DER RING DES NIBELUNGEN – grandios an der Berliner Staatsoper

Christian Thielemann und die Staatskapelle Berlin nach GÖTTERDÄMMERUNG am 12. Oktober 2025 in der Lindenoper © Thomas Rauchenwald

Zu Beginn der neuen Saison 2025/26 setzt die Berliner Staatsoper Unter den Linden Richard Wagners tiefschürfende Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN, wohl das größte Werk der Bühnengeschichte überhaupt, zweimal auf den Spielplan – unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Christian Thielemann und in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov. SIMPLY CLASSIC hat im ersten Zyklus DAS RHEINGOLD am 27. September und DIE WALKÜRE am 28. September sowie im zweiten Zyklus SIEGFRIED am 10. Oktober und GÖTTERDÄMMERUNG am 12. Oktober 2025 besucht. Und um es gleich vorwegzunehmen – die Aufführungen waren, jede für sich wie als gesamter Zyklus, einfach grandios.

In bescheidener Untertreibung bezeichnet sich Christian Thielemann selbst oft als „Kapellmeister“. Gewiss sind gediegene Kapellmeistertugenden erforderlich, um so ein gewaltiges und komplexes Werk wie Wagners RING orchestral wie sängerisch kunstvoll schmieden zu können. Der Generalmusikdirektor Unter den Linden – von seinem Orchester, der Staatskapelle Berlin, sicht- wie hörbar geschätzt, angekommen – ist aber zudem ein hochkarätiger Pultvirtuose und fulminanter Interpret. Derart gerät der RING in Berlin unter seiner außerordentlichen Stabführung zum singulären Ereignis: Die Formation, an allen vier Abenden in allen Instrumentengruppen fabelhaft aufgestellt, von ein paar kleinen Wacklern des Blechs im „Walkürenritt“ abgesehen, liest ihm jeden Wunsch von den Augen ab, um die Vorgaben hingebungsvoll umzusetzen, was den Dirigenten wiederum zu einer entfesselten Leistung am Pult anstachelt und so großes Musikdrama entstehen lässt. Wunderbar, dass vom mythisch raunenden Urbeginn im RHEINGOLD bis zum kathartisch verklärenden Ausklang der GÖTTERDÄMMERUNG ein an Spannung nie nachlassender Bogen aufgebaut wie gehalten werden kann. Auffällig, wie transparent und zügig bei ungemein flüssigen Tempi Thielemann mittlerweile den RING musiziert. Großartig, wie das Orchester, das Thielemann ideal zum Erklingen bringt, seine Aufgabe bewältigt und die SängerInnen begleitet, lyrische Stellen wie dramatische Höhepunkte werden gleichsam deutlich herausgearbeitet. Thielemanns Gestaltung beeindruckt – nicht nur die großen, rein orchestralen Abschnitte, sondern jeder Takt wird mit ungeheurer Intensität umgesetzt und soll in diesem Rahmen der wahrlich gigantische Strom, der den ganzen dritten Tag durchfließt und in einem erschütternd niederschmetternden Trauermarsch wie stromartig rauschenden Schlussgesang und groß aufrauschendem Orchesterfinale kulminiert, angeführt werden. Nach GÖTTERDÄMMERUNG holt Thielemann auch die Staatskapelle auf die Bühne, beglückt über den seidigen Glanz der Streicher, die präzise herben Holzbläser, das runde, volle Blech und das markige Schlagwerk. Ob dieser denkwürdigen Leistung gehört das Blog-Foto auch dem Dirigenten und seinem Orchester.

Die Produktion überhaupt stellt totales Musiktheater dar und wäre eine Zierde für jedes Opernhaus. Ob die Ausstattung sämtliche ästhetischen Ansprüche überzeugt, diese Frage muss, wie immer, jeder im Publikum für sich selbst beantworten. Regisseur Dmitri Tcherniakov erfasst die Tetralogie in ihrer Essenz, dem Konflikt zwischen Macht und Liebe, jedenfalls ganz aus der Musik und dem Text, entwickelt gekonnt daraus Wagners Menschen- wie Weltendrama, dass sich wohl niemand diesem Faszinosum wird entziehen können. Neben der Inszenierung zeichnet der Regisseur auch für das vielschichtige, auf mehrere Ebenen verteilte Bühnenbild verantwortlich, den Rest besorgen seine bewährten MitarbeiterInnen – Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht) und Alexey Poluboyarinov (Video).

