Der Ausspruch von William Shakespeares Hamlet „Die Zeit ist aus den Fugen“ steht als Motto über den diesjährigen Salzburger Festspielen und so erscheint es logisch, dass sich im Premierenreigen an der Salzach auch ein Werk findet, dass in Salzburg bereits große Tradition besitzt – Giuseppe Verdis düsteres Mörderdrama „Macbeth“ nach der gleichnamigen Tragödie des Genies des Welttheaters mit dem Libretto von Francesco Maria Piave, mit Ergänzungen von Andrea Maffei, in der revidierten Fassung von 1865, womit auch Verdi den Schritt von der Oper zum Musikdrama vollzogen hatte.
Betraut man den polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski mit einer Inszenierung, weiß man, was man bekommt, soll heißen in der Regel eine hochintellektuelle Regiearbeit mit fundiert psychologischer Personenführung, basierend auf einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit Werk und Stoff, das Stück um eine Zusatz- oder Parallelhandlung angereichert, inspiriert von Filmen. Folglich sieht man Verdis schwindelerregendes, abgründiges Stück, was menschliches Handeln betrifft, konsequent im Cinemascope-Format und schafft es Warlikowski mitunter auf beeindruckende Art, die übergroße Bühne im Großen Festspielhaus zu bespielen. Sieht man aber einmal von Regiegroßtaten dieses Regisseurs – „Die Frau ohne Schatten“ und „Salome“ in München, „Elektra“ in Salzburg – ab, gehört dieser „Macbeth“ nun nicht zu seinen besten Inszenierungen, zu überfrachtet, zu überladen, zu weit hergeholt kommt das Drama in dieser Deutung daher. Die eine Filmvorlage, die sich Warlikowski bedient, ist Bernardo Bertoluccis postmoderner „Il conformista“ aus 1970, beruhend auf der Romanvorlage von Alberto Moravia, worin die Hauptfigur scheinbar mordet, angetrieben durch sein Unterbewusstes, mit Vorgängen, die seine Psyche möglicherweise geformt haben, in Rückblenden. Warlikowski formt einen Brückenschlag zum traumatisierten Macbeth, der aus dem Krieg nach Hause kommt: Die Hexen, in dieser Inszenierung überwiegend blinde Frauen als Seherinnen, sind Macbeths Unterbewusstsein. Lady Macbeth ist kinderlos; dieser zutiefst empfundene Schmerz und die daraus resultierende Leere wird ausgefüllt und ersetzt von maßloser Machtgier und ist diese Macht nur durch Morden zu erlangen. Die Kostüme gemahnen an Italiens faschistische 1930er-Jahre, das Bühnenbild ist vom „Jeau de Paume“, dem französischen Vorbild des Tennis inspiriert – auch Warlikowskis Ausstatterin Malgorzata Szczesniak bleibt ihrer strikten, dem Realismus verhafteten Linie wie gewohnt treu. Auf Videoeinspielungen sind dann Szenen aus Pier Paolo Pasolinis expressionistischem „Il Vangelo secondo Matteo“ aus 1964, der zweiten verwendeten Filmvorlage, zu sehen, wobei der Kindermord zu Bethlehem groß thematisiert und folglich in der Inszenierung opulent daran erinnert wird. Die (dem Paar verwehrten, unmöglichen) Kinder haben überhaupt starken optischen Anteil an dieser Inszenierung. Am Schluss stirbt Lady Macbeth nicht im Wahnsinn, sondern wartet, festgebunden mit dem nach einem Schlaganfall offenbar in den Rollstuhl gezwungenen Macbeth auf ihre gemeinsame Hinrichtung durch Macduff im Angesicht des Volkes – die Szene erinnert stark an die Liquidierung des Diktatorenpaares Nicolae und Elena Ceausescu am Weihnachtsabend 1989. Gewiss, manches geht auf in dieser gedanklich verschachtelten Inszenierung, einiges erscheint sogar zwingend schlüssig, es lässt sich jedoch nicht verleugnen, dass weniger oft mehr gewesen wäre und das Stück, das ohnehin genug Dramatik enthält, besser einfach erzählt als derart angereichert präsentiert hätte werden können. Felice Ross steuert wie immer plastisches Licht bei, Denis Guèguin und Kamil Polak vergrößern zur Verdeutlichung manche Szene mit ihren Videos und verfolgen konsequent Warlikowskis Sicht des Stückes, vor allem im Hinblick auf das Schicksal der Lady Macbeth. Verdis „Macbeth“, von Warlikowski zur griechischen Tragödie und zum Thriller ausgeweitet, überzeugt – jedoch ob ihrer Verzettelung nicht ohne Einschränkungen.
