Singen, als wäre es das Einfachste auf der Welt: KS Johan Botha wäre sechzig Jahre alt geworden

Johan Botha als Richard Wagners TANNHÄUSER an der Wiener Staatsoper © APA/Hans Klaus Techt

1996 hatte die Wiener Volksoper Franz Lehars Meisteroperette DAS LAND DES LÄCHELNS in einer Inszenierung von Klaus Maria Brandauer neu herausgebracht und wurde die Premiere an einem Samstagabend im österreichischen Fernsehen übertragen. Der Apparat lief neben dem Abendessen, ich hatte nicht wirklich zugesehen, aber bereits beim ersten – schmerzlich verhangenem – Arioso „Immer nur Lächeln“ des Prinzen Sou Chong wurde ich hellhörig. Welch‘ wunderbare Tenorstimme, völlig frei und unverkrampft, war da zu vernehmen. Der gewaltige Eindruck steigerte sich dann noch bei den anderen Nummern, die Lehar „seinem“ Tenor, Richard Tauber in die Kehle geschrieben hatte, war doch dieser junge, aus Südafrika stammende Tenor dem großen Tauber nahezu in allen Belangen mehr als ebenbürtig. Wann hat man den Schlager „Dein ist mein ganzes Herz“, das Walzerduett „Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt“ sowie das finale „Liebes Schwesterlein“ je so prachtvoll gesungen gehört? Das Problem der Operette ist und bleibt ja der Umstand, dass sich ihrer leider sehr wenig wirklich ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger auf der Bühne annehmen (können bzw.) wollen: für Johan Botha war’s eine Herzensanagelegenheit und bedeutete den endgültigen Durchbruch in Österreich, das ihn bald zu seinem Kammersänger ernannte und die Wiener Staatsoper seine künstlerische Heimat wurde.

Wer jemals diesen in allen Lagen ebenmäßig und bruchlos geführten Tenor, diese wunderbar schmelzreiche Phrasierung, dieses leuchtende Metall in der Höhe bei immenser Strahlkraft und dieses immer auf dem Atem geführte Singen einer perfekt fokussierten, strömenden Stimme gehört hat, wird sie nicht vergessen. Gepaart mit vorbildlicher Artikulation wie Diktion gelangen so unvergessliche Rollenporträts, die Johan Botha den Rang als einem der größten Sänger unserer Zeit verleihen. Das Besondere an dieser außergewöhnlichen Tenorstimme war für mich auch immer dieses überwältigende Gefühl, dass der Strahl dieses herrlichen Organs direkt in mein Herz getroffen hat, was bei wenigen Sängerinnen und Sängern der Fall ist. Persönlich stelle ich Johan Botha neben die für meine Wahrnehmung allergrößten Tenöre: Enrico Caruso, Leo Slezak, Lauritz Melchior, Jon Vickers, Placido Domingo …

