MACBETH von Giuseppe Verdi wieder in Salzburg – expressionistisch, faschistisch und postmodern

Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Asmik Grigorian (Lady) als Mörderpaar in Giuseppe Verdis MACBETH © SF/Ruth Walz

Im Salzburger Opernsommer mit dem allgegenwärtigen Tod findet sich auch ein Werk, dass an der Salzach bereits große Tradition besitzt – Giuseppe Verdis düsteres Mörderdrama MACBETH nach der gleichnamigen Tragödie des Genies des Welttheaters, William Shakespeares, mit dem Libretto von Francesco Maria Piave, mit Ergänzungen von Andrea Maffei, in der revidierten Fassung von 1865, womit auch Verdi den Schritt von der Oper zum Musikdrama vollzogen hatte.

Die Produktion der Salzburger Festspiele ist eine Wiederaufnahme einer bereits 2023 gezeigten Inszenierung. Betraut man den polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski mit einer Regiearbeit, weiß man, was man bekommt, soll heißen in der Regel eine hochintellektuelle Inszenierung mit fundiert psychologischer Personenführung, basierend auf einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit Werk und Stoff, das Stück um eine Zusatz- oder Parallelhandlung angereichert, inspiriert von Filmen. Folglich sieht man Verdis schwindelerregendes, abgründiges Stück, was menschliches Handeln betrifft, konsequent im Cinemascope-Format und schafft es Warlikowski auf beeindruckende Art, die übergroße Bühne im Großen Festspielhaus zu bespielen. Gegenüber 2023 hat der Regisseur noch deutlich nachgeschärft, obwohl der Teil des Publikums, der nicht bereit ist, sich eindringlich auf diese Inszenierung einzulassen bzw. auseinanderzusetzen, manches als zu überfrachtet, zu überladen, zu weit hergeholt einschätzen mag. Eine Filmvorlage, die sich Warlikowski bedient, ist Bernardo Bertoluccis postmoderner „Il conformista“ aus 1970, beruhend auf der Romanvorlage von Alberto Moravia, worin die Hauptfigur scheinbar mordet, angetrieben durch sein Unterbewusstes, mit Vorgängen, die seine Psyche möglicherweise geformt haben, in Rückblenden. Warlikowski formt einen Brückenschlag zum traumatisierten Macbeth, der aus dem Krieg nach Hause kommt: Die Hexen, in dieser Inszenierung überwiegend blinde Frauen als Seherinnen, sind Macbeths Unterbewusstsein. Lady Macbeth ist kinderlos; dieser zutiefst empfundene Schmerz und die daraus resultierende Leere wird ausgefüllt und ersetzt von maßloser Machtgier und ist diese Macht nur durch Morden zu erlangen. Die Kostüme gemahnen an das faschistische Italien der 1930er-Jahre, das Bühnenbild ist vom „Jeau de Paume“, dem französischen Vorbild des Tennis inspiriert – auch Warlikowskis Ausstatterin Malgorzata Szczesniak bleibt ihrer strikten, dem Realismus verhafteten Linie wie gewohnt treu. Auf Videoeinspielungen sind dann Szenen aus Pier Paolo Pasolinis expressionistischem „Il Vangelo secondo Matteo“ aus 1964, der zweiten verwendeten Filmvorlage, zu sehen, wobei der Kindermord zu Bethlehem groß thematisiert und folglich in der Inszenierung opulent daran erinnert wird. Die (dem Paar verwehrten, unmöglichen) Kinder haben überhaupt starken optischen Anteil an dieser Inszenierung. Macbeth sinniert beim Anblick von Szenen aus „Edipo Re“ von Pier Paolo Pasolini aus 1967. Am Schluss stirbt Lady Macbeth nicht im Wahnsinn, sondern wartet, festgebunden mit dem nach einem Schlaganfall offenbar in den Rollstuhl gezwungenen Macbeth auf ihre gemeinsame Hinrichtung durch Macduff im Angesicht des Volkes – die Szene erinnert stark an die Liquidierung des Diktatorenpaares Nicolae und Elena Ceausescu am Weihnachtsabend 1989. Vieles geht eindringlich auf in dieser gedanklich verschachtelten Inszenierung, vieles erscheint sogar zwingend schlüssig. Felice Ross steuert wie immer plastisches Licht bei, Denis Guèguin und Kamil Polak vergrößern zur Verdeutlichung manche Szene mit ihren Videos, für die Choreografie ist Claude Bardouil verantwortlich, Christian Longchamp für die Dramaturgie – sie alle verfolgen konsequent Warlikowskis Sicht des Stückes, vor allem im Hinblick auf das Schicksal der Lady Macbeth. Verdis „Macbeth“, von Warlikowski zur griechischen Tragödie und zum Krimi ausgeweitet, überzeugt – trotz vielleicht sogar mancher Verzettelung – als expressionistisch postmoderner, faschistischer Thriller.

