Höchste Kunst eines Klaviertitanen – Grigory Sokolov in Salzburg

Seine mittlerweile bereits legendären Auftritte bei den Salzburger Festspielen haben bereits Tradition und so gibt sich der große russische Pianist Grigory Sokolov auch in diesem Jahr wieder die Ehre an der Salzach. Ausreichend Zeit vor seinem Solistenkonzert, einen entsprechenden Flügel auszuwählen, muss er sich auch dieses Mal wieder genommen haben, klingt doch im fast zur Gänze abgedunkelten Saal des Großen Festspielhauses der Steinway an diesem Abend einfach phänomenal gestimmt, quasi eine „Fülle des Wohllauts“ wie man es selten so hört.

Dass der Pianist die gesamte Musikgeschichte beherrscht, stellt er auch heuer wieder unter Beweis und wird vor der Pause ein ganzer, in einem durchgespielter Block mit überwiegend in den Jahren 1687 bis 1696 entstandenen Kompositionen des Orpheus Britannicus Henry Purcell dargeboten. Ursprünglich für Cembalo komponiert, passt der britische Komponist darin irische und schottische Volksweisen an und probiert vorwiegend aus Frankreich klingende Moden. Zu hören sind da drei Suiten – g-moll, a-moll und d-moll – neben einigen kleinen Stücken, die Eröffnung macht die Ground in Gamut G-Dur, am Ende erklingt die Chaconne g-moll: Kunstvoll kostbare Miniaturen englischer Barockmusik, wie sie nur ein Ausnahmepianist wie Sokolov spielen kann, mit perlenden Girlanden, Trillern und Verzierungen, mit äußerst sparsamem Einsatz des Pedals, um den Klang eines historischen Cembalos zu suggerieren. Gleichzeitig beschwingt wie nachdenklich geht man als aufmerksamer Hörer in die Pause.

Im zweiten Teil seines Solo-Rezitals widmet sich Sokolov an diesem Ort wieder einmal dem Genius Loci Wolfgang Amadeus Mozart, den er nie auf herkömmliche Weise interpretiert und dieses Mal mit seinem Klavierspiel das Tor zur Romantik sehr weit aufstößt. Nach der 1783 entstandenen Sonate in B-Dur KV 333 (315c) hält er sogar inne und lässt einen kurzen Applaus zu, um mit dem 1788 entstandenen Adagio h-moll KV 540 den offiziellen Teil seines Solistenkonzertes zu beschließen. Und auch bei Mozart – Welche Ausdrucksnuancen, welche Klavierfarben entlockt Sokolov dem Steinway bei nachdenklich innigem, mitunter schon beklemmendem Klavierspiel.

Dass er sich so nicht von seinem Publikum verabschiedet, versteht sich von selbst und gibt er an diesem Abend des 11. August 2023 sogar sechs Zugaben zum Besten. Zweimal Jean-Philippe Rameau – Le Tambourin und Les Sauvages, viermal Frederic Chopin – zwei Preludes aus op. 28, Des-Dur Nr. 15 und c-moll Nr. 20 sowie zwei Mazurkas, h-moll op. 30 Nr. 2 und f-moll op. 63 Nr. 2. Dieser Zugabenblock vereint höchste treffsichere Virtuosität mit feiner Lyrik und schmerzlichem Verklingen. Und die stehenden, donnernden Ovationen des Publikums wollen wie gewohnt kein Ende nehmen.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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