Zur letzten Premiere des sich zu Ende neigenden Jahres gelangt am 16. Dezember 2025 in der Wiener Staatsoper FIDELIO, die einzige Oper von Ludwig van Beethoven, gespielt in der dritten, endgültigen, 1814 im Kärntnertortheater uraufgeführten Fassung, mit dem Text von Joseph Sonnleithner, Stephan Breuning und Georg Friedrich Treitschke, in einer Bearbeitung von Paulus Hochgatterer, der die Dialoge auf das Wesentliche reduziert, ein wenig modernisiert, mit dem Ziel, sie knapp und fein zu halten. Man könnte das Werk auch ohne diese Dialoge spielen, dann am besten pausenlos, um den Drive und den Sog dieser großartigen Musik nicht zu beeinträchtigen, vor allem, wenn die Musik derart interpretiert wird wie in dieser Aufführung.
Am Pult des groß aufspielenden Orchesters der Wiener Staatsoper, welches an diesem Abend, ausgenommen den Hornisten zu Beginn, in allen Gruppen hervorragend aufgestellt ist, steht Franz Welser-Möst, der mit dieser Premiere ins Haus am Ring zurückkehrt. Und die Vorschusslorbeeren, die ihn bereits bei seinem Eintritt in den Graben empfangen, vermag er außerordentlich zu erfüllen. Den (Schluss)Jubel, womit Beethoven bereits das Finale seiner IX. Symphonie vorwegnimmt, nimmt er bereits im Duett „O namenlose Freude“ ungemein genau, steigert diese Wirkung über die Ouvertüre Leonore III und gipfelt in einem furiosen, nur so durchgepeitschten Finale. Das Orchester folgt im freudig bei dieser an Rasanz kaum zu überbietenden Tour, sodass das dieses ekstatisch entfesselte Dirigat zur Extraklasse gerät, berücksichtigt dieser Dirigent doch auch die feinen Zwischentöne der Partitur mit Beethovens unvergleichlichen Herzschlägen. Müßig zu erwähnen, dass der jeden Takt ausschlagende Pultvirtuose auch die SängerInnen vollkommen unterstützt. „Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“, dieser Satz Beethovens, der MISSA SOLEMNIS vorangestellt, geltend auch für die IX. Symphonie, natürlich auch für FIDELIO: dieses Hohelied bedingungsloser Gattenliebe, gipfelnd in der Utopie von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, ereignet sich an diesem Premierenabend vor allem in der Musik, am Pult, im Orchester. Chapeau!
Für eine intellektuell angehauchte Inszenierung ist Nikolaus Habjan verantwortlich, der die Geschichte in einem zeitlosen Raum mit modernen Kostümen erzählt. Unterstützt wird er bei seiner Regiearbeit von Julius Theodor Semmelmann (Bühne), Denise Heschl (Kostüme), Franz Tscheck (Licht) und Judith Selenko (Video). Seine Werkführung berührt emotional, das Stück bleibt dabei immer erkennbar, wird nicht durch Rahmen- bzw. Zusatzhandlungen verfremdet, auch nicht durch eine belanglose Choreografie unnötig aufgepeppt. In der Inszenierung des hochintelligenten Regisseurs kommen zur Doppelung von Leonore und Florestan seine obligaten Puppen zum Einsatz, um die Innen- wie die Außenwelt der beiden Hauptfiguren zeigen zu können: gebaut von Bruno Belil, grandios gespielt von Manuela Linshalm, Max Konrad, Angelo Konzett und Alexandra Pecher. Die Figuren werden dabei aufgespalten: Die Sängerin der Leonore verkörpert die innere Gefühlswelt, die Puppe steht für das, was die anderen Personen von dieser Frau sehen. Die zweite Puppe zeigt präzise das Trauma des inhaftierten Florestan, der Sänger des Florestan ist der Mensch, an den sich Leonore erinnert. Durch das Puppenspiel können sich Leonore und Florestan auch auf einer neu sichtbaren Gefühlsebene begegnen. Ob das Einführen von Puppen nun einen deutlichen Mehrwert zum Verständnis des Stückes beisteuern kann, muss wohl eine jede, ein jeder im Publikum für sich selbst beantworten. Die Inszenierung ist, was Handwerk betreffend Personenregie und Personenführung gewiss gelungen, einen echten Wurf verzeichnet der Regisseur damit jedoch nicht, weil auch das Puppenspiel im Musiktheater bereits etwas überholt wirkt. Glücklicherweise sind die SängerInnen in dieser Produktion nicht auch noch dazu verdonnert, die schweren Holzpuppen selbst zu führen.
Was den Gesang betrifft, erbringen – von Thomas Lang einstudiert – Chor, Extrachor und Chorakademie der Wiener Staatsoper eine starke Leistung. Solide bewährt singt Daniel Jenz Jaquino, mehr als rollendeckend Kathrin Zukowski Marzelline. Tareq Nazmi gestaltet Rocco mit schlankem Bass, mit mächtig imposantem Bariton orgelt Christopher Maltman Don Pizarro, ein Bösewicht durch und durch, Jago und Scarpia ebenbürtig. Bei David Butt Philip ist zu hören, wie horrend schwierig die Partie des Florestan wirklich ist, mit Anstand bewältigt der Tenor seine Aufgabe, eine leicht säuerliche Tongebung beeinträchtigt allerdings seine Rollengestaltung. Nach anfänglicher Zurückhaltung entwickelt sich Malyn Byström im Laufe des Abends mehr und mehr zu einer bewegenden Leonore, ihr sehr individuelles, dunkel gefärbtes Timbre passt gut zum Charakter Leonore, im Duett mit Florestan und am Schluss findet ihr Sopran auch starke Jubeltöne, der Sängerin ist gewiss die beste gesangliche Leistung des Abends zu attestieren.
Das Publikum bejubelt, wie gewohnt nach Premieren an der Wiener Staatsoper, die SängerInnen, völlig zu Recht an diesem Abend vor allem Dirigenten und Orchester. In den Applaus für das Regieteam mischen sich auch deutliche Buhrufe.