglücklichen Vater, das neunte Kind, der erhoffte männliche Nachwuchs ist eine Totgeburt, und schließlich stirbt nicht wie im Text am Ende der Mann, sondern die von den zahlreichen Geburten erschöpfte Frau. Im nahtlos anschließenden Einakter Bartoks, „Herzog Blaubarts Burg“, stellen die sieben Türen, die Judit in Blaubarts dunkler Burg öffnet, Türen zur geheimnisvoll verschlossenen Seele Blaubarts dar. Großartig gelingt es Kratzer, den Spannungsbogen, der bei den ersten vier Türen (Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer und Garten) Stufe um Stufe wächst, den Höhepunkt bei der fünften Tür (Blaubarts Reich) erreicht, um in den letzten beiden Türen (Tränensee, Kammer mit Blaubarts drei früheren Ehefrauen) wieder abzuschwellen, szenisch herauszuarbeiten. Letztlich kann bei Kratzer die attraktive Judit dem offensichtlich psychisch kranken Mann entkommen und tritt nicht als Nacht an die Seite ihrer Vorgängerinnen Morgen, Mittag und Abend, sondern finstere Nacht bleibt es allein in Blaubarts Burg, in Blaubarts Seele … Das den Abend beschließende, dritte Stück, „Eine florentinische Tragödie“, wo ein florentinischer Tuchhändler den Geliebten seiner Gattin, den Prinzen von Florenz, ermordet, wodurch er den Respekt seiner Gattin zurückgewinnt, konterkariert Kratzer, indem er sich in einem Video über den „modernen“, zeitgemäßen Mann, der Windeln besorgt, das Neugeborene wickelt, überhaupt in erster Linie als Ernährer und Versorger, denn als Partner und Liebhaber fungiert, nahezu lustig macht. Wahrscheinlich ist diesem schwülstigen Stück aber nur derart beizukommen, wie es Kratzer dem Publikum präsentiert, als sarkastisch grotesker Schocker mit ironischen Seitenhieben, das „Märchen vom modernen Mann“ entlarvend..

Vermag die Szene dieses Mal vollends zu überzeugen, das brutale Sexvideo im „Blaubart“ ausgenommen, gelingt dieses Kunststück der musikalischen Seite des Abends nur im ersten Stück nicht. Der sensitiv sensiblen Klavierbegleitung von Havard Gimse stellt Ingeborg Gillebo ihren vibratoreichen Mezzosopran gegenüber, leider versteht man vom Text kaum ein Wort. Das ändert sich aber beim zweiten Stück, denn bereits im „Blaubart“ holt der neue Musikdirektor der Oper Oslo, der englische Dirigent Edward Gardner, buchstäblich das Letzte aus dem Operaorkestret heraus, indem er, im Einklang mit der Regie, von Beginn an immense Spannung erzeugt, diese hält bzw. anschwellen lässt, das Fortissimo erst wirklich gegen Ende hin einsetzend, und so die expressionistische Partitur nachhaltig eindrucksvoll umzusetzen in der Lage ist. Nach der Pause lässt Gardner mit seinem beherzt, freudig engagierten Orchester die zwischen Spätromantik, Verismo und Moderne pendelnde, immer wieder an Gustav Mahler und Richard Strauss gemahnende Musik Zemlinskys dann groß und sinnlich aufrauschen. Sängerisch am stärksten zu überzeugen vermag als Judit die mit großem wie differenziertem Mezzosopran agierende Dorottya Lang, die sich damit wohl endgültig in dramatische Gefilde entwickelt hat. Der hohle, bisweilen stumpf klingende Heldenbariton des in „Frauenliebe und Leben“ naturgemäß noch stumm agierenden John Lundgren passt ungemein besser zum gebrochenen, perversen Charakter von Bartoks Herzog Blaubart als zum Tuchhändler Simone bei Zemlinsky, wie er die beiden komplexen, herausfordernden Aufgaben aber meistert, ist dennoch beeindruckend. Aufhorchen lassen der Tenor Rodrigo Porras Garulo als Prinz Guido Bardi und die Mezzosopranistin Tone Kummervold als Bianca, Simones Gattin.

Am Ende gibt es lautstarken, kurzen Jubel für alle Beteiligten. Hamburg darf freudig gespannt sein, wenn Tobias Kratzer dort im Sommer 2025 als Intendant an der Staatsoper antreten wird. Positiv fällt auch auf, dass während der Aufführung kaum im Publikum gehustet bzw. nicht unentwegt mit den Mobiltelefonen hantiert wird, nimmt den Letzteres in mitteleuropäischen Sälen trotz Ansage vor der Vorstellung bedauerlicherweise mehr und mehr überhand.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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