Venedig an der Salzach – Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“ bei den Osterfestspielen

Anna Netrebko und Jonas Kaufmann in "La Gioconda" bei den Osterfestspielen Salzburg © Bernd Uhlig

Die Oper in vier Akten „La Gioconda“ mit dem unter dem Pseudonym Tobia Gorrio von Arrigo Boito verfassten Libretto ist eine italienische Grand opéra – bombastisch, voller Leidenschaft, dramatisch durch und durch. Komponiert von Amilcare Ponchielli, zu dessen Meisterschülern Pietro Mascagni und Giacomo Puccini zählen, bietet sie musikalisch auch alles, was das Herz in Bezug auf italienische Oper begehrt: Große, gesangvolle Partien, starke Chöre, schwebende Melodien. Das ganze Spektrum italienischer Oper ist da zu hören, von den herb männlichen Klängen Giuseppe Verdis bis zum Verismo, wie Intendant Nikolaus Bachler in seiner ungemein eloquent gehaltenen Einführung zum Werk heraushebt. Mit der hörens- wie sehenswerten Produktion – das Werk wird zum ersten Mal überhaupt bei den Osterfestspielen Salzburg gezeigt – ist Bachler denn auch ein ungemeiner Coup gelungen!

Vor allem, was die musikalische Seite betrifft, ist hohes, ja Festspielniveau durch und durch zu vernehmen. Das Werk ist ungemein schwierig zu besetzen, verlangt es doch sechs erstklassige Stimmen, worüber die Osterfestspiele glücklicherweise verfügen, werden doch auch in der letzten von insgesamt drei Aufführungen des Stückes am 1. April 2024 außergewöhnliche Leistungen von allen ProtagonistInnen erbracht. Aufhorchen lässt bereits die aus Polen stammende Mezzosopranistin Agnieszka Rehlis, die mit profundem Mezzo La Cieca gibt. Tareq Nazmi, der seine Karriere im Opernstudio an der Bayerischen Staatsoper begonnen hat, singt einen bassstarken Alvise Badoero und die in Genf geborene Eve-Maud Hubeaux gefällt mit schön timbriertem Mezzosopran als Laura. In Höchstform agieren jedoch drei SängerInnen an diesem Abend. Da ist zunächst einmal der Norditaliener Luca Salsi zu nennen, der seinen Prachtbariton nur so ins Große Festspielhaus schallen lässt und dabei auch über eine ungemein differenzierte Rollengestaltung verfügt. Für den Enzo Grimaldo, eine große Rolle von keinem Geringeren als Enrico Caruso, wurde der deutsche Startenor und Publikumsliebling Jonas Kaufmann aufgeboten, der, hervorragend disponiert an diesem Abend, passionierten, erfüllten Tenorgesang mit einer herrlich vorgetragenen Arie „Cielo e mar“ krönt, wobei ihm am Schluss eine fulminante messa di voce gelingt. Über den Dingen stehend in dieser Aufführung agiert jedoch stimmlich wie darstellerisch Anna Netrebko in „der“ Callas-Rolle schlechthin, als Straßensängerin La Gioconda. Schwerer ist er geworden, ihr immer dunkler timbrierte, glutvolle Sopran, den sie, ebenmäßig in allen Lagen, ohne Registerbrüche, von satten Tiefen bis in schwebende Höhen einfach perfekt führt. Ihre herrliche Sopranstimme lodert glutvoll und schimmert auch ganz verhangen zurückgenommen, sodass von einer einfach beeindruckenden Leistung der russisch-österreichischen Ausnahmesängerin zu berichten ist. Sehr gut besetzt mit durchwegs ansprechenden Stimmen sind auch alle kleinen Partien – Nicoló Dondini (Zuane), Didier Peri (Isepo), Patrizio La Placa (Sänger), Federico Benetti (Steuermann) und Massimo Simeoli (Kirchendiener).

Als Residenzorchester brilliert bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen das aus Rom stammende Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter seinem Conductor Emeritus Sir Antonio Pappano, der, als einer der besten Operndirigenten unserer Zeit, die Formation bei Ponchiellis Melodienseligkeit nur so zum Leuchten bringt, gepaart mit starken Akzenten vor allem des Blechs wie wunderbaren Schattierungen der Holzbläser. Einfach fulminant, wie er es schafft, trotzt geschärfter, überhitzter Dramatik wo vonnöten, die Stimmen niemals zuzudecken, sondern der Bühne ein kongenialer Partner zu sein, der alle SängerInnen nahezu auf Händen trägt. Die großen Aufgaben des Chores in diesem Werk werden vom Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, einstudiert von Andrea Secchi, ergänzt vom Bachchor Salzburg, einstudiert von Michael Schneider, sowie vom Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor, einstudiert, von Wolfgang Götz und Regina Sgier, hervorragend erfüllt: Chorgesang vom Feinsten ist da zu hören.

Was die szenische Seite der Produktion betrifft, wurde der britische Regisseur Oliver Mears mit der Inszenierung betraut, unterstützt von Philipp Fürhofer (Bühne), Annemarie Woods (Kostüme), Lucy Burge, deren Choreografie vor allem zum Ballett im dritten Akt mit dem berühmten „Tanz der Stunden“ als besonders gelungen eingestuft werden muss, und Fabiana Picoli, deren stimmiges Licht für große Theatermomente sorgt. Die Regie ist gelungen, zeigt Venedig, wenngleich ein modernes, und wartet mit einem besonderen Regiekniff auf: Am Ende erdolcht Gioconda, nicht wie urspürglich Im Libretto vorgesehen, nicht sich selbst, sondern ihren Peiniger Barnaba, der sie als eine Art Traumata durch das ganze Stück begleitet hatte. Die ganz aus der wunderbaren Musik entwickelte Regie kommt ohne störende Mätzchen aus, überzeugt auch mit einer subtilen Personenführung – eine Arbeit mit Seltenheitswert in der heutigen Opernlandschaft.

Auch in der letzten Aufführung fällt der Publikumsjubel am Schluss zu Recht besonders kräftig aus. Man darf sich jetzt schon auf die ungewohnt programmierten Osterfestspiele 2025, unter anderen mit Modest Mussorgskijs „Chowanschtschina“, freuen.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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