Am 25. Oktober 2025 jährt sich der 200. Geburtstag des „Walzerkönigs“ Johann Strauss (Sohn), die Wiener Symphoniker blicken auf 125 Jahre zurück – überzeugende Gründe genug, dass die „Königin der Operette“, uraufgeführt 1874 im Theater an der Wien, DIE FLEDERMAUS, das Meisterwerk aus der Feder des genannten Komponisten, eine Operette in drei Akten mit dem Libretto von Carl Haffner und Richard Genee, nach LE REVEILLON von Henri Meilhac und Ludovic Halevy, am 4. Oktober 2025 an seinen Uraufführungsort zurückkehrt. Hausherr Stefan Herheim macht selbst die Inszenierung, im Orchestergraben nimmt das zitierte Orchester der Stadt Wien Platz, Chefdirigent Petr Popelka dirigiert dieses Werk zum ersten Mal in seiner Karriere.
Festtagsstimmung war also angesagt – und dass Stefan Herheim vorsätzlich mit der Wiener Tradition dieses Stückes brechen würde, war wohl auch allen im Publikum bewusst. Man kann das Stück heute eben nicht mehr so wie der legendäre Otto Schenk auf die Bühne bringen: dessen heiterer wie gleichsam abgründiger Charme DIE FLEDERMAUS betreffend sind unerreicht, weder geeignet noch empfohlen zur Nachahmung bzw. Nachäffung. Also muss es anders sein.
In musikalischer Hinsicht ist diese Premiere jedenfalls sehr gelungen. Petr Popelka bleibt, von den Einschüben abgesehen, der Partitur, so wie sie Strauss geschrieben hat, treu. Die Wiener Symphoniker spielen an diesem Premierenabend groß auf, mit überschäumender Musizierlust in Festtagslaune. Schwung, Drive, Zug dominieren diese Lesart, Popelka betont auch die wehmütige Melancholie der großartigen Musik, lässt aber auch die Champagnerkorken ordentlich knallen, das Stück verträgt’s, verlangt’s sogar. Gewohnt hervorragend, was Gesang und Darstellung betrifft, der Arnold Schoenberg Chor, die Choreinstudierung hat Viktor Mitrevski besorgt.
Das Ensemble der Sänger:innen ist in vielen Partien rollendeckend – Jana Kurucova (Prinz Orlofsky), Leon Kosavic (Dr. Falke), Kresimir Strazanac (Frank), Alexander Kaimbacher (Dr. Blind) und Ines Hengl-Pirker (Ida). Als Inbegriff einer Koloratursoubrette agiert Alina Wunderlin als Adele, stimmlich stark mit mächtigem Sopran stattet Hulkar Sabirova die Rosalinde aus. Einen tenoralen Wettstreit liefern sich David Fischer als Alfred und vor allem Thomas Blondelle als behänder, stimmlich enorm viriler Eisenstein.
Stefan Herheim, neben der Inszenierung auch für das Bühnenbild verantwortlich, ist, was das Regiehandwerk betrifft, ein Meister seines Faches. Dieser Regiemagier ist von leidenschaftlicher Lust am Musiktheater geprägt, seine Personenregie ist, auch was diese Inszenierung betriff, formidabel, seine Personenführung subtil, wo vonnöten auch mit sprichwörtlicher Regie-Keule. Dass Herheim nicht nur die Operette DIE FLEDERMAUS auf der Bühne spielen lässt, war allen, die sich mit ihm als Regisseur auseinandergesetzt haben, ebenso klar: wie gewohnt, führt er in seiner Regiearbeit Metaebenen – zur besseren Verdeutlichung wie herausfordernden Auseinandersetzung – ein.
