Die Deutsche Grammophon Gesellschaft (DGG) hat anlässlich des 100. Geburtstags von Pierre Boulez am 26. März 2025 eine Neuauflage des erstmals im Jahr 2013 erschienenen 13-CD-Sets mit dem Titel Pierre Boulez: The Composer veröffentlicht. Die darin präsentierten Werke wurden unter der Aufsicht des Komponisten produziert. Die repräsentative Box bietet eine Reihe an Stücken, die Boulez als wesentlich für seinen Kompositionsstil hielt und beinhaltet außerdem ein 252-Seiten-Booklet mit ausführlichen Anmerkungen und Kommentaren des Komponisten zu jedem der Stücke in französischer wie englischer Sprache.
Wie als Dirigent war Pierre Boulez (1925-2016) als Komponist Perfektionist in Reinkultur und ist dies Zeit seines Lebens geblieben: Intellekt und Emotion sollten gleichsam aus seiner Musik sprechen, Verstand und Schönheit sich in seinem Schaffen nicht ausschließen. Immer war er dabei ein Mann der Zukunft mit profunder Basis, der in historischen Begriffen dachte, später aber neben elektronischer Verstärkung auch den Computer in seiner Musik verwendete.
Eine Gesamtbesprechung aller Aufnahmen aus der CD-Box würde den Rahmen dieses Blogs sprengen, weshalb speziell auf folgende Einspielungen von Kompositionen aus seinem Oeuvre eingegangen werden soll:
Douze Notations (1945) für Klavier zu zwei Händen, das erste Werk, das Pierre Boulez als vollgültig anerkannte und in seinen Werkkatalog aufgenommen hat, in der Tradition von Olivier Messiaen stehend, die Struktur stellt darin das primäre Element dar, vollkommen interpretiert 1995 von Pierre-Laurent Aimard;
2e sonate pour piano (1948), wo Aggregate und Cluster traditionelle Harmonien ersetzen, ein atonales, rhythmisch progressives Meisterwerk, brillant virtuos gespielt wie durchdrungen interpretiert 1978 von Maurizio Pollini;
Le marteau sans maitre (1955) mit seinem im Raum schwebenden Klangkaleidoskop, verstärkt durch surrealistische Gedichte von Renè Char: unbequeme, aber wunderbare Musik – eine Einspielung vom Meister selbst mit Hilary Summers und seinem Ensemble intercontemporain 2005;
Pli selon pli. Porträt de Mallarmè (1957), für Sopran und Orchester, ein Meilenstein der neueren Musikgeschichte, weil ein Erneuerer der französischen Lyrik auf einen Erneuerer der Musik trifft, eines seiner längsten Werke, eingespielt wiederum von Boulez mit dem vorhin genannten Ensemble und Christine Schäfer in der version définitive 1989;
Livres pour cordes (1968/1988) für Streichorchester, ein Werk höchster Komplexität, Schönheit und Tiefe, höchst sinnlich mit ihrem silbrig schimmernden, leuchtenden Streicherluxusklang, quasi vollendet gespielt von den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Boulez 1992;
… explosante-fixe… (1971), in Gedenken an Strawinsky konzipiert, ein sehr stilles, sehr verhaltenes Stück, das mit oder ohne Elektronik aufführbar ist, hier eingespielt in der vierten Version 1995, wiederum vom Ensemble intercontemporain unter Boulez, unter Mitwirkung von Sophie Cherrier, Flötensolo und Andrew Gerszo, Elektroakustik;
Rituel: in memoriam Bruno Maderna (1975), eine seiner freiesten Partituren, sehr minimalistisch mit ihrer begrenzten Harmoniepalette und pulsierenden Rhythmen, exzellent gespielt 1982 vom BBC Symphony Orchestra unter Leitung des Komponisten;
Repòns (1976), geschrieben für Paul Sacher, für sechs Schlagzeugsolisten, großes Kammerorchester und Live-Elektronik, eine plurifunktionelle Wechselrede zwischen unverfremdeten und in Echtzeit verfremdeten Instrumentalklang, prädestiniert für eine spannende Interpretation des Ensemble intercontemporain 1998 unter Boulez selbst;
Notations I-IV et VII, (seit 1978), Orchesterfassungen für fünf Klavierstücke aus seiner seriellen Phase, anspruchsvolle Töne voll Gefühl und Sinnlichkeit, live aufgenommen 2007, Pierre Boulez dirigiert feinfühlig wie zielstrebig das Ensemble Modern Orchestra; und
Sur Incises (1996/1998), Paul Sacher zum 90. Geburtstag gewidmet, basierend auf Incises, für drei Klaviere, drei Harfen und drei Schlagzeugstimmen, wo sich Episoden lyrischer Verträumtheit in schierer Farbenpracht mit Ausbrüchen pulsierender Intensität abwechseln, 2000 grandios interpretiert von Solisten des Ensemble intercontemporain, dirigiert naturgemäß von Pierre Boulez.
Wer wenig oder gar keine Musik von diesem großen Avantgardisten im CD-Regal besitzt, sollte bei dieser ungemein repräsentativen – seit jeher eine Stärke der DGG –, außerordentlichen Box unbedingt rasch zugreifen, bevor das Produkt wieder aus dem Katalog gestrichen wird.
Pierre Boulez. The Composer. 13 CD’s, DGG, UPC 00028948475131