Tschaikowski zügig transparent – Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker in Grafenegg

Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker im Wolkenturm in Grafenegg © Thomas Rauchenwald

Ich glaube, dass sich die Symphonie … als eine der besten von meinen Kompositionen erweisen wird.“ – schrieb Peter Iljitsch Tschaikowski während der Instrumentation über seine Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 „Pathétique“ und verkannte damit nicht den Wert seines am 28. Oktober 1893 in St. Petersburg uraufgeführten Werkes. Neun Tage nach der Uraufführung erlag der Komponist der Cholera, der Finalsatz, das unglaublich erschütternd klagende, finale Adagio lamentoso ist sein eigenes Requiem geworden.

Bevor die Wiener Philharmoniker und der wiedergenese Franz Welser-Möst nach einem langen Festspielsommer in Salzburg zu zwei Konzerten zum Lucerne Festival aufbrechen, gastieren sie am 3. September 2025 noch im Wolkenturm beim Grafenegg Festival und setzen Tschaikowskis Meisterwerk als Hauptwerk auf das Programm.

Im Ergebnis ist eine exakte, sehr sensible, transparente, straff zügige Tschaikowski-Interpretation des Dirigenten mit dem Orchester, mit dem er mittlerweile auf das Vertrauteste verbunden ist, zu erleben. Franz Welser-Möst erweist sich als überaus feinsinniger Tschaikowski-Dirigent und trifft den „spätromantischen“ Tschaikowski-Ton, ohne sich je in Larmoyanz oder Tristesse zu verlieren. Die Phrasierungen entfalten sich natürlich, die Höhepunkte werden spannungsgeladen angesteuert und richtig, nie ausufernd ausladend, bemessen. Vielleicht hätte er sich für den verinnerlichten Gesang des Finales, den Abschied des Sterbenden, etwas mehr Zeit nehmen können, der schmerzlich dunklen Melodik dieses Satzes entlockt er dennoch Verzweiflung und hoffnungslose Schwermut. Dem Orchester gelingen beeindruckende, ergreifende Kontraste, man vernimmt eine mitunter erfrischende Deutung und eine Interpretation von explosiver Energie und ungezähmter Leidenschaft, die „Pathètique“ wird von Welser-Möst sicher, mit Kühnheit und forschem Nachdruck musiziert.

Im ersten Teil vor der Pause erklingt – in großer Streicherbesetzung – die Symphonie Nr. 38 D-Dur KV 504, die „Prager Symphonie“, von Wolfgang Amadeus Mozart, an Reife und Ausgewogenheit der Form, an Schönheit und Ausdruckstiefe den letzten drei Symphonien Mozarts verwandt, wenn nicht ebenbürtig. Welser-Möst betont stark die maßvoll angedeutete Schwermut der ersten beiden Sätze, im abschließenden dritten Satz, einem jagenden Presto – ein Menuett komponiert Mozart nicht in einer Stimmung, wo sich seine Lebenskurve ständig bergab bewegt, die Schaffenskurve hingegen gewaltig emporschnellt – macht er deutlich überzeugend nachvollziehbar, wie Mozart versucht, den drängenden Schatten der ersten beiden Sätze zu entfliehen.

Kurzer, heftiger Applaus an einem lauen Spätsommerabend in Grafenegg.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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