„Saint Francois” á Genéve

Giotto di Bondone: Die Vogelpredigt des hl. Franziskus

Zum ersten Mal überhaupt setzt das Grand Theatre de Geneve im April eines der monumentalsten zeitgenössischen Bühnenwerke auf seinen Spielplan, die am 28. November 1983 in Paris im Palais Garnier uraufgeführte Oper in drei Akten und acht Bildern, „Saint Francois d’Assise“, von Olivier Messiaen, der auch das Libretto dazu verfasst hat.

Die fortschreitenden Stadien der Gnade in der Seele des heiligen Franziskus zu schildern. Alles, was keine Farben, keine Wunder, keine Vögel, keine Frömmigkeit und keinen Glauben enthielt, habe ich ausgespart – die Gestalt des Pietro Bernadone ebenso wie die der heiligen Klara oder den Wolf von Gubbio.“ – so Olivier Messiaen selbst über die Intention seiner Oper, die als sein opus summum gelten kann.

Das Libretto – das Sujet des Heiligen Franziskus hatte ihn schon seit seiner Jugend beschäftigt – schrieb Messiaen wie auch bei seinen anderen Vokalwerken selbst. Es ist nicht nur Transportmittel für die Musik, sondern auch ein persönliches religiöses Bekenntnis. Als Vorlage dienten ihm die um 1228 von Thomas von Celanoim im Auftrag von Papst Gregor IX. geschriebene Vita des Heiligen Franziskus, Werke von Bonaventura und die Legendensammlung der Fioretti di San Francesco aus dem 14. Jahrhundert. Er übernahm einige Texte des heiligen Franziskus wörtlich und fügte auch Bibelzitate ein. Die Musik komponierte Messiaen in den Jahren 1975 bis 1983. Was die Gestaltung betrifft, gab Messiaen konkrete Hinweise für Gestik und Kostüme der Darsteller, die sich an Werken der bildenden Kunst orientieren. Eine Vorlage für Saint François fand er in den Fresken von Cimabue und Giotto in Assisi. Der Leprakranke ist der Bildtafel Die Versuchung des heiligen Antonius auf Matthias Grünewalds Isenheimer Altar nachgebildet, der Engel der Verkündigung von Fra Angelico.

Messiaen verzichtet in seinem zwischen 1975 und 1983 geschaffenen Werk, das einen Kompositionsauftrag des damaligen Intendanten der Pariser Oper, Rolf Liebermann darstellt, auf eine psychologische Ausdeutung der Charaktere wie weitgehend auf Konflikte zwischen den Figuren. Dramaturgisch konzentriert sich das Werk auf die Gestalt des Heiligen Franziskus, ihm gegenüber werden alle anderen Personen nachrangig. Wie bei einem Oratorium steht der Chor überwiegend außerhalb der Handlung, übernimmt nur gelegentlich die Rolle der Stimme Christi.

In diesem Spätwerk hat Messiaen den Heiligen Franziskus als Alter Ego seiner selbst aufgefasst, gilt doch Franziskus‘ Bestreben, „durch Musik und Poesie Gottesnähe zu erlangen“, mehr für den Komponisten als für den Heiligen, weshalb Messiaen mit seinem Monumentalwerk wohl seine eigene Lebensbeschreibung verfasst hat: Die letzten Worte Francois’ vor seinem Tod – „Musik und Poesie haben mich zu Dir geführt …“ – sind gleichsam als sein künstlerisches Glaubensbekenntnis zu sehen.

In der Musik verwendet Messiaen alle von ihm entwickelten Techniken seiner Tonsprache: orgiastische Klänge, Bläser-Kaskaden, Holzbläser-Schichtungen, Streicher-Flimmern, mit Vogelstimmen, Gregorianik, außereuropäische Modi, sorgfältig ausgearbeitete Chorsätze, inspiriert von Claude Debussy und Igor Strawinsky, wie auch von Klangwelten der Gamelan- Orchester aus Java. Es gibt zwei groß angelegte Orchesterzwischenspiele, die bei offenem Vorhang gespielt werden: „La danse du Lépreux“ („Der Tanz des Leprakranken“, im dritten Bild) und „Le grand concert d’oiseaux“ („Das große Vogelkonzert“, im sechsten Bild). Die Gesangspartien des Saint Francois und des Engels zählen zu den schwierigsten des modernen Musiktheaters. 

„Saint Francois d’Asisse“ – ein gewaltiges Werk: Weniger eine Oper, vielmehr ein Oratorium, noch eher ein Ritual, wofür der Synästhet Olivier Messiaen, der sich selbst als Komponist, Ornithologe und Rhythmiker bezeichnete, eine der beeindruckendsten, klangfarbenreichsten und schillerndsten Partituren des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. Das Werk ist die Summe eines Lebenswerkes, dessen Musik den Farben, den Vögeln und den Wundern folgt, um die wachsende Gnade in der menschlichen Seele zu finden und zu teilen.

Messiaens Werk ist durchdrungen von Fantasie, Musik, Theater und Religion: „Es ist unbestreitbar, dass ich in den Wahrheiten des katholischen Glaubens diese Verführung durch das Wunderbare hundertfach, tausendfach multipliziert wiedergefunden habe, und es handelte sich nicht mehr um eine theatralische Fiktion, sondern um etwas Wahres.“, so Messiaen selbst.

Seine Musik ist aber nicht nur von spiritueller Energie und seinem tiefen, katholischen Glauben geprägt, sondern auch von der Synästhesie, der Assoziation von Klängen mit Farben: „Mein heimliches Verlangen nach feenhafter Pracht in der Harmonie hat mich zu diesen Feuerschwertern gedrängt, diesen jähen Sternen, diesen blau-orangen Lavaströmen, diesen Planeten von Türkis, diesen Violetttönen, diesem Granatrot wuchernder Verzweigungen, diesem Wirbel von Tönen und Farben in einem Wirrwarr von Regenbögen.“, um den Komponisten noch einmal selbst zu Wort kommen zu lassen.

In Genf stellen sich unter der musikalischen Leitung von Jonathan Nott am Pult des Orchestre de la Suisse Romande in der Titelrolle Robin Adams und als L’Ange Claire de Sévigné diesen Anforderungen, Mark Biggins wird den Chor auf seine herausfordernde Aufgabe vorbereiten. Adel Abdessemed besorgt Regie, Ausstattung und Video, Jean Kalman steuert das Licht bei, Christian Longchamp ist für die Dramaturgie verantwortlich.

Die Aufführungsserie im April 2024 dürfte eine der spannendsten wie interessantesten Neuproduktionen der laufenden Saison, was Musiktheater überhaupt betrifft, werden.

Jonathans Nott Affinität zu moderner Musik lässt eine gelungene Auseinandersetzung mit der farbenreich-komplexen Musik Messiaens vermuten. Mit Höchstspannung darf auch die Inszenierung des aus Algerien stammenden Künstlers Adel Abdessemed erwartet werden, der in seinen Arbeiten vorwiegend installativ oder mit Videos arbeitet und dessen Oeuvre mitunter verstörend bzw. schockierend auf das Publikum wirkt. Bleibt er seiner Linie, mit seiner Arbeit, changierend zwischen Terror, Migration, Gewalt, Leiden, Tod und dem Verlust von Zivilisation, zu polarisieren, treu? Oder findet er sogar einen – als starken Kontrast dazu – doch eigenen, aber anderen Weg zu Messiaens tiefer, aus dem Herzen kommenden Gläubigkeit?

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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