Rache eines Ausgestoßenen – Tcherniakovs „Holländer“ in Bayreuth

Bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen gibt es eine Reihe von Umbesetzungen, was im Fall der Produktion von „Der fliegende Holländer“ nur zur reinsten Freude gerät, hat doch nach John Lundgren 2021 und Thomas Johannes Mayer 2022 in diesem Jahr Michael Volle die Titelpartie vom ursprünglich wiederum vorgesehenen Lundgren übernommen. Der Einspringer erweist sich nämlich als derart stark, imposant und mächtig in dieser Rolle, dass man schon zu ihren größten Interpreten am Grünen Hügel, um nur George London oder Simon Estes zu nennen, zurückgehen muss, um von einer ähnlich beeindruckenden Sängerleistung berichten zu können. Hünenhaft, mit abgründiger Dämonie gestaltet Volle diese Figur. Sein kerniger, bestens fokussierter Bariton verfügt über alle stimmlichen Reserven wie Nuancen, um der herrlichen Rolle von Wagners „Ahasver des Meeres“ ihre ganze Wirkung zu verleihen.

In der Regie von Dmitri Tcherniakov wird der sonderbare, immer wiederkehrende Traum des H. erzählt, der als von der Gesellschaft Ausgestoßener in seine Heimatstadt zurückkehrt, um Rache zu nehmen. Der Seefahrer Daland hatte einmal eine Affäre mit der Mutter des H., nach deren Freitod verlässt der Junge die Stadt. Nach vielen Jahren kehrt er zurück, um an Daland, nunmehr mit Mary – Senta ist beider traumverlorene, schwärmerische Tochter – verheiratet, Rache zu nehmen und wird schließlich von Mary vor allem Volk erschossen. So weit, so gut. Norwegische Seefahrer, Schiffe und dergleichen Naturalistisches hat man sich von Tcherniakov, der auch das Bühnenbild entworfen hat, naturgemäß nicht erwartet. In bestechender Personenregie wie durch und durch überzeugender Personenführung ist sein Konzept jedoch sehr schlüssig und geht auf, entwickelt er das Stück doch ganz aus dem Text und der Musik von Richard Wagner. Unterstützt wird er bei seiner Arbeit von Elena Zaytseva (Kostüme) und Gleb Filshtinsky, der die Bühne in gelblich-bläuliches, graues Licht taucht.

Zum Gelingen über den Maßen, was die Aufführung am 18. August 2023 betrifft, tragen auch sämtliche übrige Ausführende bei. Nadine Weissmann ist eine präsente Mary mit sattem Mezzosopran, Attilio Glaser ein einnehmender Steuermann mit geschmeidig kräftigem Tenor. Tomislav Muzek gelingt eine sehr gute Studie des Erik mit lyrischem, bereits leicht heldenhaft angehauchtem Tenor. Als gieriger, nur auf Gewinn Ausgerichteter, der seine Tochter an den Fremden H. verkauft, brilliert mit imposantem Bass wieder einmal Georg Zeppenfeld, der in diesem Sommer als Vielbeschäftigter in Bayreuth auch noch als Marke, Hunding und Gurnemanz zu erleben ist. Ein wahrer Glücksfall ist auch die Senta von Elisabeth Teige, die bereits im Vorjahr die Partie von Asmik Grigorian übernommen hatte, und mit ihrer bestens fokussierten Stimme wahre Leuchtraketen an beeindruckenden Tönen abfeuert. Was diese junge Sängerin betrifft, darf man sich jetzt schon auf einen echten hochdramatischen Sopran, zu dem sie bei behutsamem Umgang mit ihren vollen, überreichen Ressourcen heranreifen wird, freuen.

Eberhard Friedrich hat den Festspielchor wieder bestens für seine Aufgabe vorbereitet: Derart plastischen, differenziert prächtigen Wagner-Chorgesang hört man nur in Bayreuth. Am Pult des Festspielorchesters entfacht Oksana Lyniv bereits in der eindrucksvollen Ouvertüre einen brausenden Meeressturm und gelingt es ihr, diese Hochspannung mit der sehr gut disponierten Formation über den ganzen, pausenlosen Abend zu halten, wo nötig zurückzunehmen und dann wieder dramatisch zugespitzt, zu steigern.

Am Schluss gibt es für diese ereignishafte Wiedergabe von „Der fliegende Holländer“ donnernde Ovationen vom Publikum und verlässt man einfach nur beglückt das Festspielhaus.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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