In der aktuellen Saison 2025/26 dominiert in den Konzerten des Tonhalle-Orchester Zürich neben anderen Werken ein Mahler-Zyklus unter seinem Music Director seit 2019, Paavo Järvi. Dieser Zyklus steht auch im Zentrum einer Tournee im November, wo das Orchester neben den zwei Konzerten im Wiener Musikverein auch in Baden-Baden, Köln, Paris, Dortmund und Mailand gastiert. Nach der Symphonie Nr. 1 im ersten Wiener Konzert stand im zweiten Konzert am 22. November im Großen Musikvereinssaal 2025 die Symphonie Nr. 2 c-moll von Gustav Mahler, deren häufig verwendeter Beiname „Auferstehungssinfonie“ allerdings überhaupt nicht von Mahler selbst stammt, als alleiniges Werk auf dem Programm.
Entgegen tags zuvor bei der Symphonie Nr. 1 desselben Komponisten agiert das Orchester bereits von Beginn an in Hochform, Paavo Järvi hat die Zügel straff gespannt, Hochspannung ist über die ganze Dauer des Riesenwerkes garantiert, die energiegeladene Interpretation besticht durch permanente energetische Spannkraft und großen Atem. Vorherrschend ist ein hervorragend räumlicher Klang, naturgemäß auch der phänomenalen Akustik des Saales geschuldet, der, wie der Dirigent im Anschluss an das Konzert in einem Gespräch im Gläsernen Saal / Magna Auditorium erklärt, im Wesentlichen aufgrund seiner speziellen akustischen Beschaffenheit immer Bestandteil der Aufführung, der Interpretation sei.
Järvi führt die an diesem Abend in allen Instrumentengruppen hervorragend aufgestellte, auf Sitzkanten musizierende Formation äußerst zügig und höchst präzise durch die Partitur, befolgt detailgenau deren Anweisungen und beweist derart ein großartiges Gespür für Mahlers Idiom.
Wie selten wirklich überzeugend eingefangen wird die spirituelle Qualität des letzten Satzes, neben der glasklar gesteigerten, knackig hart gespielten Apotheose gelingen auch die leisen, klangflächenartigen Abschnitte ungemein subtil. In dieser Darstellung des Jüngsten Gerichtes beeindruckt wie gewohnt der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, einstudiert von Johannes Prinz, mit überragend tonschönem Chorgesang. Mit dieser vokalen Leistung mithalten kann der warme, satte Alt von Anna Lucia Richter, vor allem im „Urlicht“, weniger der glockenhelle Sopran von Mari Eriksmoen.
Paavo Järvi gelingt es in dieser Aufführung überzeugend, eine musikalische Geschichte zu vermitteln, wodurch dieses heftige, überschwängliche Werk trotz seiner Weitschweifigkeit überzeugend wie wertvoll den Saal erfüllt. Unter diesem Dirigenten kommt Mahlers orchestrale Raffinesse ungeschminkt zum Vorschein, seiner äußerst klaren, zum Schluss überragend gesteigerten Interpretation wohnt ein leises, wunderbares, nie aufgesetztes Mysterium inne. Dieser von Kitsch, Larmoyanz und Sentiment entschlackte Mahler gefällt dem Publikum. Höchst erfreulich die vielen jungen Menschen im Saal: der auf sozialen Medien vertretene, überaus sympathische Dirigent kommt beim jungen Publikum offenbar gut an und ist in der Lage, ernste Musik auf natürliche Art und Weise zu vermitteln.
Dieser Tage erschienen ist auch die CD-Aufnahme von Mahlers Symphonie Nr. 1 mit dem Tonhalle-Orchester unter Paavo Järvi, die gleichsam interpretatorisch wie aufnahmetechnisch überzeugt (Alpha Classics, Katalog Nr. ALPHA 1166). Für Paavo Järvi hat die Musik Mahlers einen eindeutig programmatischen Charakter: „Mahler war ein Komponist, der wirklich in der Lage war, die innere Welt des Menschen zu erforschen und zu fragen, was in uns vorgeht.“ Die Aufnahme von Mahlers Sinfonie Nr. 5, die bereits zuvor als erste des Mahler-Zyklus des Orchesters erschienen ist (Alpha Classics, Katalog Nr. 1127), wurde mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 3/25 ausgezeichnet – mit der Begründung, Paavo Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich seien ideale Partner: „Ihr Mahler ist detailreich und spannungsgeladen, balanciert Kraft und Agilität, ohne die starken Kontraste zu übertreiben. Diese Interpretation fließt zügig dahin. Sie ist kontrastreich, transparent und ohne Pathos. Trotz all ihrer üppigen Schönheit verliert sie nie an erzählerischer Spannung.“