Das Dirigat hat wie schon vor zwei Jahren der scheidende Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, übernommen. Verdis gewiss dunkelstes Werk ist bei ihm und den Wiener Philharmonikern, auch nach einem langen Festspielsommer in Bestform agierend, bei der Dernière am 29. August 2025 in den besten Händen. Bei aller Akkuratesse im Orchesterspiel, vor allem bei den federnden Streichern, setzt Jordan auf große Gestaltung und die ganze Wucht von Verdis Werk, ohne dabei jemals die Bühne aus den Augen zu verlieren. Verdis Kantilenen blühen förmlich im Orchester, Balance, Klangfarben und Orchesterkultur entfalten sich hervorragend. Die SängerInnen führt Jordan souverän, das expressionistische Drama auf der Bühne steht vollends im Einklang mit der von Jordan im Orchestergraben entfachten Dramatik. Es wird nach wie vor unverständlich bleiben, warum man so einen Spitzenmann wie Jordan von der Wiener Staatsoper hat ziehen lassen.

Vom Regisseur entsprechend in Szene gesetzt erfüllt auch die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Alan Woodbridge, beeindruckend ihre schöne Aufgabe und steuert differenziert plastischen wie akkurat artikulierten Chorgesang bei.

Asmik Grigorian findet als Lady Macbeth findet nach ihrem Liederabend rasch in die fordernde Partie, dieser Traumrolle für jede Singschauspielerin, und legt sie vor allem stark betont aus dem Ausdrucksgesang heraus an. Über leuchtende Höhen und Spitzentöne verfügt die Sopranistin, dass sie jedoch keine genuine Verdi-Sängerin ist, bleibt nicht zu überhören. Die Cabaletta im ersten Akt wird nur einstrophig dargeboten, Appoggiaturen, Gruppetti, Triller sind doch ungewohntes Terrain für Frau Grigorian, die aber mit ihren Mitteln und mit der ihr eigenen Gestaltungsgabe wie Bühnenpräsenz ein erschütterndes Rollenporträt formt, wofür sie vom Publikum mit Applaus zu Recht überschüttet wird. Vor allem die zweite Arie und die Nachtwandelszene gestaltet sie eindringlich und kann damit vollends überzeugen. Keinen geschmeidigen Verdi-Bariton lässt Vladislav Sulimsky als Macbeth ertönen, auch er besticht eher mit der Dringlichkeit des Ausdrucks und starkem Singen als der Eleganz eines Kavalierbaritones. Auf der Habenseite seiner kernigen, sehr dunkel timbrierten Baritonstimme finden sich vokale Durchschlagskraft und eine enorme, werkimmanent beinahe schon brutale Präsenz, die perfekt in Warlikowskis Sichtweise des Stückes passt. Perfektes Legatosingen auf dem Atem ist seine Sache nicht, ob seiner eindringlichen Intensität vermag seine stimmliche Leistung jedoch durch und durch zu überzeugen, vor allem im zweiten Teil des Abends nach der Pause, wo Warlikowski die Sterbearie Macbeths der ersten Fassung aus 1847 in die gegebene zweite Fassung integriert und diese Sulimsky äußerst klangvoll vorträgt. Als Banco gefällt Tareq Nazmi mit geschmeidigem Bass, als Macduff ist Charles Castronovo tenoral verlässlich, die übrigen kleinen Rollen und Nebenrollen sind rollendeckend besetzt.

Am Schluss gibt’s Publikumsjubel für alle Ausführenden.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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