LE NOZZE DI FIGARO schräg und schrill an der Wiener Volksoper

Leading Team und Ensemble nach der Premiere von "Le nozze di Figaro" an der Wiener Volksoper © Thomas Rauchenwald

Die Direktorin und künstlerische Geschäftsführerin der Volksoper Wien, die niederländische Regisseurin Lotte de Beer, hatte für das Festival d’Aix-en-Provence 2022 die commedia per musica in vier Akten „Le nozze di Figaro“ – Musik Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto Lorenzo Da Ponte – nach der Komödie „La folle journèe ou Le mariage de Figaro“ von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais kreiert. Diese Produktion wird nun von der Wiener Volksoper übernommen; wegen der deutlich breiteren Bühne in Aix sind aus Sichtgründen in Wien die Logen und die seitlichen Galerieplätze gesperrt.

Der Regisseurin, die an der Volksoper neue Sichtweisen unter Einbeziehen der bewährten Tradition des Hauses präsentieren möchte, soll heißen, Jung und Alt sollen sich im Haus wiederfinden und wohl fühlen, geht es in diesem (musikalischen) Meisterwerk um Klassenkampf, Macht und Sex. Zudem wird jeder Akt aus der Sicht einer jeweils anderen Figur erzählt. Im ersten Akt sieht das Publikum die Welt aus den Augen des Grafen, hier ein moderner, frauenverachtender (Feudal)Herr, wenn man so will, im zweiten aus der Sicht der klugen, schlauen Susanna, im dritten melancholisch, beinahe hoffnungslos aus jener der Gräfin, im vierten aus der hoffnungsvollen der jungen Barbarina. Unterstützt wird die inszenierende Intendantin bei ihrer Regiearbeit von Rae Smith (Bühnenbild), Jorine van Beek (Kostüme), Alex Brok (Licht) und Peter te Nuyl (Dramaturgie). Personenführung und Personenregie geraten nahezu exzeptionell, grandios, Lotte de Beer versteht es, das Ensemble zu toller Darstellung zu animieren. Der Graf Almaviva als testosterongesteuerter Macho, die Gräfin Almaviva, die unter seinem, alle Grenzen überschreitenden Verhalten leidet – selten kommt das auf der Opernbühne so überdeutlich klar, zwingend nachvollziehbar zum Ausdruck. Das Stück ist aber auch eine Komödie, was die Regie allzu betont herausarbeitet: Irrer Klamauk und grenzenlos sexistischer Humor dominieren die ersten beiden Akte, im dritten bleiben diese Facetten ausgespart, um im vierten Akt, bisweilen etwas trivial, wiederzukehren. Man darf gespannt sein, wie diese rasante Inszenierung, diese bisweilen schräg schrille Regiearbeit, im Repertoire bestehen wird. Das Premierenpublikum reagierte beim Erscheinen des Regieteams zwar ohne Ablehnung, jedoch mit verhaltenem Applaus, vermutlich erschlagen von diesem „tollen Tag“: Lotte de Beer, die bewusst ein gemütliches Konzept verlässt, um das Spannungsverhältnis von Sex und Macht, des Öfteren auch übertrieben, drastisch zu verdeutlichen, nimmt die Vorlage Beaumarchais‘ wörtlich.

Die Besetzung am Premierenabend des 24. Mai 2025 ist durchwegs sympathisch. In den kleinen Rollen gefallen Jaye Simmons (Barbarina, lieblich), Daniel Ohlenschläger (Antonio, saftig), Timothy Fallon (Basilio/Don Curzio, besonders ulkig), Ulrike Steinsky (Marcellina, beeindruckend) und Stefan Cerny (Bartolo, gefährlich bassstark). Annelie Sophie Müller bezaubert mit leicht lockerem Mezzo als triebgesteuerter Cherubino, Michael Arivony überzeugt als geschmeidig pfiffiger Figaro, Lauren Urquhart singt eine feine, kultivierte Susanna, Daniel Schmutzhard verleiht den Grafen im Verlauf des Abends mehr und mehr an gestalterisch markanten, präsenten Zügen.

Musikalisch dominiert wird diese Premiere von der wunderbaren Gräfin von Matilda Sterby, der ein starkes wie bewegendes Rollenporträt und dabei stimmlich die mit Abstand beste Leistung des Abends zu attestieren ist – und vom Dirigenten Omer Meir Wellber, der die Aufführung vom Hammerklavier aus leitet, mit dem sehr gut disponierten und mit Verve aufspielenden Orchester der Wiener Volksoper. Die von Grund auf raschen, in der Korrelation bestens entwickelten, organisch abgestimmten Tempi geben dem Stück seine ganze erforderliche, wirbelnde Rasanz. Die wehmütigen Töne von Mozarts genialer Partitur fehlen aber ebenso wenig, wie auch eine harsch akzentuierte, starke Dramatik.

Am Ende ernten Orchester, Dirigent und die Gräfin Almaviva die deutlichste Zustimmung aus dem Publikum.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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