DREI SCHWESTERN (TRI SESTRI) von Anton Pawlowitsch Tschechow ist ein Endzeitstück: die drei Schwestern Prosorow machen trotz Intelligenz nichts aus ihrem Leben, vegetieren in einer russischen Kleinstadt dahin, das durch und durch trostlose, abgründig deprimierende Werk besticht durch seine psychologisch exakte Figurenzeichnung. Der ungarische, 2024 verstorbene Komponist Peter Eötvös hat – nach Tschechows Drama – eine 1998 in Lyon uraufgeführte Oper komponiert, mit einem Libretto von Claus H. Henneberg, Krzysztof Wiernicki und ihm selbst. Nach vielen Produktionen im In- und Ausland wagen sich nun auch die Salzburger Festspiele an dieses herausfordernde Stück.
Das Besondere an Eötvös Oper ist zunächst ihr Aufbau: Text und Szenen werden tiefgreifend umgeordnet, der Komponist erzeugt einen Prolog und drei Sequenzen, worin er die Handlung jeweils auf eine andere Figur – Irina, Andrej, Mascha – fokussiert und das Geschehen als subjektive Erinnerungen aus den verschiedenen Perspektiven dieser drei Figuren erzählt. Bevorzugt, obwohl er auch Aufführungen mit Sängerinnen gestattet, hat Eötvös die Besetzung sämtlicher Frauenrollen mit männlichen Sängern (Countertenören bzw. einem Bass für Anfisa), so wird das Werk aktuell in Salzburg auch gegeben, wodurch er für ein Maximum an Verfremdung und Abstraktion sorgt und gerade deshalb auf Wahrhaftigkeit wie eine spezielle Bewunderung und Verehrung für das Weibliche ins Werk auf der Basis des großen russischen Dramatikers Tschechow setzt. Für die instrumentale Klangwelt seiner Oper sorgen zwei Dirigenten mit Ensembles: neben 18 MusikerInnen im Orchestergraben gibt es ein Orchester mit 50 MusikerInnen hinter der Bühne, jeden Solisten begleitet ein Instrument.
Für ein musikalisches Ereignis in der Felsenreitschule sorgt auch in der Aufführung am 21. August 2025 das Klangforum Wien Orchestra unter der musikalischen Leitung von Maxime Pascal, der auch das Ensemble im Orchestergraben dirigiert, der Dirigent des Orchesters hinter der Szene ist Alphonse Cemin. Die Seelenregungen und Zustände von Eötvös‘ eindringlich kontemplativer Musik werden perfekt, bewegend umgesetzt. Flüssig, traumverloren klangschön breitet Pascal die komplexe Partitur mit präzisem Schlag ohne Baton aus, am Schluss starke Beklemmung hinterlassend. Für die gelungene Klangregie sorgt Paul Jeukendrup.
Stimmlich jeder für sich individuell wie grandios agieren die vier Countertenöre in den Hauptrollen: Sopranist Dennis Orellana zauberhaft leicht als Irina, Mezzosopran-Countertenor Cameron Shabazi höchst elegant als Mascha, Alt-Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen warm als Olga und Sopran-Countertenor Kangmin Justin Kim kreischend böse als Natascha. Aus der übrigen Besetzung ragt Jacques Imbrailo (Andrej) heraus, die anderen agieren rollendeckend solide – Mikolaj Trabka (Tusenbach), Ivan Ludlov (Werschinin), Andrei Valentiy (Kulygin), Aleksander Teliga (Anfisa), Anthony Robin Schneider (Soljony) und Jörg Schneider (Doktor).
Mittlerweile höchst erfolgreich, was Musiktheater betrifft – TANNHÄUSER an der Oper Graz, IOLANTA an der Wiener Staatsoper – gerät auch diese Inszenierung von Evgeny Titov ganz hervorragend. Unterstützt von Rufus Didwiszus (Bühne), Emma Ryott (Kostüme), Urs Schönebaum (Licht) und Christian Arseni (Dramaturgie) entsteht da wahrhaft echtes, wenngleich abgründig bitteres Musiktheater. Titov beherrscht die riesigen, gefährlichen Dimensionen der Bühne in der Felsenreitschule, im an einen Kriegsschauplatz erinnernden, desolat zerstörerischen Ambiente gelingt ein Kammerspiel höchster Subtilität, mit beklemmend psychologisch fundierter Personenführung wie Personenregie. Aus dieser zerbombten, in jeder Hinsicht total zerstörten Zivilisation gibt es für die AkteurInnen keinen Ausweg mehr, kann es keinen mehr geben: Titovs Regiearbeit ist ganz hart am Stück.
Donnernder Applaus vom Publikum für ein forderndes Stück Musiktheater.