Höchst interessant bzw. anregend spannend ist, wie Tcherniakov die Geschichte erzählt: Schauplatz ist wohl ein geheimes, von der Welt abgeschottetes Forschungslabor namens E.S.C.H.E, in Anlehnung an die nordisch-germanische Weltesche, wo menschliche Feldversuche stattfinden. Wotan ist der verantwortliche wissenschaftliche Leiter, seine Geschöpfe entgleiten ihm zusehends, wie auch dem durch Verträge gebundenen Göttervater bei Wagner selbst. Tcherniakov mit seiner Wanderung durch die Zeiten ist also hart an Musik und Text, arbeitet die Beziehungen der handelnden Personen zu- und untereinander überdeutlich heraus, höchst präzise geraten eine schon abgründige Personenregie und eine subtile, psychologisch fundierte Personenführung. Die SängerInnen spielen das alles mit sichtbarer Freude und werden teilweise selbst auf der Bühne von ihren Emotionen überwältigt, als Beispiel sei der tränenreiche Schluss der beiden Protagonisten in der WALKÜRE genannt. Tcherniakovs Inszenierung bildet ein System von Versuchslabors, Büros, Wohnräumen, Zimmern und Konferenzsälen, mit Aufzügen verbunden, unterschiedlich miteinander kombiniert, worin ForscherInnen, Bediensteten und Versuchspersonen eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden – und wo es ganz gewaltig menschelt mit allen denkbaren Regungen, Gefühlen und Charakteren. Seine überaus detailreichen Personenstudien geraten voll im Dualismus zwischen Ironie und Schrecken, Spaß und Schmerz. Die Regie schafft das Kunststück, in das verworrene Handlungsgeflecht – die Mär vom von Alberich geraubten, von Wotan erbeuteten und an die Riesen weitergegebenen, Weltherrschaft verheißenden Gold, das nicht an Böse verfallen darf, weil nur ein Freier die Welt retten darf – viel an Klarheit zu bringen, weshalb diese Inszenierung wohl neben großen Deutungen von Wagners RING – Wieland Wagner, Patrice Chereau, Götz Friedrich, Harry Kupfer – Bestand haben wird.

Dass dieser RING zum Ereignis wird, liegt aber auch an den ausgezeichneten SängerInnen, wo teilweise Idealbesetzungen zu hören sind, vor allem in den drei Hauptrollen Wotan, Brünnhilde und Siegfried sowie als Hagen. Michael Volle gibt einen durch und durch imposanten Wotan mit enorm starker, viriler Stimme, berührt immens im strömend bewegend gesungenen Abschied von seiner Wunschmaid, beeindruckt mit blendender Diktion im RHEINGOLD und kräftigem Ausdruck im großen Monolog in der WALKÜRE, verfügt auch noch über uneingeschränkt stimmliche Mittel in der Szene mit Erda im SIEGFRIED. Anja Kampe begeistert als Brünnhilde mit jungem, kräftigem Ton in der WALKÜRE, mit strahlend fraulichem Ton in den anderen beiden Teilen, verfügt über herrliche Strahlkraft eines mittlerweile echten hochdramatischen Soprans, auf der Basis einer festen, gesund tiefen Stütze. Ebenso Andreas Schager als Siegfried mit seinem enorm robusten, kräftigen, ja bärenstarken, nie angestrengt klingenden, schmetternden Heldentenor. Eric Cutler singt einen hell leuchtenden, gewiss noch ausbaufähigen Siegmund, Vida Mikneviciute ist ihm eine attraktive, mit jugendlichem Jubelton leuchtende Sieglinde. Etwas zurückhaltend, aber fein hinterhältig mit seinem geschmeidigem Tenor Sebastian Kohlhepp als Loge, Stephan Rügamer gibt eine pointierte Tenorstudie von einem verbrecherischen Ziehvater Mime. Über etwas Luft nach oben verfügt der Alberich des in dieser Rolle bewährten Jochen Schmeckenbecher am Vorabend und am zweiten Tag, was in dieser Rolle an charakterstarker Prägnanz steckt, lässt Johannes Martin Kränzle am dritten Tag vernehmen. Treffend verhärmt, beleidigt, dennoch stolz gestaltet Claudia Mahnke eine betrogene Fricka, als konzentriert sorgende Waltraute lässt Marina Prudenskaja ihr warm timbriertes Stimmorgan tönen. Anna Kissjudit gibt eine dunkle, satte Erda mit gewaltiger Tiefe, als Waldvögelein tönt Kathrin Zukowski bezaubernd, betörend, mit betont aufhorchend lassender Stimme. Rollendeckend solide besetzt sind Roman Trekel als Donner, Siyabonga Maqungo als Froh, Sonja Herranen als Freia, Lauri Vasar als Gunther und Clara Nadeshdin als Gutrune. Sehr gut besetzt die Rheintöchter, die Walküren und die Nornen. Und last but not least zwei unglaublich starke Bässe als Riesen: Peter Rose als Fafner, vor allem aber Mika Kares als Fasolt. Letztgenannter liefert auch gewaltig bedrohliche, abgründige Studien von Hunding und vom Albensohn Hagen, die fahle Schwärze seines gewaltigen Basses macht erschauern, Stimmfülle und Stimmfärbung verursachen Gänsehaut.

Das Publikum dankt allen Ausführenden an jedem Abend mit nicht enden wollender, lautstarker Begeisterung. Einen RING dieser Qualität wird man so schnell nicht wieder erleben.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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