Perfektionist und Tastenzauberer – Krystian Zimerman im Wiener Konzerthaus

Ein seltener Gast im Wiener Konzerthaus: Krystian Zimerman © Bartek Barczyk

Man muss mit solchen Attributen gewiss vorsichtig sein, uneingeschränkt darf man aber den polnisch-schweizerischen Pianisten Krystian Zimerman als einen der bedeutendsten und wichtigsten Pianisten unserer Zeit bezeichnen, der sich wieder einmal die Ehre im Großen Saal des Wiener Konzerthauses gibt, um am 17. Oktober 2024 ein ungemein abwechslungsreiches Solorecital zu gestalten. Zimerman spielt auf seinem eigenen Flügel, einem wunderschön gestimmten, ungemein klangvollen Instrument aus dem Hause Steinway & Sons.

Im ersten Teil des Abends stehen drei Nocturnes von Frederic Chopin auf dem Programm – Fis-Dur op. 15/2, Es-Dur op. 5/2 und E-Dur op 62/2 – im Grunde elegische Nachtstücke, mitunter dramatisch angehaucht, die viel an Gefühl erfordern, worüber Zimerman, ein wahrer Meister seiner Zunft, uneingeschränkt verfügt. Danach, ebenfalls aus der Feder Chopins, eines seiner bekanntesten, beliebtesten und besten Werke, die Sonate b-moll op. 35. Oft als Drama eines Helden und dessen Tod aufgefasst, wo im letzten Satz der Wind über das Grab heult – und folglich von Tastentigern oft zu vordergründiger Virtuosität missbraucht – belehrt uns Zimerman eines Besseren, indem er das Werk, selten so gehört, strikt, zwingend und ergreifend interpretiert. Natürlich lässt er den Steinway dort, wo erforderlich, so richtig aufrauschen, nimmt sich aber ebenso eindrucksvoll zurück und gestaltet den Trauermarsch des dritten Satzes ergreifend innig. Hinreißend auch, wie er als idiomatischer Chopin-Spieler die Agogik der Werke seiner Heimat erfasst, geprägt von wehmütiger Melancholie wie enormer Durchschlagskraft.

Interpretatorisch wie pianistisch verfügt Zimerman über einen fantastischen Klangfarbenreichtum wie über traumhaft sichere Anschlagsnuancen gepaart mit einer immer noch hervorragenden Technik und ausgeprägter Individualität, nach wie vor auf der Suche nach Perfektion – die letzten Töne eines jeden Stückes lässt er ungewohnt lange nachhallen, das Pedal wird zur starken musikalischen Gestaltung verwendet. Pianistische Brillanz herrscht auch nach der Pause – zunächst in Kombination mit einer grandiosen Farben- wie Stimmungspalette bei „Estampes“ von Claude Debussy. Höchste Klavierkunst stellt es dar, wenn Zimerman traumwandlerisch sicher durch die Glöckcheneffekte von „Pagodes“, die Farbenskala von „Le soirèe dans Grenade“ und die verschleierten Arpeggien von „Jardins sous la pluie“ gleitet: Das ist zauberische Tonmalerei nahezu in Vollendung, für mich der Höhepunkt des ganzen Abends. Zum Schluss spielt Zimerman, der gerne polnische Komponisten in seine Programme aufnimmt, noch – von Karol Szymanowski – „Wariacje na polski temat ludowy“ op. 10, wobei er das Publikum mit der fast mühelosen Umsetzung des hohen technischen Anspruches, der dieser Komposition zu Grunde liegt, begeistert.

Zum Dank für die tosenden standing ovations und nach bewegenden Worten über das aktuelle Zeitgeschehen betreffend den Krieg in Osteuropa spielt er zwei ebenso meisterhaft interpretierte Zugaben von Sergej Rachmaninoff zwecks Frieden für beide Parteien – die Prèludes gis-moll op. 32/12 und D-Dur op. 23/4. Nach Verleihung der Ehrendoktorwürde der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik in Warschau 2015 und der Zuerkennung des als „Nobelpreis der Künste“ bekannten japanischen Praemium Imperale in der Kategorie Musik 2022 wird dem Ausnahmepianisten demnächst auch die Ehrendoktorwürde der Universität Lodz zuerkannt.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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