Rudolf Buchbinder zählt seit Jahrzehnten zu den führenden Pianisten unserer Zeit. Den Beginn seiner einzigartigen, bis heute andauernden Karriere markieren 1966 der Van-Cliburn-Preis und kurz darauf der Erste Preis beim Beethoven-Wettbewerb. Die 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven hat er über 50-mal im Konzert und bei Festivals in Europa, den USA und Asien aufgeführt, sein umfangreiches Repertoire reicht von Bach bis zu zeitgenössischen Werken. Seit 2007 hat der außergewöhnliche Künstler auch die künstlerische Leitung beim Grafenegg Festival. 2016 verliehen die Wiener Philharmoniker ihm als Zeichen ihrer tiefen Verbundenheit die Ehrenmitgliedschaft. SIMPLY CLASSIC hat er dankenswerterweise ein Interview gegeben.
Was ist Klaviermusik generell für Rudolf Buchbinder? Athletik? Intelligenz? Gibt es so etwas wie eine emotionale Bindung an das Klavier? Inwiefern hat sich sein Klavierspiel in den Jahrzehnten seiner beeindruckenden Karriere verändert?
Klavierspiel vereint alles: Athletik, Intelligenz, Emotion. Ohne Technik kann ich den Sinn der Musik nicht adäquat ausdrücken, wobei die Technik selbstredend stets nur Mittel zum Zweck sein kann. Ohne meinen Verstand und einen wachen Geist kann ich den Sinn der Musik nicht erfassen, und ohne die Möglichkeit für tiefe Empfindungen kann ich keine Musik machen. Natürlich gibt es eine starke emotionale Bindung an das Instrument: Das Klavier ist mein Lebenspartner. Aber am Ende geht es nie um mich, sondern um die Partitur. Mein Spiel hat sich verändert, weil ich selbst mich verändert habe. Joachim Kaiser hat mir vor vielen Jahren gesagt: Du musst die Beethoven-Sonaten noch einmal aufnehmen. Und ich sagte? Um Gottes Willen, warum denn? Er meinte darauf: Weil Du jetzt frei bist. Wie recht er damit hatte! Wenn einen die Musik ein Leben lang begleitet, wird sie ein enger Freund, den man mit jeder Begegnung noch ein Stück besser kennenlernt. Die Jahrzehnte an Erfahrung haben mich aber nie sentimental werden lassen, sie haben vielmehr meinen Blick auf das Wesentliche geschärft und mein Verständnis für die Musik immer weiter vertieft. Immer wieder bedeutet das dann: weniger machen, mehr geschehen lassen, genauer hineinhören und den Augenblick genießen.
Wie wichtig ist für Rudolf Buchbinder die Stille in der Musik?
Stille ist eine enorm wichtige Voraussetzung für Musik. Ohne sie kann ja kein Klang entstehen, und ohne sie bleibt auch das Gehör ungeschärft. Die Pausen sind genauso wichtig wie die Musik. Wir brauchen unbedingt die Momente, in denen nichts klingt. Diese Stille erzeugt oft eine ungeheure Spannung, sie weitet den Raum, weckt große Erwartungen. Dadurch bekommt der nächste Ton, der nächste Akkord ein unglaubliches Gewicht. Aber hier sage ich nichts Neues, musikalische Menschen wissen das ohnehin.
Ist Beethoven der wichtigste Komponist im Leben von Rudolf Buchbinder? Welcher Sonaten-Zyklus war seiner Meinung nach sein bester – live im Konzertsaal bzw. im Studio? Wird es noch zyklische Aufführungen der Beethoven-Sonaten geben?
Beethoven gehört zu den Fixpunkten meines künstlerischen Lebens, er ist ein Wegbegleiter, ein Inspirator, ein Freund. Die Beethoven-Sonaten von der ersten in f-Moll bis zur 32. in c-Moll haben mich mein ganzes Leben lang begleitet. Sie sind Lehrmeister, Lebensthemen und ein echtes Zuhause für mich. Einen „besten Zyklus“ zu benennen, fällt mir schwer – jede Einspielung ist eine Momentaufnahme, aber auch jedes Konzert ist völlig einzigartig und nie zu 100% gleich. Live verspüre ich eine besondere Unmittelbarkeit, die im Studio so nicht möglich ist. Dort geht es ein wenig mehr um Perfektion. Aber ja, es wird weitere Beethoven-Zyklen geben, die Arbeit daran endet nie, meine Liebe zu dieser Musik ist grenzenlos.
Hat Rudolf Buchbinder jemals an einen Schubert-Zyklus gedacht?
Gedacht ja, aber im Gegensatz zu Beethoven, wo die 32 Sonaten wie von selbst einen großen, monumentalen Zyklus ergeben, ist die Sache bei Schubert komplexer. Manche seiner Sonaten sind nur Fragmente, manche sind eher Versuche … . Also wo anfangen, wo aufhören? Ich spiele mit Vorliebe die große B-Dur-Sonate, sie ist die Summe seines Schaffens für das Klavier und sicher eine der schönsten und bedeutendsten Sonaten der Musikgeschichte.
Die Musikwelt gedenkt heuer Boulez und Schostakowitsch. Denkt Rudolf Buchbinder, auch Werke dieser Komponisten auf sein Programm zu setzen?
Jeder muss seine Schwerpunkte setzen – meine liegen bei Beethoven, Mozart, Brahms, Schubert, Schumann … . Ich genieße es gleichzeitig, meine Kolleginnen und Kollegen mit dem Repertoire zu hören, das ihnen besonders am Herzen liegt. Man muss als Pianist nicht immer alles spielen. Aber wer weiß, was sich noch ergibt.
Zu Grafenegg. Wie lässt sich diese unglaubliche Dichte an Weltklasseinterpreten hierherholen? Bilanz 2025? Ausblick 2026?
Grafenegg hat sich in knapp zwei Jahrzehnten als Fixpunkt etabliert. Künstler:innen kommen gerne, weil sie die Atmosphäre, die Architektur, die Akustik und das Publikum schätzen. Ich freue mich natürlich auch darüber, dass so manche nach Grafenegg kamen und gerne wieder kommen, weil ich sie angerufen und gefragt habe. 2025 war ein großartiges Festival, der Publikumszuspruch war wieder wunderbar! Es gibt nichts Schöneres für mich, als selbst im Publikum zu sitzen, die Konzentration der Menschen und den abschließenden Jubel zu erleben. 2026 feiern wir das 20. Festival, und ich kann nur so viel verraten: Es wird ein würdiges, vielfältiges, großes Jubiläumsprogramm mit tollen Orchestern und Dirigent:innen sowie einigen Debüts berühmter Kolleg:innen, auf die ich mich sehr, sehr freue.
„Musik ist eine heilige Kunst!“ – Gilt das auch für Rudolf Buchbinder?
Natürlich, das sehe ich so wie der Komponist aus „Ariadne auf Naxos“. Ähnlich wie er muss jeder Künstler, jede Künstlerin auch viel opfern für die Kunst. Die Musik ist so wunderbar und gibt jedem Menschen so viel zurück, sie versammelt „alle Arten von Mut“, um noch einmal Hofmannsthal zu zitieren. Die Musik kann Grenzen öffnen, uns tief berühren und Menschen verbinden. Deshalb verdient sie Respekt und höchste Sorgfalt. In diesem Sinn: Ja – Musik ist für mich heilig, sie ist mein Lebenselixier und begleitet mich, seit ich denken kann.