Doppelbödig und virtuos – Tugan Sokhiev und Lang Lang im philharmonischen Abonnement

Wiener Philharmoniker, Tugan Sokhiev, Lang Lang
Die Wiener Philharmoniker und Tugan Sokhiev beim Schlussapplaus © Thomas Rauchenwald

Sergej Prokofjews Symphonie Nr. 5, B-Dur, op. 100, uraufgeführt in Moskau im Januar 1945, ist die klanglich mächtigste und am größten angelegte seiner sieben Symphonien und eines seiner bekanntesten Werke, seine wohl populärste Symphonie nach der ersten, was die Komplexität der Partitur betrifft, bleibt sie jedoch hinter den Symphonien zwei bis vier sowie sechs und sieben doch deutlich zurück. Zunächst als patriotisch-heroische, sowjetische „Kriegssymphonie“ ausgerichtet, stellt sich beim heutigen Hören des Werkes als Beitrag des 20. Jahrhunderts zur russischen Symphonik doch die Frage, ob es im Grunde doch keine Affirmation, sondern eine Distanzierung zum Regime zeigt. Ein Kommentar des Komponisten einerseits lautet, das Stück beschäftige sich mit der „Größe des menschlichen Geistes“, andererseits lautet eine Notiz von Dmitri Kabalevskij 1945, Prokofjews Held „erliegt nicht tragischen Zweifeln, sondern geht Hindernisse geradeheraus an … . Das Finale scheint sich auf die Größe des russischen Menschen zu beziehen, der auf seinem Siegeszug alle Hindernisse überwindet … .“ Wie auch immer: Die Symphonie steht als Hauptwerk am Programm des zweiten Abonnementkonzertes der Wiener Philharmoniker am 22. Oktober 2023, zu dem das Orchester den russischen Dirigenten Tugan Sokhiev ans Pult eingeladen hat und mit dem das Orchester nun auch eine große Tournee nach Ostasien unternehmen wird. Den vorwiegend von Blechbläsern dominierten Kopfsatz nimmt der Dirigent episch breit, im folgenden, an die Motorik Schostakowitsch‘ gemahnenden Scherzo dominiert grelle Groteske, den langsamen, dritten, an den späten Tschaikowskij erinnernden Satz gestaltet Sokhiev sehr weitläufig, im tänzerisch anmutenden Finale klingt der ungemein freudige Ton abgründig doppelbödig – unter der Oberfläche liegen wohl Zweifel. Den zwiespältigen Charakter des Werkes trifft Sokhiev mit dem spielfreudigen und in allen Gruppen hervorragend aufgestellten Orchester jedenfalls auf den Punkt genau, sodass ihm der Schlussjubel des Publikums sicher ist.

Vor der Pause gibt es Camille Saint-Saens‘ Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2, g-moll, op. 22 – ein in Paris 1868 mit Misserfolg uraufgeführtes Werk, wofür sich aber kein Geringerer als Franz Liszt einsetzte, weshalb es sich schon bald wachsender Beliebtheit erfreute. Heute ist dieses auch von Artur Rubinstein gern gespielte Konzert das populärste Klavierkonzert dieses Komponisten, das vom Pianisten ein Höchstmaß an Präzision und Geläufigkeit erfordert – genau die richtige Aufgabe für den chinesischen Tastentiger und Klaviervirtuosen Lang Lang, der sowohl mit souverän perlendem wie vollgriffigem Klavierspiel als auch mit Koketterie das Publikum zu erobern versteht. Nach frenetischem Beifall bedankt er sich nach der Wiedergabe dieses aber im Grunde anspruchslosen, an gehobene Salonmusik erinnernde Werk mit einer Zugabe von Johann Sebastian Bach.

Das Wiener Meisterorchester begleitet den Klavierstar aber mit großer Freude und Engagement auch bei diesem allzu gefälligen Werk und scheint bestens gerüstet für seine bevorstehende Asientournee, wobei es neben diesen beiden Werken noch Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 4, B-Dur, op. 60, Johannes Brahms‘ Symphonie Nr. 1, c-moll, op. 68, Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ op. 30 und Antonin Dvoráks Symphonie Nr. 8, G-Dur, op. 88, im Gepäck hat.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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