Anfang September öffnet auch die Wiener Staatsoper traditionell wieder ihre Pforten, das Wetter ist noch sommerlich schön, viele Gäste aus Italien, Tschechien und Ungarn sind in der Stadt, weshalb an der Abendkasse auch am 7. September 2023 in der zweiten Aufführung der Wiederaufnahmeserie von Wolfgang Amadeus Mozarts „La clemenza di Tito“ mit dem Libretto von Caterino Tommaso Mazzolà nach Pietro Metastasio das Schild „Ausverkauft“ prangt.
Dass es sich bei dem Werk um eine Festoper anlässlich der Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen in Prag handelt und das Stück im Grunde die Irrungen der Liebe durchleuchtet, ist in der bedauerlicherweise langweiligen, aus dem Jahr 2012 stammenden Inszenierung von Jürgen Flimm, nicht erkennbar, gelingt es diesem doch nicht, das emotionale Spinnengeflecht der handelnden Personen auch nur ansatzweise sichtbar zu machen. Ödes Stehtheater regiert über weite Strecken, eine Personenführung findet so gut wie gar nicht statt, die Ausführenden auf der Bühne sind sich selbst überlassen. Was am Stück zeitgemäß sein soll, erklärt auch die modern anmutende Ausstattung nicht.
Dass das Publikum dennoch begeistert ist und am Schluss mit Jubel nicht geizt, liegt – völlig zu Recht und einzig allein – an der hervorragenden musikalischen Seite dieser Wiederaufnahme. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht Pablo Heras-Casado, soeben noch in Wagners „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen höchst überzeugend, und gibt eine Visitenkarte seiner Qualitäten, was historische Aufführungspraxis betrifft, ab. Mitunter rasant, höchst akzentuiert, mit überwiegend organisch fließenden, zwingenden Tempi setzt er Mozarts späte opera seria gekonnt um, das spielfreudige Orchester folgt ihm willig, die Klangfarben der modernen Instrumente ergeben einen eigenen Reiz in Verbindung mit Heras-Casados Interpretation. Das Wiener Opernpublikum darf sich jetzt schon auf die Erstaufführung von György Ligetis „Le grand macabre“ im November freuen, wenn der Alleskönner wieder im Orchestergraben der Wiener Staatsoper Platz nehmen wird.
Und auch von der Bühne gibt es Erfreuliches zu vernehmen. Die Titelrolle von Mozarts milden, gütigen Kaiser, der allen verzeiht, wurde Matthew Polenzani anvertraut, der einen fein lyrischen, rollenimmanenten wie schmelzreichen Titus singt und gestaltet. Auf bestem Wege scheint an der Wiener Staatsoper auch der in Angriff genommene Aufbau eines Mozarts Ensembles zu sein und darf diesbezüglich auf die ansprechenden Leistungen von Slavka Zamecnikova (Servilia), Patricia Nolz (Annio) und Peter Kellner (Publio) hingewiesen werden. Die besten Gesangsleistungen des Abends lassen aber Kate Lindsey, ebenfalls aus dem Wiener Ensemble, und Federica Lombardi vernehmen, die als verzweifelter Sesto wie als furiose Vitellia begeistern – und deren Partien Mozart auch mit den populärsten Nummern seiner Oper versehen hat. Sestos Arie „Parto, ma tu ben mio“ sowie Vitellias Rondo „Non piu di fiori“ schmückt der Komponist mit einer obligaten Instrumentalstimme für seinen Freund Anton Stadler – und wenn sich zu den beiden wunderbar geführten Singstimmen die Soloklarinette von Daniel Ottensamer gesellt, darf man an diesem Abend pures Opernglück erleben. Das Privatfoto zeigt die Ausführenden beim Schlussapplaus.