Das Gewandhausorchester Leipzig als das älteste bürgerliche Sinfonieorchester der Welt zeichnet sich durch einen singulären, besonders dunklen, warmen Klang aus, erdfarben, basslastig, reich, mit sattem, vollem Streichersound, dennoch sehr transparent, samtig leuchtend. Grundlage dafür sind die Bogenführung, ein spezieller Umgang mit dem Vibrato sowie die Aufwertung der tiefen Stimmen als Klangfundament. Besonders an diesem Spitzenorchester, das nun wieder im Wiener Musikverein gastiert, ist das von Herbert Blomstedt Ende der 1990er Jahre wiedereingeführte Musizieren in deutscher Aufstellung.
Im Konzert am 9. März 2024 werden ausschließlich Werke von Peter Iljitsch Tschaikowsky gegeben. Zu Beginn das Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35, ein durch und durch musikantisches Werk, das heute zu den unumstrittenen Glanzstücken seiner Gattung zählt. In der Wiedergabe tritt das Orchester unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons mit dem Solisten Leonidas Kavakos, der seiner herrlichen „Willemotte“-Stradivari aus 1734 betörende Töne entlockt, in einen beispiellosen Dialog erfüllten Musizierens. Ausmusizierte, gehaltene Spannungsbögen dominieren die ersten beiden Sätze – die horrenden Schwierigkeiten des ersten Satzes meistert Kavakos stupend, mit dem wunderschönen Lied des zweiten Satzes bringt er die Zuhörer*innen zum Träumen. Im dritten Satz dreht Nelsons dann gewaltig auf, zieht das Tempo enorm an, der Solist geht freudig mit, sodass das Finale zu einem Bravourstück geigerischen Ausdrucks wie Souveränität gerät und den Jubel des Publikums nahezu herausfordert. Nach dem Virtuosenkonzert dann als Zugabe eine Piece von einem Geigenvirtuosen und zwar den 2. Satz (Sarabande) aus der Sonate für Violine Solo e-moll op. 27/4 von Eugéne Ysaye.
Nach der Pause dann die Symphonie Nr. 5 e-moll op. 64, ein Werk, quasi ein Selbstporträt, worin der Grundpessimismus des Komponisten in einem „Kern“ eingefangen ist, der laut Tschaikowsky selbst die „vollständige Beugung vor dem Schicksal, oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung“ darstellt. Bereits die schwermütige Einleitung in besonders fahl klingenden Holzbläserfarben lässt in dieser gekonnt gelungenen Interpretation aufhorchen. Ruhige Breite dominiert auch in den ersten drei Sätzen bei Andris Nelsons, dem es aber gelingt, die vor Spannung nahezu berstenden Linien und Bögen nie abreißen zu lassen. Das Finale mit seinem triumphartigen „Siegesmarsch“ gerät denn zum ebenfalls den Publikumsjubel provozierenden großartigen, russisch temperamentvollen Volksfest, gewiss auch äußerlich lärmenden Stimmungsbild. Aus der insgesamt blendend aufgestellten Formation ragen solistisch Fagott, Oboe und Klarinette, vor allem aber das phänomenal rund geblasene Solohorn hervor. Ein Abend, der musikalisch nur Freude bereitet.