Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche ist bisher höchst erfolgreich mit Regiearbeiten die griechische antike Tragödie betreffend hervorgetreten, wo er auch höchstes Verständnis für Musik und Rhythmus des antiken Chores bewiesen hat. In letzter Zeit hat er sich auch verstärkt mit klassischer Musik – Strauss‘ Elektra 2022 in Genf, Bachs Johannespassion 2023 in Stuttgart – auseinandergesetzt. Nunmehr hat ihn Intendant Markus Hinterhäuser für die Salzburger Festspiele mit einer Neuinszenierung von MARIA STUARDA beauftragt, der Tragedia lirica in zwei Akten mit der Musik von Gaetano Donizetti in der Mailänder Fassung 1835, mit dem Libretto von Giuseppe Bardari nach dem Tauerspiel MARIA STUART von Friedrich Schiller in der italienischen Übersetzung von Andrea Maffei.
Um es gleich vorwegzunehmen – das Ergebnis auf der Bühne des Großen Festspielhauses kann sich sehen lassen, überzeugt über den Maßen, ja beeindruckt vollends. Diese Oper ist ein beinahe archaisches Drama um die beiden Königinnen Elisabeth von England und Maria von Schottland – im Grunde zwei zerbrechliche Frauen, die beide für sich einen Halt in der Welt suchen. Repräsentiert werden die beiden Königinnen durch zwei große rotierende Scheiben auf der Bühne, durch eine dritte, darüber schwebende Scheibe werden sie getrennt oder über Projektionen verbunden: Die Bühne von Ulrich Rasche funktioniert wie eine gnadenlose Apparatur, „im Zentrum steht ein System der Gewalt, das sich als politische Vernunft tarnt“, wie der Regisseur und Bühnenbildner selbst im Vorfeld der aufwändigen Produktion erläutert. Donizettis Werk steuert, auch was die Musik betrifft, brutal auf die Hinrichtung der schottischen Königin zu: Ulrich Rasche macht diesen Fortgang durch permanente Bewegung und unerbittlichen, szenischen Rhythmus deutlich. Es sind auch keine historischen Kostüme zu sehen: die zeitlos ästhetischen Gewänder von Sara Schwartz machen klar, dass es sich um ein drastisches Stück über Macht, Leben und Tod handelt. Paul Blackman ist für die kunstvolle Choreografie verantwortlich, Florian Hetz steuert unaufdringliche Videos bei, Marco Giusti taucht das Geschehen in plastisches, bisweilen magisches Licht, Yvonne Gebauer sorgt für die überzeugende Dramaturgie.
Die größte Herausforderung, vor allem für die beiden Protagonistinnen, ist der Umstand, dass sie in permanenter Bewegung auf der Bühne sind und dazu auch noch ihre gesanglich ungemein fordernden Partien meistern müssen. Doch sind sich beide Hauptdarstellerinnen darin einig, dass im Wesentlichen diese bewegte Spannung zur Erstarrung führt, sondern im Gegenteil wie eine Befreiung wirkt und auf musikalischer Ebene daraus etwas ganz Fantastisches entsteht.
Gleichermaßen beeindruckend, wie die Szene, gerät dann auch die musikalische Umsetzung einer von Donizettis größten Opern. Die stimmlich beste Leistung der Aufführung am 23. August 2025 erbringt uneingeschränkt die amerikanische, lyrische Koloratursopranistin Lisette Oropesa als Maria. Beginnend mit ihrer Auftrittskavatine im zweiten Akt bewegt sie mit langgezogenen Legatokantilenen, flutender, berührender Ausdrucksgesang dominiert auch ihre beiden großen Szenen am Schluss, die Gran Scena e Preghiera und die Aria del supplizio. Ihre Gegenspielerin, die amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey als Elisabetta, überzeugt stark ab der Thronszene des ersten Aufzuges mit leidenschaftlicher Deklamation, heftigen Herrscherinnengesten und ungezügeltes Temperament in der Stimmführung, die Donizetti dieser Figur verliehen hat. Im großen Dialogo delle due Regine im zweiten Akt vor der Pause schenken sich beide Sängerinnen zur Freude des Publikums nichts.
Am Pult der sehr gut aufgestellten Wiener Philharmoniker sorgt Dirigent Antonello Manacorda für schattierungsreiche Stimmungsmalerei im Orchester wie gestaltungsreiche, kräftige Akzentuierung. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor wurde von Alan Woodbridge sehr gut für ihre Aufgabe vorbereitet. In den kleinen Rollen wie den Nebenrollen bestehen Nino Gotoshia (Anna Kennedy), Aleksei Kulagin (Giorgio Talbot, Conte di Shrewsbury), Thomas Lehman (Lord Guglielmo Cecil) und mit geschmeidigem, angenehm timbrierten Tenor Bekhzod Davronov (Roberto, Conte di Leicester).
Ein für die Salzburger Festspiele gewiss ungewohntes Werk sorgt für einen durch und durch festspielwürdigen Höhepunkt.