„Falstaff“ am Set: Marthaler und Metzmacher mit Verdi in Salzburg

Giuseppe Verdis letzte Oper, die commedia lirica „Falstaff“ in drei Akten, uraufgeführt 1893, mit dem Libretto von Arrigo Boito nach der Komödie „The Merry Wives of Windsor“ und Auszügen aus dem Historiendrama „King Henry IV“ von William Shakespeare, hat im Sommer in Salzburg eine große Tradition, haben unter anderen doch keine Geringeren als Arturo Toscanini und Herbert von Karajan das Werk hier dirigiert, was das Stück als Dirigentenoper per excellence ausweist. Am Dirigenten der aktuellen Aufführungsserie ist es auch nicht gelegen, dass „Falstaff“ dieses Mal zu einem großen Flop, ja zu einem veritablen Ärgernis gerät.

Ingo Metzmacher, Spezialist für zeitgenössische Musik am Pult der Wiener Philharmoniker macht klar, dass „Falstaff“ wohl die erste Oper der Moderne ist – analytisch, klar, transparent, mit feinster Akkuratesse und höchster Präzision kommt das Stück daher, dass die fehlende Italianitá dieser über den Maßen gelungenen Interpretation nicht schadet. Das Orchester geht die Gangart des Dirigenten bereitwillig mit und wird man die schwebend gespielte Elfenmusik im Park von Windsor aus dem Schlussbild wohl nicht so schnell vergessen wie auch andere, ungemein prägende Details dieses überzeugenden Dirigats. Huw Rhys James hat die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor hervorragend präpariert und auch das Ensemble kann sich hören lassen. Gerald Finley in der Titelrolle hat sich an diesem Premierenabend des 12. August 2023 ansagen lassen, er sei an einer Laryngitis erkrankt. Dennoch singt er einen wunderbar phrasierenden Sir John Falstaff – mit geschmeidigem, tragendem Bass, der nie fett klingt und dem man durchaus zutraut, einmal ein Schwerenöter gewesen zu sein. Stark an diesem Abend auch der Bariton von Simon Keenlyside als Ford, ebenso glänzen die übrigen Herren mit vorzüglichen, stimmlichen Charakterstudien – Bogdan Volkov als ganz lyrischer, traumverlorener Fenton, Thomas Ebenstein als beißender Dr. Cajus, urkomödiantisch mit hellem Tenor Michael Colvin als Bardolfo und mit bärbeißigem Bass Jens Larsen als Pistola. Die Damen stehen den Herren in Nichts nach. Elena Stikhina, im vorigen Sommer an der Salzach eine ganz ausgezeichnete „Aida“, schließt an diese Leistung als Mrs. Alice Ford an, hier ist ein echter lirico-spinto-Sopran zu vernehmen. Tanja Ariane Baumgartner gefällt mit vollem Mezzo als Mrs. Quickly, Cecilia Molinari überzeugt als Mrs. Meg Page und einfach nur bezaubernd, mit herrlichen piani und Koloraturen singt Giulia Semenzato die Nannetta. Auffällig ist, dass sämtliche Rollen mit den jeweils entsprechenden Stimmcharakteren exzellent besetzt wurden.

Gerät die musikalische Seite dieser Neuproduktion festspielwürdig, kann man das von der Regie bedauerlicherweise nicht behaupten. Regisseur Christoph Marthaler und seine Ausstatterin Anna Viehbrock erinnern sich, dass der große Schauspieler Orson Welles einmal selbst die Figur des Falstaffs in einem Film verkörpert hat. Eine Figur, die Welles darstellen soll, gespielt von Marc Bodnar, führt also in dieser Inszenierung bei einem „Falstaff“-Film Regie und verschmilzt auf der Bühne mehr und mehr mit dem Falstaff in Verdis Oper. So weit, so gut. Nur was hat das alles mit Verdis lyrischer Komödie zu tun? Es scheint, als hätte sich der Regisseur Marthaler überholt mit seinen ständigen, zusätzlich eingeführten Metaebenen, was auch für die trostlose Ausstattung von Anna Viehbrock gilt, deren DDR-Ästhetik aus einer Zeit stammt, die es heute glücklicherweise nicht mehr gibt und die auch niemand mehr sehen möchte. Passend dazu auch die Tatsache, dass während der Premiere ein Unwetter über Salzburg herzieht und ein offenbar leckes Dach Regen ins Große Festspielhaus eindringen lässt.

Zum Schluss wird das Regieteam nachvollziehbar mit einem donnernden Orkan von Missfallenskundgebungen abgestraft. Marthaler, für den Oper offensichtlich in keiner Weise verzaubern darf, muss auf diese Regiearbeit nicht stolz sein; manche im Publikum sprechen verständlicherweise von einer „Zumutung“.

Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren