Ungewohnte Programmierung – Franz Welser-Möst mit Bruckners IX. und Berg

Franz Welser-Möst beim Soloapplaus nach der 4. philharmonischen Soirée © Thomas Rauchenwald

Mit der „dem lieben Gott geweihten“ IX. Symphonie, die er nicht mehr vollenden konnte, hat Anton Bruckner, der im September seinen 200. Geburtstag feiert, seinen „Abschied vom Leben“, wie er selbst den Tuben-Satz im zweiten Thema im Adagio bezeichnet hat, komponiert. Franz Welser-Möst, der eine besondere Beziehung zu diesem großartigen Werk hat, und die Wiener Philharmoniker setzen die dreisätzige Symphonie auf das Programm ihrer unmittelbar bevorstehenden USA-Tournee wie auch ihrer Soirée am 26. Februar 2024. Und auch im fünften Konzert hintereinander in Wien ist das Orchester einfach prächtig disponiert und musiziert im vollkommenen Einklang mit dem Dirigenten, sodass Bruckners letztes Werk ungemein kompakt, voll, rund, wie aus einem Guss im Großen Musikvereinssaal musiziert wird.

Franz Welser-Möst mit dem sehr gut ausbalancierten wie satt klingenden Eliteorchester setzt auf flüssige, zwischendurch sogar zügige Tempi, baut mit weitem Atem große Spannungsbögen auf, die er, ein Pultvirtuose allererster Güte, über den gesamten Verlauf der Symphonie halten kann. Feierlichkeit ist dort zu hören, wo von Bruckner verlangt und angebracht, die Musik wird aber nie zum Selbstzweck zelebriert, pompöse Steigerungen, die sich nur in plakativ monumentalen Knalleffekten entladen, sind bei dieser beglückenden Interpretation nicht zu vernehmen.

Im ersten Satz – Feierlich. Misterioso – betont der Dirigent eindrücklich, worum es hier geht: Ernst, Kampf, Strenge, Wucht. Der Bläserchoral in der Coda wird intensiv, vehement gesteigert, das Tremolo in den ganzen Streichern gerät ekstatisch, so hört man das selten.

Im Scherzo, dem einzigen Bruckners, wo Anklänge an seine oberösterreichische Heimat zur Gänze fehlen, schimmert in den stampfenden Akkorden, die Welser-Möst nur so herausmeißelt, beinahe schon Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ durch; ein bizarrer, rhythmisch akzentuierter Totentanz zieht da vorbei.

Besonnene Abgeklärtheit, Mystik, nie hohles Pathos dann im Finale. In diesem Adagio reizt Welser-Möst die Klangfarben-Intensität aufs Äußerste aus, die Akkord- und Klangballungen werden gewaltig aufgetürmt. Das an Konzentration nicht nachlassende, scheinbar nie ermüdende Orchester setzt das alles in einer Staunen machenden Intensität um. Am Ende, im Abgesang der Coda, wo man die Orgel von St. Florian zu hören glaubt, mit diesem ruhigen Ausschwingen – Hörner über den Akkorden von Tuben und Posaunen über den weitgespannten, pendelnden Streichern bis zu deren Pizzicati am Schluss – vermag Welser-Möst sensible Hörer*innen zu Tränen zu rühren …

Ohne Unterbrechung (!) – was einige im Publikum bedauerlicherweise irritiert – erklingen dann noch die „Drei Orchesterstücke“ op. 6, von Alban Berg – klangsinnlich, leuchtend, durchsichtig mit allen Schattierungen und Klangfarben von den Wiener Philharmonikern gespielt. Und es wird deutlich, wie modern, in welche tonale Regionen Bruckner mit seinem letzten Werk, das ein „vollendet unvollendetes“ ist, bereits vorgedrungen ist.

Den abschließenden Publikumsjubel nimmt der Dirigent bescheiden, gerührt entgegen.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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