Vogelstimmen an der Schwelle zum Tod – Messiaen bei der Ouverture Spirituelle

Metzmacher SWR-SO

Innerhalb der Salzburger Festspiele gönnt man sich zum Auftakt auch dieses Jahr wieder das Festival „Ouverture spirituelle“ und welches Werk wäre zur Eröffnung derselben am 20. Juli 2023 geeigneter als das letzte vollendete Werk von Olivier Messiaen, die „Éclairs sur l’au -delá …“ für großes Orchester, deren Uraufführung am 5. November 1992 mit den New Yorker Philharmonikern unter Zubin Mehta der zuvor im April 1992 verstorbene Komponist nicht mehr erleben konnte.

Messiaen richtet in diesem Werk den Blick ganz auf das Jenseits, den elf Teilen liegen Zitate aus der Bibel, vor allem aus der Offenbarung des Johannes zugrunde, und kann es getrost als sein opus summum bezeichnet werden: Die bestimmenden Elemente der Musik sind wieder Rhythmus, Farbe und Vogelgesang, sinnliche Welterfahrung und tiefe Religiosität bilden, wie immer bei Messiaen, auch in diesem Werk keinen Widerspruch. Dennoch stellt die Komposition mit einer Spieldauer von knapp siebzig Minuten sowohl für das Publikum in der Felsenreitschule als auch für Dirigent und Orchester eine immense Herausforderung ob ihrer Komplexität und ihren ungewohnten Klängen dar.

Beim SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Ingo Metzmacher, einem ausgewiesenen Kenner von neuer Musik, liegen diese „Streiflichter über das Jenseits“ in den besten Händen, höchst konzentriert und mit ausgeprägter Leidenschaft führt er die auf Stuhlkanten sitzende Formation durch den pausenlosen Abend. Obwohl Messiaen einen riesigen Orchesterapparat aufbietet, allein je zehn Flöten und Klarinetten, gelingt es Metzmacher auf beeindruckende Art und Weise, die abgeklärte Durchsichtigkeit der Farben, Klänge und Formen auszubreiten und deren Geistigkeit zu vermitteln. Einfach hervorragend disponiert sind das Schlagwerk und die Holzbläser, letztere, angeführt von der phänomenalen Tatjana Ruhland an der Querflöte, sind es auch, die die 48 Vögel – für Messiaen stets die Botschafter des Göttlichen – aus Europa, Afrika, Südostasien, Neuseeland und Australien zu Wort kommen lassen. Interpretatorisch besonders gelingen die Abschnitte III (Der Prachtleierschwanz und die göttliche Stadt), V (In der Liebe bleiben …), und VIII (Die Sterne und die Herrlichkeit). Den beinahe schon entrückten Charakter des Finalsatzes (Christus, Licht des Paradieses) – ein reiner Streichersatz mit kaum hörbarem Triangel – trifft Metzmacher punktgenau: Im Jenseits schweigen die Vögel, die Bläser sind verstummt …

Am Schluss gibt es heftige Akklamationen vor allem für den Dirigenten. Einen störenden Eindruck hinterlassen nur jene im Publikum, die mit diesen ergreifenden, bewegenden Tönen offenbar nichts anzufangen wissen, und in beträchtlicher Zahl bereits während der Aufführung die Felsenreitschule verlassen. Vielleicht wären beim nächsten Mal einleitende Worte des Intendanten oder des Dirigenten zum Werk angebracht?

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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