Nachdem sich Franz Welser-Möst einer medizinischen Behandlung unterziehen musste, hat sich der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, kurzfristig bereit erklärt, die musikalische Leitung der Neuproduktion zu übernehmen. Verdis gewiss dunkelstes Werk ist bei ihm und den Wiener Philharmonikern in den besten Händen. Bei aller Akkuratesse im Orchesterspiel, vor allem bei den federnden Streichern, setzt Jordan auf große Gestaltung und die ganze Wucht von Verdis Werk, ohne dabei jemals die Bühne aus den Augen zu verlieren. Verdis Kantilenen blühen förmlich im Orchester, Balance, Klangfarben und Orchesterkultur entfalten sich hervorragend. Vom Regisseur entsprechend in Szene gesetzt erfüllt auch die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen, beeindruckend ihre schöne Aufgabe und steuert differenziert plastischen Chorgesang bei.
Mit Hochspannung erwartet wurde auch das Rollendebüt von Asmik Grigorian als Lady Macbeth. Nach anfänglicher Nervosität – nur allzu verständlich ob der großen Vorbilder in dieser Traumrolle jeder Singschauspielerin – findet sie rasch in die fordernde Partie, die sie vor allem stark betont aus dem Ausdrucksgesang heraus anlegt. Über leuchtende Höhen und Spitzentöne verfügt die Sopranistin, dass sie jedoch keine genuine Verdi-Sängerin ist, bleibt nicht zu überhören. Die Cabaletta im ersten Akt, nur einstrophig dargeboten, Appoggiaturen, Gruppetti, Triller sind doch ungewohntes Terrain für Frau Grigorian, die aber mit ihren Mitteln und mit der ihr eigenen Gestaltungsgabe ein überzeugendes Rollenporträt formt, wofür sie vom Publikum mit Applaus zu Recht überschüttet wird. Keinen geschmeidigen Verdi-Bariton lässt Vladislav Sulimsky als Macbeth ertönen, auch er besticht eher mit der Dringlichkeit des Ausdrucks und starkem Singen als der Eleganz eines Kavalierbaritones. Auf der Habenseite seiner kernigen, sehr dunkel timbrierten Baritonstimme finden sich vokale Durchschlagskraft und eine enorme Bühnenpräsenz, perfektes Legatosingen auf dem Atem ist seine Sache nicht, seine ob seiner eindringlichen Intensität dennoch überzeugende Leistung kommt ebenso gut beim Publikum an. Warlikowski integriert die Sterbearie Macbeths der ersten Fassung aus 1847, wie in der Praxis heute üblich, in die gegebene zweite Fassung und Sulimsky gelingt diese äußerst klangvoll. Als Banco und Macduff gefallen Tareq Nazmi und Jonathan Tetelman; der eine mit profundem Bass, der andere mit strahlendem, den Raum füllendem Tenor. Gut besetzte Nebenrollen – Caterina Piva (Kammerfrau der Lady), Evan LeRoy Johnson (Malcolm) und Aleksei Kulagin (Arzt) – runden die über den Maßen gelungene musikalische Seite dieses Premierenabends ab. Die an Assoziationen überreiche Regie muss etliche Missfallenskundgebungen einstecken.
Kommentare
Lieber Thomas! Es wird sehr interessant, Dir hier zu folgen – aber wir freuen uns auch auf persönlichen Austausch in Wien, Salzburg etc! Lg Karin