Russisches zu Ostern in Salzburg – CHOWANSCHTSCHINA von Modest Mussorgski

Mit der zweiten Aufführung von Modest Mussorgskis CHOWANSCHTSCHINA gehen die Osterfestspiele Salzburg 2025 zu Ende © Thomas Rauchenwald

„Das Besondere an CHOWANSCHTSCHINA ist: Wenn man ein paar Namen im Libretto ändern würde, ginge es um aktuelle Ereignisse. Mir fällt keine andere Oper ein, in der das so wäre.“ – erklärt der Dirigent Esa-Pekka Salonen, der das gewaltige Volksdrama von Modest Mussorgski, das bei den Osterfestspielen Salzburg heuer zum ersten Mal überhaupt auf die Bühne gebracht, wird, musikalisch leitet. Für die Inszenierung gewonnen wurde der britische Film- und Theaterschauspieler, Autor und Theaterregisseur Simon Mc Burney.

Was die Musik betrifft, wird grundsätzlich, wie heute üblich, CHOWANSCHTSCHINA, das musikalische Volksdrama in fünf Aufzügen mit dem Text nach Wladimir Stassow vom Komponisten, in der herben Orchestrierung von Dmitri Schostakowitsch, die sich am dunklen, schroffen Klang von Mussorgskis BORIS GODUNOW orientiert, und mit dem Chorfinale von Igor Strawinsky gespielt, ergänzt von Bearbeitungen und Arrangements von Gerard McBurney, dem Bruder des Regisseurs – geräuschhaft elektroakustischen Collagen, die Übergänge zwischen den nur in Skizzen vorhandenen Szenen Mussorgskis bereiten sollen, und stimmige Momente zu schaffen in der Lage sind. Und der Mann am Pult ist nicht nur ein hervorragender Kenner des modernen, sondern auch des russischen Repertoires, der mit seinem ungemein starken Dirigat am Ostermontag, den 21. April 2025, die Archaik von Mussorgskis Musik äußerst gestaltungsreich vermittelt, ja an manchen Stellen nahezu überdeutlich herausmeißelt. Das Finnish Radio Symphonieorchester, Residenzorchester an der Salzach zu Ostern 2025, folgt ihm dabei bereitwillig und hinterlässt, abgesehen von einigen kleinen Intonationsproblemen, einen überwiegend sehr guten Eindruck. Salonen vertritt musikalisch jedenfalls eine unerbittliche, klare Haltung und gerät seine Interpretation niemals beiläufig oder geglättet. 

Mussorgskis gewaltiges Drama ist auch eine große Choroper und sind die aufgebotenen Chöre in der besuchten Vorstellung blenden disponiert. Der von Jan Rozehnal einstudierte Slowakische Philharmonische Chor sowie der von Michael Schneider einstudierte Bachchor Salzburg verströmen stark differenzierten Chorgesang, der in der Gesamtpalette von gefühlvoll fein bis prächtig schallend sämtliche Nuancen abdeckt.

Das Sounddesign stammt von Tuomas Norvio und verleiht der neuen Fassung eine zusätzliche atmosphärische Dichte.

Und auch die Besetzung ist festspielwürdig ausgewählt, wenngleich nicht Riesenstimmen dominieren, sondern bewusst SängerInnen mit überwiegend feinem Stimmklang aufgeboten werden. Überaus homogen die kleinen und mittleren Rollen – Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Schreiber), Natalia Tanasii (Emma), Rupert Grössinger (Warssonofjew), Allison Cook (Susanna) und Theo Lebow (Kuska). Matthew White gibt mit glatt eisigem Tenor Fürst Wassilij Golizyn, Thomas Atkins mit lytisch tenoraler Emphase Fürst Andrej Chowanskij. Daniel Okulitch leiht Schaklowityi seinen markig charakterstarken Bariton. Herausragend die beiden Bassstimmen des Abends – der runde, volle Bass von Vitalij Kowaljow als Fürst Iwan Chowanskij und der berührende, bisweilen schon rollenimmanent etwas brüchige Bass von Ain Anger als Dosifej. Die uneingeschränkt beste Gesangsleistung des Abends ist aber der jungen Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina zu attestieren, deren ausgesprochen klangschöner wie warmer Mezzosopran in allen Lagen ebenmäßig klingt und den sie bruchlos durch alle Register zu führen in der Lage ist.

Die Vergangenheit in der Gegenwart – das ist meine Aufgabe!“, so Modest Mussorgski 1872, und ist das Stück zeitlos aktuell wie eh und je, was die gesellschaftspolitischen Verhältnisse Russlands betrifft. Hat man nun aber geglaubt, was die szenische Seite dieser Produktion, die eine Koproduktion mit der New Yorker Metropolitan Oper darstellt, angeht, dass Regisseur Simon McBurney in vordergründig platten Anspielungen beispielsweise Vladimir Putin auf der Szene erscheinen lässt, wird eines Besseren belehrt. Die bildgewaltige Inszenierung mit einfach klarer, zwingender Personenregie wie Personenführung nimmt von Anfang an gefangen und verdichtet ihre eindrucksvolle Wirkung von Szene zu Szene. Meidet sie vorsätzlich brisante Aktualität, versteckt sie sich aber auch nicht hinter dekorativ aufgepeppter Geschichte: im Ergebnis ist eine in einem zeitlosen Raum mit modernen Kostümen ablaufende, aus der starken Musik heraus entwickelte Regiearbeit zu sehen. Der Regisseur wurde bei seiner Arbeit von Rebecca Ringst (Bühne) unterstützt, die vor ein paar Wochen auch die Bühne der Neuproduktion von CHOWANSCHTSCHINA in Genf entworfen hat und in Salzburg, der Regie entsprechend, ein völlig anderes Umfeld geschaffen hat. Die Kostüme stammen von Christina Cunningham, hervorzuheben ist das der jeweiligen Szene wie Situation angepasste, effektvolle wie stimmige Licht von Tom Visser und hat Will Duke ein dezent, die Handlung unterstützendes Videodesign gestaltet. Am stärksten haften bleibt wohl die Szene der Ermordung Fürst Iwan Chowanskijs durch Schaklowityi, welche das ganze Ausmaß der unglaublich aktuellen Brutalität dieses russischen Volksdramas zeigt.

Das Publikum zeigt sich nach der Aufführung zu Recht über den Maßen begeistert. Intendant Nikolaus Bachler hat wieder einmal das richtige Werk am richtigen Ort zur richtigen Zeit präsentiert und überzeugend unter Beweis gestellt, dass bei Festspielen unbedingt gerade auch solche Werke des Musiktheaters, die nicht die Spielpläne im Repertoirealltag dominieren, gezeigt werden müssen.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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