Johan Botha hat mir viele schöne, erfüllte und glückliche Stunden geschenkt. Überragend war er, wenn ein Regisseur sich seiner annahm und den zum Sängerdarsteller jederzeit Bereiten szenisch so richtig an die Kandare genommen hatte. An der Wiener Volksoper war das Christine Mielitz in DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG von Richard Wagner: beim Preislied wurde Botha auf einer Art Schwenkkran hoch in den Zuschauerraum gehievt. Er, der immer die Reserven für einen strahlenden Auftritt auf der Festwiese hatte, wurde derart stimmlich übergroß in Szene gesetzt; man vermeinte, das Haus werde in seinen Grundfesten erschüttert, als er die Aufschwünge im Preislied in den Zuschauerraum geblasen hatte, gleich einer silbernen Trompete. Plötzlich hatte man ob der subtilen Personenführung der Mielitz verstanden, warum sich Eva für Stolzing – und nur für Stolzing, nicht für Sachs – entscheidet. In PARSIFAL von Richard Wagner an der Wiener Staatsoper machte Mielitz aus Botha einen im dritten Akt geläuterten, mächtigen Anführer einer religiös bestimmten Männersekte. Stimmlich in dieser eher kurzen, aber fordernden Partie ohnehin über jeden Zweifel erhaben schmetterte er „Nur eine Waffe taugt“ kompromisslos in das Zuschauerrund. Und wieder ob der Mielitz, die es am besten verstand, diesen „riesigen Kerl“, wie sie ihn selbst liebevoll nannte, auf der Bühne zu führen, begriff man Gurnemanz‘ Überraschung „Welch‘ Pfade fand er!“ … Christine Mielitz führte auch bei OTELLO von Giuseppe Verdi, wieder in der Wiener Staatsoper, Regie. Der Auftritt des siegreichen Feldherrn fand im Bademantel und mit Kampfhandschuh in einem Boxring statt, in demselben Ring in einer Art Kampf meuchelt ein seelisches Wrack von einem einst siegreichen Feldherrn von Venedig dann auch seine geliebte Desdemona. Stimmlich klang Botha, unter die Haut gehend, wie ein tödlich verwundetes Tier. Mit bestens fokussiertem Tenor beklemmend, souverän bis zum Schluss der Romerzählung und danach sogar noch zu einem wunderbar tragenden piano in „Heilige Elisabeth bitte für mich!“ fähig, war Botha Richard Wagners TANNHÄUSER in der Inszenierung von Claus Guth, ebenfalls an der Wiener Staatsoper, ein persönlich zwischen reiner und körperlicher Liebe Gespaltener, zwischen „Heiliger“ Elisabeth und „Hure“ Venus, der nach einem Besuch in einem alten, noch heute existierenden Wiener Stundenhotel einen (sexuell) rauschartigen Traum in einer Art Jahrhundertwendeswingerclub erlebt und schließlich in der Irrenanstalt landet: Botha hat dies überzeugend, phasenweise beängstigend – „Da ekelte mich ihr holder Sang“ –  dargestellt. Überzeugend umgehen mit der Statur des Sängers konnte auch der vom Film kommende polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper in München: in der von Kirill Petrenko gleich einer immensen Kraftentladung dirigierten DIE FRAU OHNE SCHATTEN von Richard Strauss brillierte Johan Botha in der vertrackt schwierigen Partie des Kaisers mit leuchtend gesungenen Bögen ohne jegliche Einschränkung.

Auf der Bühne war ihm nichts zu schwer oder zu lang: bei der von Semyon Bychkov dirigierten Premierenserie von Richard Wagners LOHENGRIN an der Wiener Staatsoper 2005 gab er sogar den üblicherweise gestrichenen zweiten Teil der Gralserzählung und die Partie überhaupt in Originallänge zum Besten.

Zu seinen wichtigsten Opernpartien zählten, neben den erwähnten, Giuseppe Verdis DON CARLO, Arrigo in I VESPRI SICILIANI und Radames in AIDA, auch ANDREA CHENIER von Umberto Giordano, Apollo in DAPHNE wie Bacchus in ARIADNE AUF NAXOS von Richard Strauss, Florestan in FIDELIO von Ludwig van Beethoven, Richard Wagners Siegmund in DIE WALKÜRE, Cavaradossi in TOSCA und Calaf in TURANDOT von Giacomo Puccini. Kaum ein Sänger verfügte über eine derartige Vielseitigkeit wie der Südafrikaner, der die meisten seiner Abende mit schier unerschöpflichen stimmlichen Reserven und scheinbar mühelos singend zu gestalten imstande war.

PETER GRIMES von Benjamin Britten und Tristan in TRISTAN UND ISOLDE von Richard Wagner – letzterer geplant unter Daniel Barenboim im Rahmen der Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper im Herbst 2017 – wären seine Lebensträume gewesen, was Partien betrifft. Nachdem man hoffnungsvoll vermeinte, Johan Botha hätte seine schwere Erkrankung schon besiegt, hat der Tod so grausam zugeschlagen, seine Träume hat er leider nicht mehr verwirklichen können.

Der österreichische Kammersänger wurde am 19. August 1965 in Rustenburg, Südafrika, geboren und war, sowohl als Künstler und Mensch, von großem Format. Mit nur 51 Jahren, am 8. September 2016, ist er nach schwerer Krankheit in Wien verstorben. Am 19. August 2025 hätte er seinen 60. Geburtstag gefeiert: Johan Botha, die Opernwelt vermisst Sie sehr.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert