Die Vorstellung am 7. November 2025 an der Volksoper Wien ist bereits die 183. (!) Aufführung von Giuseppe Verdis Oper in drei Akten, „La traviata“, mit dem Libretto von Francesco Maria Piava nach Alexandre Dumas fils „La Dame aux camelias“, in der Regie des 2005 verstorbenen Hans Gratzer, der auch das in seiner Kargheit beeindruckende Bühnenbild entworfen hat. Diese Inszenierung ist Musiktheater vom Feinsten, ja man kann beinahe von einer Kult gewordenen Ikone sprechen, die bis heute nichts von ihrer Ästhetik, Eleganz und Poesie eingebüßt hat. Die von Barbara Naujok entworfenen Kostüme sind berauschend schlicht, das plastische, die Bühne fortwährend in milchig verhangene, magische Farben tauchende Licht von Frank Sobotta schafft einzigartige Stimmungen. Violetta Valéry, die Kurtisane, die Dank Alfredo Germont ihre große Lebensliebe erfährt, welche furchtbar tragisch endet, erlebt die Handlung in Gratzers großartiger Regiearbeit mit einfacher, fulminanter Personenführung als Rückblende vor ihrem Tod. Besonders berührend, ja beklemmend gerät die Schlussszene, wo die ersehnten Alfredo und Giorgio Germont nur mehr in ihrer Fantasie erscheinen, sprich hinter einem Vorhang, von Violetta nur mehr als Schatten wahrgenommen, auftauchen, bevor sie in den Armen Anninas und Dr. Grenvils ihr kurzes Leben aushaucht: Musik, die dank einer zwingenden Inszenierung zu Poesie wird.
Standen doch in all‘ den Jahren seit der Premiere im Juni 2001 ausgezeichnete SängerInnen wie Viktoria Loukianetz und Marina Rebeka als Violetta, Pavel Cernoch und Tomislav Muzek als Alfredo Germont, Bernd Weikl und Renato Bruson als Giorgio Germont, um nur einige zu nennen, auf der Bühne sowie Dirigenten wie Leopold Hager, Alfred Eschwé oder zuletzt Omer Meir Wellber am Pult, kann sich auch diese Vorstellung sehr gut hören lassen. Die kleinen Partien sind allesamt adäquat aus dem Hausensemble besetzt, Roger Diaz-Cajamarca hat den Chor der Volksoper Wien sehr gut für seine Aufgabe vorbereitet. Im Graben, am Pult des höchst motivierten Orchesters der Volksoper Wien setzt Alexander Joel auf Sentiment wie Leidenschaft von Verdis kostbarer Partitur, schreckt auch vor starken Akzenten, bisweilen bis zum Knallen, nicht zurück, ist der Bühne aber ein mit der Musik atmender Gestalter. Nach kleinen Unsicherheiten zu Beginn steigert sich die in der Titelrolle am Haus bereits bewährten Rebecca Nelsen zu einer hervorragenden Leistung, ihr ansprechender, feiner, lyrischer Sopran ist in allen Lagen gut geführt, die Sterbeszene gerät bewegend. Mächtig und klangvoll präsentiert Alexandre Beuchat seinen starken Bariton als Giorgio Germont, das Duett zwischen Violetta und Giorgio im zweiten Aufzug gerät zum gesanglichen Höhepunkt des Abends. Und als Alfredo Germont gefällt sehr überzeugend Timothy Fallon, der mit seinem hellen, fein geschmeidigen, schmelzreichen, echten Tenore di grazia, in der anspruchsvollen Rolle beherzt leidenschaftlich reüssieren kann.
Diese über den Maßen gelungene Produktion, wo ein Werk ganz aus Musik, Text und literarischer Vorlage entwickelt auf die Bühne gebracht wird, möge dem Wiener Publikum noch lange erhalten bleiben.