150 Jahre Münchner Opernfestspiele

Die Münchner Opernfestspiele bieten auch zum Jubiläum eine beeindruckende Leistungsschau © Thomas Rauchenwald

Zum ersten Mal die Idee, die Opernsaison zum Ausklang in einem „Festlichen Sommer“ mit einer „Reihenfolge auserwählter Vorstellungen“ gipfeln zu lassen, hatte man 1875. Heute sind die „Münchner Opernfestspiele“ Ende Juni und im Juli am Ende der jeweiligen Spielzeit als Leistungsschau der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater glücklicherweise nicht mehr aus dem jährlichen Festspielreigen wegzudenken. Am Ende der Jubiläumsfestspiele 2025 stehen dann auch drei wahrlich mehr als festspielwürdige Aufführungen auf dem Programm.

 

RUSALKA

Seit der Premiere im Oktober 2010 wird das lyrische Märchen RUSALKA mit der Musik von Antonin Dvorak und dem Libretto von Jaroslav Kvapil in der Inszenierung von Martin Kusej regelmäßig wiederaufgenommen. Die Inszenierung des ehemaligen Chefs am benachbarten Residenztheater hatte einst massive Widerstände provoziert, ist aber nach wie vor, ob der immer wieder aufgedeckten Missbrauchsfälle, bedauerlicherweise höchst aktuell und besticht durch ihre präzise, abgründige Personenführung. Der Schauspielregisseur dringt tief in die Charaktere ein, zeichnet sie messerscharf, erzeugt Betroffenheit, ja Beklemmung.

Das Bayerische Staatsorchester läuft unter der starken, betont gestalterischen Akzente setzenden Leitung von Edward Gardner in der Vorstellung am 29. Juli 2025 zu großer Form auf, ganz böhmisches Kolorit und Naturmystik verströmend. Die warmen Streicher schimmern, das fein abgetönte Holz klagt, weint über das maßlos traurige Schicksal von Rusalka, diesem Wesen, das weder Frau noch Nixe sein, weder leben noch sterben darf, bei Kusej trostlos in einer Irrenanstalt endet und den schwachen Prinzen den Tod gibt. Asmik Grigorian singt und spielt diese in diesem Konzept starke Gestalt ungemein empfindsam wie intensiv zugleich, lässt ihren Sopran fein glänzen wie kräftig strahlen. Pavol Breslik als Prinz ist ihr ein verlässlicher Partner, findet nach und nach von leichtem Tenorgesang über lyrische Emphase auch zu Metall in seiner Stimme, vor allem in der sängerisch von beiden Protagonisten beeindruckenden Schlussszene. Hervorragende stimmliche Leistungen sind auch von Christoph Fischesser als auf Kusejs Art dämonischer Wassermann, Elena Guseva als fremder Fürstin und Okka von der Damerau als Hexe zu vernehmen, alle anderen Partien sind mehr als rollendeckend besetzt und zeigt das Publikum am Ende lautstark seine Begeisterung über eine ausgezeichnete Festspielaufführung.

 

LOHENGRIN

Für Regisseur Kornèl Mundruczò stellt LOHENGRIN im Wesentlichen die provokanteste inhumane Figur im gesamten Opernkosmos dar und ist die Handlung in einer posthumanen angesiedelt, worin eine wankelmütige Gesellschaft Überlebender in Joggingkleidung angstvoll Erlösung erhofft: Richard Wagners Oper in drei Aufzügen, zugleich Ende und Vollendung der romantischen Oper überhaupt, steht am 30. Juli 2025 in einer musikalisch hochkarätigen Aufführung am Programm.

Das in allen Gruppen sehr gut disponierte Bayerische Staatsorchester gibt an diesem Abend alles: Sebastian Weigle dirigiert höchst präzise, bereits im Vorspiel erzielt er einen ganz feinen, blau leuchtenden Klang, die geteilten Streicher spielen ungemein feine Linien. Der Dirigent lotet die faszinierende Musik meisterhaft aus, entfaltet das Werk in seiner ganzen Dramatik wie Schönheit, die Klangfarben nachdrücklich betonend, dass Wagner bereits deutlich den Weg von der Oper weg hin zum Musikdrama eingeschlagen hat. Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper, einstudiert von Christoph Heil, lassen plastisch differenzierten, wie es in diesem Werk sein soll, fein schwebenden wie machtvoll schallenden Chorgesang vernehmen.

Die Besetzung ist Weltklasse, daher festspielwürdig, das sind Opernfestspiele, so sollen sie sein. Beginnend mit dem ungemein präsenten Heerrufer von Kostas Smoriginas ist Wagner-Gesang vom Besten zu erleben. Renè Pape ist, wenn er so singt wie an diesem Abend, konkurrenzlos als Heinrich der Vogler, das dunkle Paar Ortrud und Telramund ungemein stark besetzt – Anja Kampe hochdramatisch furios, Wolfgang Koch mit heldenbaritonalem Aplomb. Elsa von Brabant ist in dieser Regiearbeit keine schwache Frau, das bringt Rachel Willis-Sorensen mit starkem Glanz in ihrem Sopran bisweilen überdeutlich zum Ausdruck. Die Krone des Abends gebührt aber Piotr Beczala in der Titelrolle. Der Außenstellung, die der Regisseur so krass herausarbeitet, bringt er bereits mit seinem herrlich slawischen, deutlich italienisch eingefärbten Timbre zum Ausdruck. Lang hat man keinen derart phänomenalen Schwanenritter mehr gehört, seine edle, überaus schmelzreiche Stimme ist kostbar geführt, überstrahlt den ganzen Abend, Gänsehauteffekte beim Hören inkludiert. Seine Rollengestaltung gerät überragend, bewegend, berührend, alle Nuancen der wunderbaren Partie erfassend. Orkanartiger, langanhaltender Applaus zu Recht für alle Beteiligten, Festtagsstimmung.

