Ein unruhiges Publikum bei Beethovens Streichquartett op. 130/133

Wiener Konzerthaus Hagen Quartett Beethoven op. 130 op. 133
Hagen Quartett © Harald Hoffmann

Längst zu den führenden Streichquartetten auf der Welt gehörend, hat das Hagen Quartett nunmehr seit mehr als vierzig Jahren einen eigenen Quartett-Zyklus im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses. Nach zyklischen Aufführungen sämtlicher Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch 2021/2022 und den späten Streichquartetten von Wolfgang Amadeus Mozart 2022/2023 prägen nun die letzten vier Streichquartette von Ludwig van Beethoven, entstanden 1825 und 1826, die Zykluskonzerte 2023/2024 – daneben stehen noch die ersten vier der „Erdödy-Quartette“, benannt nach ihrem Widmungsträger, dem ungarischen Grafen Joseph Georg von Erödy, von Joseph Haydn aus dem Jahre 1797, sowie Quartette von Claude Debussy, Maurice Ravel und Béla Bartók auf dem Programm der Abonnementreihe.

Begonnen hat das erste Konzert im Zyklus am 3. Dezember 2023 mit dem Streichquartett G-Dur, Hob. III/75, von Joseph Haydn, das in einfach prächtiger Harmonie und Spielkultur dargeboten wurde; vor allem der zweiter Satz, ein bereits an Beethoven gemahnendes Adagio sostenuto, wie das augenzwinkernd grimmige Finale. Danach – der Kontrast könnte kein größerer sein – gab`s das Streichquartett Nr. 3 SZ 85, 1927 entstanden, von Béla Bartók zu hören, das in seiner spektakulären Dramatik, kräftigen Rhythmik und wilder Motorik an Dmitri Schostakowitsch erinnert und mit seiner Atonaliät bereits an Arnold Schönberg orientiert scheint. Auch den Tonfall dieses kurzen, circa fünfzehn Minuten dauernden Stückes treffen die Hagens auf den Punkt.

Du darfst nicht Mensch sein; für dich nicht, nur für andre; für dich gibt’s kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst.“: Mit dieser pessimistischen, verzweifelt sich selbstgenügenden Lebensäußerung von 1812 kündigte Ludwig van Beethoven seinen Rückzug in seelische Innenräume an, wofür gewiss auch seine Ertaubung verantwortlich war. In seinen letzten fünfzehn Schaffensjahren dehnte Beethoven die Musiksprache seiner Zeit bis ans Äußerste, vor allem seine späten Streichquartette, die sich endgültig vom Genre der Hausmusik verabschiedet hatten und zu höchsten, intellektuellen, formalen, wie artifiziellen Sphären höchster Kunst aufgestiegen waren, stellen in Klang abstrahierte, psychische Prozesse eines bereits „modernen“ Menschen dar und zählen zu den großen Mythen der Musikgeschichte überhaupt.

Verstörend auf die Zuhörer wirken diese großartigen späten Werke aus der Feder Beethovens trotz der ihnen gewiss eigenen Sperrigkeit heute wohl nicht mehr, eine für einige unannehmbare Herausforderung stellen sie aber scheinbar immer noch dar, anders lässt sich die permanente Unaufmerksamkeit des Publikums während der Wiedergabe des Streichquartetts B-Dur op. 130, mit der Großen Fuge B-Dur op. 133, nicht erklären. Dass die Konzentration der Formation darunter nicht gelitten hat, grenzt an ein Wunder, wurde deren Spiel zweimal sogar durch zu spät kommende ZuhörerInnen sowie zwischendurch aus dem Saal Eilende, Türenknallen inklusive, gestört. Davon zu Recht nicht ganz unbeeindruckt gelingt dem Quartett aber eine enorm dichte, nachhaltige Wiedergabe des sechssätzigen Werkes mit einer Spieldauer von fünfundvierzig Minuten. In der ursprünglichen Fassung, also mit der Großen Fuge als Finale, hinterlassen der weite, bereits in andere Dimensionen weisende fünfte Satz – Cavatina. Adagio molto espressivo, von Beethoven so gemeint, vom Hagen Quartett auch so gespielt – und die in all‘ ihren Verästelungen daherkommende, ehern strukturierte Fuge den stärksten Eindruck.

Nach diesem Werk ist auch richtigerweise kein Platz für eine Zugabe. Am Schluss gibt’s kurzen, hefigen Jubel nach einem für Publikum wie Ausführende gleichsam fordernden Konzert.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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