Nike Wagner hat eine erhellende Abhandlung über den Nachtgesang „Tristan und Isolde“ ihres Urgroßvaters Richard Wagner verfasst und darin den „zweimal einsamen Tod“ der beiden Protagonisten thematisiert. An diesen Text muss man unwillkürlich denken, wenn man sich mit der Inszenierung des Werkes von Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper auseinandersetzt, welche im Rahmen der diesjährigen Münchner Opernfestspiele wieder zu erleben ist. Die Radikalität der Konzentration Wagners auf zwei Charaktere ist in dieser Regiearbeit, die um die – im Grunde brutalen – Themen von selbstzerstörerischer Liebe, immenser Einsamkeit und verzehrender Todessehnsucht kreist, permanent spürbar. Wie gewohnt verzichtet Warlikowski auf realistische Bühnenbilder, Malgorzata Szczesniak, auch für die Kostüme verantwortlich, hat ihm einen fast schon surreal anmutenden Raum mit Familienaufstellung geschaffen, unterstützt von tiefenpsychologisch untermauernden Videos von Kamil Polak und dem plastischen Licht von Felice Ross. Vor allem aber zeichnet diesen film noir auf der Bühne eine tiefgründige Personenregie wie eine subtile, psychologisch fundierte Personenführung aus.
Dass sich Wunder musikalischer Natur oft im Repertoire und nicht bei vieldiskutierten Festspielpremieren ereignen, nimmt man wieder einmal mit großer Freude an diesem Abend des 24. Juli 2023 zur Kenntnis. Im Vorspiel noch sehr zurückhaltend und allzu vorsichtig im ersten Akt steigert sich Lothar Koenigs, ausgestattet mit besten kapellmeisterlichen Tugenden, von Akt zu Akt. In Staunen versetzt er dann vor allem mit einem groß musizierten Vorspiel zum dritten Akt und gelingt ihm mit dem über den ganzen Abend in allen Gruppen blendend disponierten Bayerischen Staatsorchester ein lustvoll rauschhaft gesteigerter Schluss. Apropos Orchester: So sehrend und klagend wie in München hört man das Englischhorn wohl nirgends auf dieser Welt, dieses Mal gespielt von Marlene Gomes.
Neben gut aus dem Ensemble besetzten kleinen Rollen überzeugt Wolfgang Koch als heldenbaritonal angehauchter Kurwenal und steigert sich Jamie Barton als hellstimmige Brangäne deutlich von Aufzug zu Aufzug. Renè Pape beeindruckt und berührt wieder als leidender König Marke mit starkem wie warmem Bass. Als Tristan gelingt Tenor Stuart Skelton eine wahrlich unter die Haut gehende Gestaltung, eindringliche Deklamation wie famose Stentortöne wechseln sich ab, seine Phrasierung ist vorbildlich. Die Krone des Abends gebührt jedoch Anja Kampe als Isolde. Allzu ausladendes Vibrato zu Beginn bekommt sie rasch in den Griff, die Sängerin ist auf dem besten Weg zu einem echten hochdramatischen Sopran und gelingt ihr im Verlauf des Abends einfach alles, gekrönt von einer voll ausgesungen Verklärung, wo sie das Gefühl der persönlichen Auflösung im Klang zu vermitteln vermag – wie es Wagner vorgeschwebt haben mag und wie man es nicht allzu oft erfahren kann.