Salzburger Orchestersommer – Impressionen

Zum Abschluss der Ouverture Spirituelle und zum Auftakt ihrer Konzertreihe bitten die Wiener Philharmoniker, seit Gründung der Festspiele Salzburgs Hausorchester, Christian Thielemann ans Pult, um gemeinsam mit dem von Johannes Prinz einstudierten Wiener Singverein „Ein deutsches Requiem für Sopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester op. 45“ von Johannes Brahms zur Aufführung zu bringen. Das Werk steht nicht in der Tradition großer anderer Vertonungen der lateinischen Totenmesse, hatte sich den – deutschen – Text der theologisch beschlagene Brahms selbst zusammengestellt und soll das Werk, wo nicht die Schrecken des Jüngsten Gerichtes im Mittelpunkt stehen, vor allem den Hinterbliebenen Trost spenden. Der deutsche Dirigent reiht sich mit seiner Interpretation vorbehaltlos in die Reihe der größten Interpreten – Karajan, Giulini, Muti, Jansons, Welser-Möst, Harnoncourt, um nur einige zu nennen – des Werkes in den letzten Jahrzehnten ein. Thielemann besticht vor allem, neben wunderbar herbstlich warmen Farben, die er dem Orchester entlockt, durch eine Flüssigkeit der Interpretation, dabei sanfte, milde Stellen wie eruptive Ausbrüche gleichermaßen nicht aussparend. Der Chor überzeugt durch plastischen Chorgesang, bemerkenswert vor allem die textverständliche, hervorragende Artikulation, mit der die Damen und Herren aus Wien die sieben Abschnitte des Werkes gestalten. Und auch, was die beiden Solostimmen angeht, hört man an diesem Vormittag des 30. Juli 2023 nahezu das Beste: Michael Volle gestaltet mit voluminösem Bassbariton „Herr lehre doch mich“, der Sopran von Elsa Dreisig in „Ihr habt nun Traurigkeit“ fällt gleichsam vom Himmel, könnte nur ein wenig textverständlicher sein. Nach einer langen Pause tiefster Ergriffenheit erschallt großer Publikumsjubel im Großen Festspielhaus.

„Dem Andenken eines Engels“ hat Alban Berg sein 1935 entstandenes, einziges Violinkonzert gewidmet. Gemeint ist damit Manon Gropius, die 18jährig an Kinderlähmung verstorbene Tochter von Alma Mahler-Werfel und Walter Gropius. Der Komponist hat in dem Werk, dem eine Zwölftonreihe zugrunde liegt, neben der Kärntner Volksweise „A Vegale af’n Zwetschpmbam“ auch den Beginn des Sterbechorals „Es ist genug“ aus Johann Sebastian Bachs Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“, BWV 20, verarbeitet. Mit seinem filigranen, feinen Ton trifft der deutsch-amerikanische Violinist Augustin Hadelich, der auf einer Violine von Giuseppe Guarneri del Gesú aus 1744 „Leduc, Ex-Szeryng“ spielt, eher den wehmütigen Klagegesang des zweiten Teils als den das lieblich anmutige Mädchen charakterisierenden, ersten Teil. Der Solist bedankt sich in der Matinée am 4. August 2023 noch mit dem Andante aus Bachs Sonate für Violine solo a-moll BWV 1003. Nach der Pause finden sich die Wiener Philharmoniker wieder zur Wiedergabe der in den Sommermonaten 1900 niedergeschriebenen Symphonie Nr. 4 G-Dur, eine der beliebtesten von Gustav Mahlers Werken ein. Der aus Lettland stammende Andris Nelsons kostet die Schönheiten der Partitut mit der über den Maßen hervorragend disponierten Formation voll aus: Bei großen Spannungsbögen, die ihm nie abreißen (dieses Kunststück ist ihm im vergangenen Jahr bei der 5. Symphonie Mahlers, ebenfalls mit den „Wienern“, leider nicht gelungen), gerät vor allem der der dritte Satz, einer der schönsten Symphoniesätze Mahlers überhaupt, besonders innig, gesangvoll und ergreifend. Mahlers Meditation über das Jenseits, als die das Werk gerne gesehen wird, erfährt derart seine volle Entsprechung. Kindlich naiv, wie es dem Komponisten wohl vorgeschwebt ist, gestaltet die deutsche Sängerin Christiane Karg mit glockenhellem Sopran – zu zart für das Große Festspielhaus – zum Abschluss den vierten Satz, Mahlers Wunderhorn-Lied „Das himmlische Leben“.

Traditionellerweise zu ihrem Saisonauftakt geben sich die Berliner Philharmoniker an der Salzach die Ehre. Am Beginn des Konzertes am 27. August 2023 steht ein selten gespieltes Werk – die 1914 komponierten „Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart“ op. 132 von Max Reger, in denen der Komponist das Hauptthema des ersten Satzes von Wolfgang Amadeus Mozarts Klaviersonate A-Dur KV 331 verwendet, um es gleichsam populär wie kunstvoll zu verarbeiten. Spielerisch tanzend gestaltet Chefdirigent Kirill Petrenko den Beginn, die einzelnen Abschnitte grenzt er deutlich voneinander ab, Transparenz wie Präzision prägen die schwungvolle Wiedergabe. Nach der Pause gibt es dann große Orchesterliteratur und programmiert Petrenko die 1898 vollendete Tondichtung „Ein Heldenleben“ op. 40 von Richard Strauss, die zu den ausgereiften Werken des Komponisten zählt. Gewidmet ist das Werk Willem Mengelberg und dem Concertgebouw Orkest Amsterdam und zählt es seit den Tagen von Herbert von Karajan auch zu den Paradestücken des Berliner Orchesters. Man sieht und hört es vor allem gleich – Petrenko und sein Orchester sind mittlerweile ein Herz und eine Seele geworden; gegenseitiges Geben und Nehmen, Fordern von beiden Seiten regt an und beglückt zu gleich. Mit immensem Drive, voller Kraft und Energie durchmisst Petrenko im Einklang mit dem grandios aufspielenden Orchester in knapp 45 Minuten das Stück, vor allem betören die Soli der Holzbläser – Albrecht Mayer an der Oboe, Dominik Wollenweber am Englischhorn. Zum ersten Mal in Salzburg am ersten Pult zu erleben auch die seit Mai 2023, aus Lettland stammende, Erste Konzertmeisterin des Orchesters, Vineta Sareika-Völkner, die seit Mai 2022 als Geigerin Mitglied des Orchesters ist, von 2012 bis 2021 Primaria des Artemis Quartetts war und mit großem Geigenton in „Des Helden Gefährtin“ eine gelungene Kostprobe ihres Könnens zum Besten gibt. In besonders berückender Schönheit gelingt Petrenko mit seinem formidablen Orchester dann der letzte Abschnitt „Des Helden Weltenflucht und Vollendung“, ein wahres Idyll des Klangzauberers und Melodikers Strauss. Und obwohl das Publikum lautstarke Begeisterung bekundet, lassen sich die Gäste aus Berlin zu keiner Zugabe hinreißen.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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