In der ersten Vorstellung am 13. Mai 2024 der aktuellen Aufführungsserie an der Wiener Staatsoper tönt das sehr gut aufgestellte Orchester unter der Leitung von Giampolo Bisanti mehr als laut, der Dirigent ist um Dramatik und hoch gehende, mitunter martialisch aufgetürmte Orchesterwogen nicht verlegen, und peitscht Giuseppe Verdis dramma lirico in vier Akten, „Otello“, mit dem Text von Arrigo Boito nach William Shakespeare, in gefälligen Tempi durch.
Ein anderer Tenor würde in diesem Orchestermeer stimmlich wahrscheinlich untergehen, zumindest horrende Schwierigkeiten mit der Hörbarkeit haben, nicht jedoch Andreas Schager bei seinem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper als venezianischer Feldherr und Statthalter auf Zypern, der soeben die Türken in einer Seeschlacht besiegt hat. Der jüngere Teil des Publikums hat einen derart echten Heldentenor, der mit seiner gewaltigen Phonation an einen der größten Rollenvertreter aller Zeiten, den Kanadier Jon Vickers erinnert, bestimmt noch nicht erlebt und geht der sympathische Österreicher von Beginn an uneingeschränkt und kompromisslos stimmlich aufs Ganze. Eine derartige stimmliche Parforce-Tour bedeutet jedoch ein Wagnis, Schager geht dies bewusst ein, und hält den eingeschlagenen Weg von Beginn bis zum Schluss, bei dieser im italienischen Fach wohl heftigsten Partie für einen Tenor, beeindruckend, ja imposant durch.
Verdi fordert bei dieser Partie von seinem Tenor neben einer fundierten, kräftigen Mittellage eine strahlkräftige Höhe. Ihre deklamatorischen Passagen und jähen Aufschwünge, der Wechsel von lyrischen Phrasen zu heftig dramatischen Ausbrüchen, stellen für jeden Rolleninterpreten gewaltige Herausforderungen dar, welche der Sänger jedoch mühelos zu erfüllen scheint. In der letzten Zeit hat man gewiss kein so sieghaft geschmettertes „Esultate!“ gehört wie gestern von Andreas Schager, in dem den ersten Akt beschließenden Liebesduett mit Desdemona ist er sogar um tenoralen Schmelz bemüht, Venus führt die beiden kräftig strahlend ins Gemach. „Ora per sempre addio“ kommt energisch akzentuiert daher, sein Tenorgesang steigert sich im Schwurduett mit Jago – „Si pel ciel“ – zu eherner Größe. Die verhaltene Deklamation des Monologes „Dio mi potevi scagliar“ ringt sich Schager förmlich ab, auch hier kommt der genuine Heldentenor durch, beim Aufschwung am Schluss des Monologes bei „O gioia!“ sitzt die Stimme noch im Kern, im Duett zuvor mit Desdemona – „Dio ti giocondi“ – ist er um Verzweiflung verbergende Innigkeit bemüht. Und diesen Otello verlässt die Kraft erst nach dem Tod „Niun mi tema“ …
Nicole Car als beseelte Desdemona und Igor Golovatenko als starker Jago, ebenfalls Rollendebütanten am Haus, sind Andreas Schager adäquate Partner, der, wenngleich er etwas mehr berühren könnte, sich über sein urgewaltiges, über den Maßen gelungenes Rollendebüt im Haus am Ring freuen darf, das vom Wiener Publikum auch heftig akklamiert wird.