DAS RHEINGOLD

Die Bayerische Staatsoper schmiedet an einem neuen „Ring“ und wird DAS RHEINGOLD, der Vorabend des Bühnenfestspiels DER RING DES NIBELUNGEN von Richard Wagner zum Abschluss der Opernfestspiele nach der Premiere im Oktober 2024 noch zweimal gegeben.

Wenn sich Regisseur Tobias Kratzer, ab Herbst Intendant der Hamburgischen Staatsoper, genug Zeit für die Inszenierung nimmt, nehmen kann, könnte seine Regiearbeit zu Wagners gewaltiger Tetralogie ein absoluter Wurf werden, vermag doch DAS RHEINGOLD über den Maßen zu überzeugen. Unterstützt wird Kratzer von Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Michael Bauer (Licht). Manuel Braun, Jonas Dahl und Janic Bebi sorgen für gelungen humorige Videos, die geschärfte Dramaturgie stammt von Bettina Bartz und Olaf Roth.

Angeregt für seine Arbeit, die auch die Rezeption des Werkes nicht ausspart, Wotan hat sogar seinen Flügelhelm, wird Kratzer von der Philosophie von Ludwig Feuerbach – die Götter beziehen ihre Existenz im Wesentlichen nur aus dem Glauben der Menschen. Und auch Friedrich Nietzsche lässt grüßen – „Gott ist tot“, sein später auch im „Zarathustra“ verwendetes Zitat ist zu Beginn auf eine Wand gesprüht. In zwielichtiger Gegend veräppeln drei Straßenmädchen den Penner Alberich – Kratzer ist wieder einmal betont provokant. Die Riesen sind (geld)geile Pfaffen, die Wotan seine Burg bauen – eine an eine gotische Kathedrale erinnernden Bau, der beim Einzug der Götter am Schluss prächtig erstrahlt. Nibelheim ist eine Garage irgendwo in den USA – der Verbrecher Alberich plant dort seine Taten, nachdem er sich mithilfe des Tarnhelms in einer Kröte verwandelt hat, spielt er die Rolle komplett nackt zu Ende, inklusive verächtlichen Pinkelns in die Kirchenbank, nach seinem Fluch in Richtung Wotan, nachdem dieser ihm auch noch den Ring geraubt hat. Mag das alles noch so weit hergeholt erscheinen, Kratzers überzeugendes Konzept ist ganz großes Kino, geht dennoch vollends auf, das Drama ist exakt aus der Musik entwickelt und ganz hart am Text. Personenführung und Personenregie geraten exzeptionell, fulminant, die Beziehungen der Handelnden klar und deutlich herausarbeitend, nahezu sezierend. Man darf heute schon gespannt sein, wie es in DIE WALKÜRE weitergeht, der erste Tag des Bühnenfestspiels wird im Juni 2026 zur Premiere kommen.

In der Aufführung am 31. Juli 2025 geht es aber auch musikalisch hoch her. Das groß besetzte Bayerische Staatsorchester ist in allen Instrumentengruppen bestens aufgestellt, wird bei einer pausenlosen Spieldauer von zwei Stunden und zwanzig Minuten von Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski, der seinen Vertrag soeben bis Ende der Spielzeit 2028/2029 verlängert hat, straff und zügig durch die Partitur geführt. Gewiss könnte der Rhein zu Beginn noch etwas mächtiger anschwellen und die Pauken beim Auftritt der Riesen martialischer dröhnen, im Verlauf des Abends findet Jurowski mit dem Staatsorchester aber nicht nur zu einem flüssig transparenten, sondern, wo nötig, auch großen, erhaben begeisternden Klang.

Einen Glücksfall für München stellt auch die Besetzung dar, wobei drei Sänger herausragend sind: Nicholas Brownlee als dominanter, heldenbaritonaler, junger Wotan mit bereits edlem Timbre, höchst attraktiv in Spiel, Darstellung und mit einer fein geführten, lyrisch kernigen Tenorstimme Sean Panikkar als Loge und der polternd dröhnende, mächtige Martin Winkler als wahrlich dämonischer Alberich, der darstellerisch, wie gesagt, seine Grenzen überschreiten muss. Sehr gut auch die Bässe Matthew Rose und Timo Riihonen als Fasolt und Fafner, Tenor Matthias Klink als Mime und Mezzosopran Ekaterina Gubanova als Fricka. Ihren Auftritt als Erda veredelt Wiebke Lehmkuhl mit prächtig sattem Alt, die drei Rheintöchter (Sarah Brady, Verity Wingate und Yahie Zang) singen sehr ansprechend, rollendeckend agieren Mirjam Mesak (Freia), Ian Koziara (Froh) und Milan Siljanov (Donner).

Zum Schluss gibt es donnernden Jubel für alle Beteiligten, das gesamte auf der Bühne versammelte Team der Bayerischen Staatsoper verabschiedet sich vom Publikum. Man darf sich auf eine neue, anregende Saison 2025/2026 in der Intendanz Serge Dorny freuen.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert