Nadja Kayali ist ausgesprochen vielseitig – Gestalterin von Radiosendungen, Moderatorin von Veranstaltungen, Vortragende. Die Österreicherin mit syrischen Wurzeln väterlicherseits war nach dem Studium der Musikwissenschaft und Soziologie in Wien auch als Spielleiterin, Dramaturgin und Regisseurin tätig, von 2022 bis 2024 als künstlerische Leiterin des Festivals Imago Dei in Krems. Seit 2024 hat sie sich fast ausschließlich der herausfordernden wie spannenden Aufgabe einer Geschäftsführerin und Intendantin des Carinthischen Sommers, des 1969 gegründeten Musik- und Kulturfestivals in Kärnten, angenommen. Mit SIMPLY CLASSIC sprach sie über Außergewöhnliches das aktuelle Festival 2025 betreffend – und über Dmitri Schostakowitsch, dessen Todestag sich heuer zum 50. Mal jährt.
„Beim Carinthischen Sommer gibt es beispielsweise auch einen Giro d’arte. Wir fahren mit dem Fahrrad um den Ossiachersee, wo immer auch künstlerische Interventionen präsentiert werden. Da steht dann zum Beispiel Wolfgang Bankl und singt Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“ im Raddress. Im Rahmen des heurigen Giros wird es auch Musik von Schostakowitsch zu hören geben, zum Beispiel ein Streichquartett im Domenig-Steinhaus, einem beeindruckenden Architekturdenkmal am Ossiachersee. Musikwanderungen – Landschaften mit Musik erwandern und erfahren, Klangwandern mit der Kontrabassistin und Bergwanderführerin Nina Polaschegg, den Sängerinnen Bea Robein und Jennifer Davison, mit Melissa Coleman, Violoncello und Maria Gstättner, Fagott. Zusätzlich eine Jandl-Wanderung – Bertl Mütter mit Posaune, also durchaus schräge Sachen. Ich habe auch den Drang, viele verschiedenartige Projekte zu machen, die nicht nur mich, sondern auch viele andere Menschen begeistern sollen. Natürlich gibt es auch heuer wieder den bereits traditionellen Klavierabend mit Rudolf Buchbinder.
Ein Schwerpunkt beim heurigen Carinthischen Sommer wird Musik von Dmitri Schostakowitsch sein. Ich bin eine große Freundin von Kammermusik, dabei hat es mir das Streichquartett besonders angetan. Wenn man Streichquartett liebt, kommt man an Schostakowitsch nicht vorbei. Ich habe einmal alle Schostakowitsch-Quartette in zwei Tagen gehört – ein für mich, obwohl natürlich zu viel, bleibendes und mich veränderndes Musikerlebnis. Das Eliot Quartett, ein junges Quartett aus Frankfurt, das sich in den letzten Jahren ganz intensiv mit Schostakowitsch befasst hat, wird alle seine 15 Streichquartette, womit der Komponist seine eigene Weltsicht hinterlassen hat, beim Carinthischen Sommer innerhalb einer Woche an verschiedenen Spielstätten aufführen. Dazu wird es ganz unterschiedliche Dinge geben, die zur Musik von Schostakowitsch hinführen oder aus ihr herausdestilliert worden sind – Lieder, sich mit dem Leben von Schostakowitsch beschäftigen, Motive aus den Quartetten werden mit der Posaune eins zu eins nahegebracht, dazu Klaviermusik von Schostakowitsch, wo auch mit dem Publikum Strukturen freigelegt, dem Publikum Tore zu den Ohren geöffnet werden sollen, damit man auch für diese Musik empfänglich wird. Installationen werden errichtet, zum Beispiel ein Bett – Schostakowitsch hatte ja längere Zeit angsterfüllt mit Mantel und gepacktem Koffer im Vorzimmer seiner Wohnung geschlafen, damit im Falle einer Verhaftung seine Familienmitglieder nicht davon betroffen sind: Legt man sich dann in dieses Bett, und schiebt den Koffer darunter, hört man wohl auch diese Musik ganz anders.
Aufwarten können wir auch mit einer literarischen Sensation: Wegen ihres preisgekrönten Theaterstückes Finist – heller Falke wurde die russische Regisseurin und Lyrikerin Schenja Berkowitsch im Juli 2024 zu sechs Jahren Straflager verurteilt, dem Stück wurde Verherrlichung des Terrorismus vorgeworfen. In ihrer Haft hat sie ein Buch – Zöglinge – verfasst, das auf abenteuerliche Weise den Weg aus dem Gefängnis fand. Wir haben diesen Text exklusiv übersetzen lassen, die Uraufführungsrechte gesichert und eine Lesefassung erstellt. Dieses literarische Zeitzeugnis wird an zwei Abenden von Birgit Minichmayr gelesen und rundet den ganzen Schostakowitsch-Schwerpunkt ab. Im Grunde hat sich ja in Russland nicht wirklich etwas geändert, kein Wunder, dass Schostakowitsch massiv herzkrank war.
Persönlich ein paar Tage zu Gast haben wir auch Krzysztof Meyer, der die wichtigste Biographie über Schostakowitsch geschrieben hat, mit dem man reden kann, und ist dieser Mann eine sprudelnde Quelle, wenn er über den Komponisten erzählt. Darauf freue ich mich ganz besonders, das ist lebendige Geschichte, das begeistert mich.
Die Literatur hat überhaupt einen besonderen Platz beim Carinthischen Sommer: Musik und Literatur passen gut zusammen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf die Veranstaltung – In die Höhe fallen – mit Joachim Meyerhoff hinweisen.
Besonders ans Herz legen möchte ich den BesucherInnen noch die drei Konzerte mit unserem Festivalorchester, dem ORF Radiosymphonieorchester Wien, dieser unschätzbaren Formation, weil sie alles spielen kann und wir sie unterstützen wollen: Im von HK Gruber dirigierten Eröffnungskonzert gibt es eine Uraufführung von dessen neuen Klarinettenkonzert, in seinem Welterfolg Frankenstein! übernimmt Georg Nigl den expressiven Gesangspart. Große Romantik mit Brahms und Dvorak dann im von der Dirigentin Yi-Chen Lin geleiteten Konzert mit Veronika Eberle, Violine, und Julia Hagen, Violoncello, als FESTIVAL ARTIST. Und in ihrem letzten Konzert als Chefdirigentin dirigiert Marin Alsop Werke von Gershwin und Bernstein.
Neben pianistischen Meisterwerken von Rachmaninoff, Strawinsky, Chopin und Prokofieff improvisiert die aus Venezuela stammende Pianistin Gabriela Montero frei über vom Kärntner Landesjugendchor gesungene Kärntnerlieder. Und im Projekt Klavier. Kunst. Freude vermittelt Kolja Lessing die spritzig humorvollen Klavierpräludien op. 300 von Carl Czerny auf pianistisch brillante Weise.
Eine Zusammenarbeit des Carinthischen Sommers mit dem Stadttheater Klagenfurt und seinem Intendanten Aron Stiehl im Bereich Musiktheater in den nächsten Jahren wäre quasi als Zukunftsmusik ebenfalls wünschenswert.
Musik ist eine heilige Kunst? Das Zitat würde ich nach einem Konzert spontan bejahen, aber ich würde die Musik ungern auf so ein Podest stellen und einzementieren. Ich glaube an die Lebendigkeit der Musik, an ihre Weiterentwicklung und ihre Freiheit, welche die Musik besitzt. Das Tolle ist, das man ja unglaublich viel mit ihr assoziieren kann, sie auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren kann und dass sie uns zu unterschiedlichen Zeiten im Leben unterschiedliche Dinge sagt. Und uns auf unterschiedliche Weise berührt, das ist so besonders an ihr.“