Die Berliner Staatsoper Unter den Linden spielt sein April 2013 die 1843 in Dresden uraufgeführte, romantische Oper in drei Aufzügen „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner in einer ursprünglich für das Theater Basel entwickelten Produktion: Philipp Stölzl hat die Inszenierung und, gemeinsam mit Conrad Moritz Reinhardt, das Bühnenbild besorgt, die Kostüme stammen von Ursula Kudrna, das Licht von Hermann Münzer. Das Werk wird ohne Pause gegeben, wie in der Urfassung, allerdings mit Erlösungsschluss der Ouvertüre und am Ende.
Stölzl siedelt das Stück in der Zeit seiner Entstehung in einer bürgerlichen Bibliothek an. Ein riesiges Bild mit Klippen und Meereswogen im Hintergrund öffnet sich und entpuppt sich als Bühne auf der Bühne, woraus die Gestalten der Handlung auch in den eigentlichen Bühnenraum treten: derart verschmelzen, verschwimmen die Räume zu Seelenräumen, die junge, doppelte Senta liest in der Bibliothek die Geschichte vom fliegenden Holländer, schläft dabei ein und erträumt sich ihre eigene Welt. Beide, Senta und der Holländer sind Verwandte in der Seele, wollen ihrer jeweiligen Welt entfliehen: Sie aus der bürgerlichen Enge, er – verdammt zu ewigem Leben – in den erlösenden Tod. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Senta in ihrer eigenen, fantasiebedingten Welt. Stölzls bisweilen abgründige Personenregie wie zwingende Personenführung funktioniert auch in der 25. Vorstellung der Produktion am 16. Mai 2025. In der Enge des bürgerlichen Kerkers erlebt und speichert Senta eine unglaubliche Aggression, die sie gegen sich selbst richtet, und erträumt sich als – erlösenden – Täter den selbst erlösungssüchtigen Holländer, mit dessen Hilfe sie sich Vernichtung und damit die Flucht aus ihrer beklemmenden Enge ersehnt. Dieser Holländer ist ein von Wunden übersäter, großer Leidender, ihr Bruder im Geiste. Das Ende gerät, wie man weiß, fatal: Stölzl inszeniert das auch so, es gelingen ihm eindringlich verstörende Bilder.
Was die musikalische Umsetzung dieses Stückes, dieses Werk Wagners stellt ein Werk des Überganges dar, „Nicht mehr und noch nicht im Fliegenden Holländer“ hat es Hans Mayer bezeichnet, gehen die Wogen meterhoch an diesem Abend. Pablo Heras-Casado, ein Dirigent, der von Barock bis Avantgarde jede Musik dirigiert und beherrscht, ist mittlerweile auch als hervorragender, ausgezeichneter Wagner-Dirigent etabliert und setzt mit der formidablen Staatskapelle Berlin ganz auf die balladenartige, unwiderstehliche Sogkraft dieser mitreißenden Musik. Das mächtig aufrauschende, dabei durchwegs transparent musizierende Orchester lässt er so richtig in den Zuschauerraum brausen, sodass die 135 Minuten Spieldauer unter Höchstspannung gebannt ablaufen. Auch die Damen und Herren des von Dani Juris einstudierten Staatsopernchores klingen prächtig an diesem Abend, dem exzellenten Dirigenten, Orchester und Chor sind die besten, stärksten Leistungen des Abends zu attestieren.
James Rutherford ist in der Titelrolle aufgeboten und ist ein wenig dämonischer, stimmlich kaum auftrumpfender Holländer, eher äußerlicher wie innerlicher Schmerzensmann. Diese Rollengestaltung kann gefallen, muss aber nicht, entspricht über weite Strecken der Sichtweise des Regisseurs, man darf sich von einem Holländer aber mehr an stimmlicher Schallkraft erwarten. Es mag aber auch an seiner Positionierung, meistens auf der Hinterbühne, gelegen sein, dass er stimmlich nicht so imposant klingt, wie man es sich für ein wirklich nachhaltiges Rollenporträt wünschen würde und wünschen darf. Ansonsten dominieren in dieser Vorstellung sehr starke Stimmen: Anna Kissjudit als mächtige Mary, Andreas Schager als Erik mit heldentenoralem Aplomb, Falk Struckmann als bisweilen hohl dröhnender Daland und Ricarda Merbeth als zunächst, vor allem in der Ballade, mit groß ausuferndem, störend flackerndem Sopran, im Lauf des Abends dann mehr und mehr überzeugende Senta, schönstimmig gefühlvoll klingt der Steuermann von Siyabonga Maqungo.
Heftige Akklamationen vom Publikum nach diesem von Pablo Heras-Casado entfachten, tobend tosenden Meeressturm in der Lindenoper.