Anton Bruckners Symphonie Nr. 5 B-Dur WAB 105, in den Abonnementkonzerten der Wiener Philharmoniker im Februar 1901 unter keinem Geringeren als Gustav Mahler erstmals aufgeführt, wohl des Komponisten kontrapunktisches Meisterwerk, entspringt einer lebensbejahenden, im tiefsten Glauben unerschütterlichen Gesinnung. Weihevoll ist dieses Werk, gekennzeichnet durch großartige Choräle, ungemein vielgestaltig im Ausdruck, überwältigend in ihrer komplexen Architektur. Derart stellt das herrliche Werk eine immense Herausforderung für die InterpretInnen wie für die HörerInnen dar.
Bevor die Wiener Philharmoniker mit Christian Thielemann, der das Orchester seit 2000 dirigiert und seit 2024 dessen Ehrenmitglied ist, auf große Asien-Tournee gehen, setzen sie Bruckners V. Symphonie auf das Programm des zweiten Abonnementkonzertes der Saison 2025/26 und bleiben in der Matinee am 2. November 2025 so gut wie keine Wünsche offen, werden die oben angeführten Attribute doch in einer denkwürdigen Interpretation nahezu vollendet umgesetzt.
Hochspannung regiert in Thielemanns nunmehriger Gangart von Beginn an. Das Orchester ist in allen Instrumentengruppen blendend disponiert, eine einzige kleine Unreinheit im Solohorn würden nur beckmesserisch Veranlagte bemängeln. Über alle vier Sätze formt Thielemann einen Bogen, der nie unterbrochen, nie auch nur ansatzweise abzureißen droht.
Der erste Satz nach der Introduktion – Adagio – Allegro – mag ungewohnt getragen erscheinen, legt aber das reiche Themenmaterial umso deutlicher frei. Mögen manche Akzentuierungen betonter, stärker hervorzuheben sein, die energisch innige Themenaufstellung kommt selten so markant zur Geltung.
Der zweite Satz – Adagio. Sehr langsam – öffnet unter Thielemanns behutsamer Stabführung ungeahnte Weiten, blühende Landschaften tun sich da auf, majestätisch erhebt und entfaltet sich das hymnisch gewaltige zweite Thema, Thielemanns Intensität, die er der brillant musizierenden Formation entlockt, ist bewegend.
Im dritten Satz – Scherzo. Molto vivace (schnell) – Trio. Im gleichen Tempo – weichen die Schattenseiten des zweiten Satzes so gar nicht – trotz der polternden Ansätze in Ländlern, Walzern und Tänzen, von denen Nikolaus Harnoncourt einmal meinte, Bruckner sei hier ein echter „Bratlgeiger“: Gespenstisch klingt dieser Satz bei Thielemann und dem vorzüglich artikulierenden, enorm spielfreudigen Orchester.
Der vierte Satz – Finale. Adagio – Allegro moderato – gleicht dann einem veritablem Gipfelsturm. Dieses „Glaubensbekenntnis“ Bruckners, das in einem vierzeiligen Choral mit Fuge und Doppelfuge kulminiert, gleicht einem ständig anschwellenden, rauschenden Strom. In der Durchführung zieht Thielemann das Tempo dann kräftig an: dieser Interpretationsansatz beeindruckt überzeugend. Das Publikum jubelt völlig zu Recht nach langen Momenten der Stille im Anschluss an die Coda, die an diesem Vormittag mit eindrucksvoller Strahlkraft schier überwältigt. Und sollte dieses Werk wirklich die Überwindung von Bruckners Todesfurcht durch den Glauben zum Ausdruck bringen, haben dies Thielemann und das Orchester an diesem Vormittag ergreifend vermitteln können.
Vor dieser bruckner’schen „Glaubenssymphonie“ erklingt noch das im September 2021 in der Basilika Sagrada Familia, Barcelona, uraufgeführte ELYSIUM des 1984 in Montreal geborenen Samy Moussa, ein von Bruckners symphonischem Schaffen inspiriertes Orchesterstück, dessen mächtige Klangkaskaden bei Thielemann und den Wiener Philharmonikern naturgemäß gut aufgehoben sind.