„Tannhäuser stellt den Kampf zweier Prinzipien dar, die das menschliche Herz als ihr Hauptschlachtfeld gewählt haben: Fleisch gegen Geist, Hölle gegen Himmel, Satan gegen Gott.“, wie es Charles Baudelaire drastisch formuliert hat. Zudem handelt es sich bei „Tannhäuser“ um ein Künstlerdrama reinen Grades, in der Figur des sündigen Minnesängers und mittelalterlichen Outlaws hat sich Richard Wagner selbst gesehen, wohl mit ein Grund, weshalb ihn gerade diese große romantische Oper in drei Aufzügen, welche die Wiener Staatsoper als letzte Neuproduktion der sich dem Ende neigenden Saison auf den Spielplan setzt, ein Leben lang beschäftigte: „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“, beharrte Wagner noch gegen Ende seines Lebens. Im Haus am Ring wird das Werk in der Wiener Fassung von 1875 gespielt, die Premiere am 22. Mai 2025 ist dem im April verstorbenen Kammersänger Peter Seiffert gewidmet.
Was die Leistungen von Chor und Orchester der Wiener Staatsoper betrifft, darf man im Wagner-Glück schwelgen. Thomas Lang hat den Chor perfekt auf seine wunderbare Aufgabe vorbereitet, die Damen und Herren lassen differenzierten wie gewaltigen, feinen wie prächtig schallenden Chorgesang vernehmen. Philippe Jordan, es ist die letzte Premiere, die der scheidende Musikdirektor – leider zieht er von dannen, leider lässt man ihn ziehen – am Pult des in allen Gruppen blendend aufgestellten Orchesters an der Wiener Staatsoper dirigiert, setzt ganz auf Drive, Zug und Sogkraft dieser Partitur, lässt nichts anbrennen, was den Dezibelpegel hin und wieder gefährlich anschwellen lässt, ist den SängerInnen aber stets ein mitfühlender Gestalter. Unglaubliche Nuancen hört man aus diesem Dirigat, seien es die flirrend anschwellenden zweiten Geigen und Bratschen in der Ouvertüre, die famos abgetönten Holzbläser im Gebet Elisabeths, die klagend samtigen Celli in Wolframs Lied an den Abendstern.
Und auch die neue Besetzung kann sich mehr als hören lassen. Sein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper gibt der US-amerikanische Heldentenor Clay Hilley in der Titelpartie – eine gewiss mutige Entscheidung, zählt „Tannhäuser“ doch zu den schwersten Tenorrollen Wagners überhaupt. Nach etwas zögerlichem, gewiss nervositätsbedingtem Beginn sitzt die kräftige, kernige, eher hell timbrierte Stimme aber bestens im Fokus und bewältigt er die Partie mit Bravour. Als krönenden Abschluss gibt es eine trotzig heftige, mit zynischer Wut vorgetragene Romerzählung, hervorzuheben ist die enorme Wort- und Textdeutlichkeit Hilleys. Malyn Byström als Elisabeth verrutschen in der jubelnd vorgetragenen Hallenarie noch ein paar Töne, dann findet sie mit ihrem starken Sopran jedoch rasch zu intensivem Singen und bewegender Gestaltung. Bei Ekaterina Gubanova als schillernder Venus fühlt man in den satten Tiefen und der herrlichen Mittellage oft Gänsehautmomente, in den Höhen sind in ihrer schön timbrierten Mezzostimme bisweilen unreine Schärfen zu vernehmen. Für den erkrankten Ludovic Tezier eingesprungen ist Martin Gantner als Wolfram und ringt der seinem Charakterbariton kantables, um feinste Phrasierung bemühtes Singen förmlich ab, man kann diese Leistung nicht hoch genug schätzen. Günther Groissböck gibt einen imposant mächtigen, an diesem Premierenabend auch differenzierten Landgrafen. Gut besetzt aus dem Ensemble Ilia Staple als junger Hirt, Daniel Jenz (Walther), Simon Neal (Biterolf), Lukas Schmidt (Heinrich) und Markus Pelz (Reinmar).
Von den eingangs genannten Aspekten über Wagners 1845 in Dresden uraufgeführter Oper ist in der Neuinszenierung von Lydia Steier wenig bis gar nichts auszumachen und werden diese von der Regie offensichtlich nicht erfasst. Diese Regiearbeit setzt auf spektakuläre Bühnenbilder und Showeffekte, man glaubt sich eher in einem Musical am Broadway denn im ernsthaften Musiktheater, das eine Geschichte, eine Handlung, psychologisch fundiert aus Text und vor allem der Musik entwickelt, entwickeln sollte. Personenführung und Personenregie leiden an zu übertriebener Mimik wie ausufernden Gesten, weniger wäre hier deutlich mehr gewesen. Unterstützt von Momme Hinrichs (Bühne und Video), Alfred Mayerhofer (Kostüme), Elena Siberski (Licht) sowie Tabatha McFayden (Choreografie und Regiemitarbeit) führt uns die Regisseurin in drei Welten – im ersten Akt in eine schillernde Varietè-Athmosphäre mit einer Unzahl an bizarren Figuren, der Auftritt der Liebesgöttin als attraktive Varietè-Diva im Halbmond von der Decke schwebend gerät allerdings grandios. Der zweite Akt führt in die kalte, verklemmte Wartburg-Welt und erinnert an einen Song-Contest oder Superstar-Show, wo die Minnesänger, in mittelalterlichen Kostümen mit lächerlichem Touch, in Wettstreit treten. Der dritte Akt gerät dann nur noch desolat, zu sehen ist ein öder (Medien-)Raum auf einer Art Hinterbühne, eine Fernseh-Installation zeigt eine schmerzgebeugte Frauenfigur, Elisabeth von Thüringen? Nachdem der Sarg mit der Leiche Elisabeths weggetragen wird, hoch oben auf beiden Seiten der Bühne das Grün sprießt, erscheint Elisabeth leibhaftig, erweckt den totgeglaubten Tannhäuser, die beiden ziehen glücklich von dannen: Steiers Ende ist an Kitsch kaum zu überbieten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich hier jemand auch ein wenig lustig über das Stück machen wollte, werden denn weder Abgründe noch Thematik des „Tannhäuser“ deutlich herausgearbeitet, wohl nach dem Motto „Keine Angst vor Richard Wagner“?
Heftige Buhrufe aus dem Publikum sind die Folge, wenn das Regieteam zur Verbeugung erscheint. Für die musikalische Seite gibt es starke Zustimmung.