Die erste, auffällige dieser übergeordneten Sichtweise ist der Umstand, dass die Handlung mehr oder weniger in den 1930er-Jahren, in der Zeit kurz vor dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland spielt, mit Rückblenden auf die Österreich-Ungarische Doppelmonarchie, den Untergang dieser Donaumonarchie nach dem Ersten Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Epidemien wie Cholera und Spanische Grippe nicht aussparend. Stefan Herheim nimmt das Publikum mit auf eine historische Zeitreise durch die jüngere österreichische Geschichte, wo natürlich auch stark betonte Nazi-Hinweise in dieser Inszenierung ebenso wenig fehlen dürfen wie ausladend tänzerische Einlagen mit schräg schriller sexueller Ausrichtung.
Der zweite Diskurs an inszenatorischen Zusatz ist die Freiheit, dass die Regie auch auf die Geschichte des Hauses eingeht. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Theater an der Wien als Ausweichquartier für die zerbombte Staatsoper bis zu deren Wiedereröffnung 1955, weshalb im ersten Akt ein Potpourri aus Opernmelodien von Beethoven, Verdi und Wagner bis zu Giordano erklingt. Zu Beginn der Premiere wähnt man sich überhaupt in der falschen Aufführung, erklingt doch der Anfang des zweiten Aktes von Ludwig van Beethovens FIDELIO, der ja, wie der dritte Akt der FLEDERMAUS, auch in einem Gefängnis spielt, bzw. auch im Theater an der Wien, 1805, uraufgeführt wurde. Zu hören ist zwischendurch auch kurz eine Nummer aus dem Erfolgsmusical ELISABETH, mit dessen Uraufführung 1992 die Geburtsstunde des Wien-Musicals eingeleitet wurde, und diente das Theater an der Wien danach vor der Implementierung als Operntheater ja bekanntermaßen lange als beliebte Aufführungsstätte für dieses Genre.
Die dritte Ebene dieser Struktur bildet das nicht immer ungetrübte Verhältnis zwischen Johann Strauss und Kaiser Franz Josef I.: Während der Revolution 1848 war Strauss Sympathisant gegen die Monarchie, weshalb er erst 1863 nach etlichen dem Kaiser gewidmeten Kompositionen und Gesuchen als „Hofballmusikdirektor“ bestellt wurde. Der Gerichtsdiener Frosch geistert als Monarch Franz Josef I. ständig durch die Szenerie, die üblichen überstrapazierten, als humorig geltenden Wiener Floskeln dieser Figur bleiben zwar nicht zur Gänze ausgespart, dominieren glücklicherweise aber nicht wie gewohnt. Dieser Frosch darf sogar humorvoll Kritik am Theater an der Wien und seinem inszenierenden Intendanten üben: Schauspieler Alexander Strobele gefällt einnehmend in dieser Charakterstudie.
Das Publikum zu Uraufführungszeiten verstand DIE FLEDERMAUS als Abbild einer k.-und-k.-Gesellschaft, als Spiegel der eigenen Verhältnisse und Befindlichkeiten. Unterstützt von Esther Bialas (Kostüme), Franz Tscheck (Licht), Beate Vollack (Choreografie) und Christian Schröder (Dramaturgie) will der Regisseur Herheim mit seiner Inszenierung dieses Meisterwerkes auch dem heutigen Publikum einen Spiegel vorhalten. Entstanden ist eine Mischung aus Tanzoperette, Persiflage, Camouflage und Parodie auf ein Genre, dem der Nationalsozialismus beinahe den Todesstoß versetzt hätte, fehlten durch den Holocaust die entsprechenden Künstler:innen und schöpferisch tätige Personen.
Die Produktion stellt in szenischer Hinsicht eine grell witzige Abfolge von rasant wirbelnden Szenen dar, an Anspielungen, Assoziationen, Brüchen, Ideen und Verfremdungen überreich, bisweilen überfordernd überfrachtend. Diese Regiearbeit verfügt gewiss über Charme, Intelligenz, Intellekt und überbordenden Witz. Ob dem Kern der Meisteroperette DIE FLEDERMAUS damit gerecht wird, sowie die Frage, ob dieses Hauptwerk der Goldenen Ära der Operette eine Revueoperette darstellt, darf, soll und muss ein jeder im Publikum selbst für sich beantworten: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“