VOICE KILLER – Eine unerwartet allzu aktuelle Uraufführung im MusikTheater an der Wien

Vor dem zweiten Mord säuft Pauline (Holly Flack) Private (Seth Carico) unter den Tisch: Szene aus der Uraufführung von VOICE KILLER im MusikTheater an der Wien © Karl Forster

In einem Bundesoberstufenrealgymnasium in der steiermärkischen Landeshauptstadt Graz ist es am 10. Juni 2025 zu einem Amoklauf gekommen. Ein Ex-Schüler tötete mit einer Schusswaffe zehn Menschen und richtet sich selbst. Auslöser für diese Wahnsinnstat eines offensichtlich Traumatisierten waren häusliche Gewalt und Mobbing in der Jugend.

Am 13. Juni 2025 kommt im MusikTheater an der Wien zu Saisonschluss als Auftragswerk des Hauses VOICE KILLER zur Uraufführung: An Opera Based on a True Story, mit der Musik von Miroslav Srnka und dem Libretto von Tom Holloway – ein zwingendes, pausenlos gegebenes Werk mit einer Spieldauer von einer Stunde und vierzig Minuten.

Die Handlung kreist um den GI Private Edward J. Leonski, eines Soldaten auf einem US-Stützpunkt in Melbourne, Australien, während des Zweiten Weltkriegs. Ebenfalls traumatisiert von Gewalt in seiner Kinderzeit, fallen dem psychisch kranken, schweren Alkoholiker 1942 drei Frauen zum Opfer, denen er zufällig begegnete. Die Frauen geraten wegen ihrer Stimmen in den Fokus des Täters: Besessen von der Stimme seiner Mutter, die ihm Kinderlieder vorsang, suchte er vor den Morden diese Stimme vergeblich bei diesen Frauen. Das Stück hat drei Teile, die jeweils von zwei Zwischenteilen unterbrochen werden. Jeweils am Ende eines jeden Teiles wird ein Mord verübt, jedoch nicht musikdramatisch auskomponiert.

Wie nahe kommen wir einem Menschen durch dessen Stimme? Musik, Text und Inszenierung versuchen sich an dieser für das Werk essenziellen Frage. Die Umsetzung in jeder Hinsicht gerät über weite Teile ergreifend adäquat, wenngleich zu Beginn und am Schluss eine gewisse Langatmigkeit zu übertünchen gewesen wäre sowie, sowohl der szenischen als auch der musikalischen Umsetzung, mehr an Deutlichkeit und Schärfe nicht geschadet hätte. Cordula Däuper und ihr Regieteam haben an dem Stück hart gearbeitet, die Regie gibt den drei Opfern über ihren tragischen Tod hinaus eine Stimme, indem sie als neue Figuren radikalisiert im eigenen Mordfall ermitteln. Stück und Handlung laufen videounterstützt auf mehreren Ebenen ab.

Die menschlichen Stimmen dazu setzt der Komponist in seinem neuen Werk in hohen und höchsten Lagen ein. Die Hauptrolle des Private hat der Bass-Bariton Seth Carico übernommen, der die für einen Bariton gesetzte, immer wieder in das hohe Falsett wechselnde Rolle stimmlich wie darstellerisch eindrucksvoll gestaltet. Die Rollen der Mordopfer bzw. Ermittlerinnen sind für Soprane komponiert, zwei davon sogar für sehr hohe: Caroline Wettergreen (Ivy), Holly Flack (Pauline) und Nadja Stefanoff (Gladys) meistern ihre stimmlichen Herausforderungen überzeugend. Privates Mutter, Momma, deren Stimme er immer wieder beschwört, gibt die Schauspielerin Jacqueline Macaulay, Pappa und Provost verkörpert Stephan Loges, Privates Kameraden, Gallo, einen Zeugen der Mordprozesse, eindringlich Julian Hubbard.

VOICE KILLER ist für ein Ensemble von sechsundzwanzig InstrumentalistInnen geschrieben – Streicher, je zwei Flöten, Klarinetten, Trompeten, Posaunen und Akkordeons, ein Klavier und drei Schlagzeugparts; dazu spielen alle auch Waterphones, Eierschneider, Regenrohre, Schneebesen, u. ä.: Finnegan Downie Dear sorgt mit dem auf Avantgarde spezialisierten Klangforum Wien für eine gelungene Umsetzung der komplexen Partitur. Bewährt souveränen Chorgesang steuert der Arnold Schoenberg Chor bei.

Vor der Uraufführung wendet sich Intendant Stefan Herheim an das Publikum und bittet um eine Gedenkminute für die Opfer von Graz, stellvertretend für alle Opfer von Gewalt. Am Ende nach einem fordernden Abend Musiktheater gibt es zwar uneingeschränkte, aber enden wollende Zustimmung vom Publikum. Beklemmung, Begeisterung über Musiktheater äußert sich in der Regel anders: die Bestürzung über die Tragödie des Schulmassakers in Graz sitzt wohl noch allzu tief, auch im Hinblick auf die brennheiße Aktualität des soeben auf der Bühne Erlebten.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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