Im Rückblick: Die Highlights in Oper und Konzert 2025

Ein Gott sei Dank wieder genesener Heimkehrer: Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker © Thomas Rauchenwald

Zum Jahreswechsel sei wiederum ein Rückblick auf die Höhepunkte aus Oper und Konzert des zu Ende gehenden Jahres gestattet.

Oper

NORMA von Vincenzo Bellini, diese jeden Zoll fordernde Partie, verlangt höchst dramatische Wirkung und beispiellos erschütternde Emotionalität im Sinne einer bewegenden, berührenden Gestaltung. Am famosen Rollenporträt von Asmik Grigorian am 19. Februar 2025 im Theater an der Wien bestechen nicht so sehr Leichtigkeit und Brillanz, sondern Größe und Expressivität wie Tiefe und Echtheit des Ausdrucks. In voller Intensität, mit jedem Ton macht sie klar, dass NORMA eine ehern antike Tragödie auswegloser Unerbittlichkeit ist. Dass sich in der Aufführung am 19. Februar 2025 reinstes Musikdrama ereignet, liegt aber auch an den beiden anderen Hauptpartien. Als Pollione wirft sich der Tenor Freddie de Tomaso mit dramatischer Verve und metallischem Timbre förmlich in die Partie und besteht mit kompromisslos starkem Tenorgesang neben der furiosen Asmik Grigorian. Adalgisa wird von der jungen Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina gesungen, mit warmem, volltönendem Stimmorgan, geschmeidig wie kräftig, in allen Lagen ausgewogen. Die drei Protagonist:innen überstrahlen an diesem Abend mit deutlichem Abstand sowohl Francesco Lanzillotta am Pult der pauschal aufspielenden Wiener Symphoniker als auch die Neudeutung der Handlung in der Inszenierung von Valeri Barkhatov.

An der Bayerischen Staatsoper in München ist Corinna Winters KATJA KABANOVA von Leos Janàcek, verkörpert diese lebensgierige, unerfüllte Frau wie es ergreifender nicht sein kann. Ihre perfekt fokussierte Sopranstimme schwebt nur so durch das Nationaltheater, mit wunderbarer Phrasierung, cremig dunklem Timbre wie gleichsam gleißenden Kantilenen und dramatischen Höhen. Höchst intensiv gestaltet sie diese Rolle als bewegende Singdarstellerin exemplarischen Ranges. Und ihr verzweifelter, zerbrechender Stimmausdruck am Ende geht förmlich unter die Haut. Janàceks Musik ist geprägt von ausgeprägter Sprödigkeit und Zurückhaltung, die sein feuriges Glühen voller Leidenschaft nur verdecken: auf diese Aspekte, sprich Kontraste, setzt am 30. März 2025 Marc Albrecht betont mit dem prächtig musizierenden, hervorragend abgestimmten Bayerischen Staatsorchester, sowohl die vertrackte Rhythmik der Partitur als auch deren magisch hymnischen Steigerungen bleiben da nicht auf der Strecke. Im Gesamten ist eine Aufführung zu erleben, die Gänsehaut provoziert und dem aufmerksamen Hörer wie Seher fast erschlagen zurücklässt. Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski setzt wie gewohnt auf die Charaktere und das Werk zusätzlich verstärkende Ebenen. Katja zeigt er in einer Parallelwelt, lebend in ihrer eigenen Welt, eine doppelte Fremde, erinnernd an die Kindfrau Lulu in Alban Bergs gleichnamiger Oper. Wie immer ist seine Regiearbeit vom Film inspiriert, dieses Mal von MOUCHETTE von Robert Bresson, einer Anklage gegen Lieblosigkeit und Liebesunfähigkeit aus den späten 1960er Jahren. Das Stück bedeutet für ihn die Umwandlung eines realistischen Dramas durch Musik, die Chronik eines angekündigten Todes, wo die Zerbrechlichkeit einer Frau ins Zentrum gerückt wird. Gelungen ist eine bildgewaltige Inszenierung, eine gefrierende Milieustudie, welche die Trümmer von Realem und von Emotionen eines an ihrer Umwelt zu Grunde gehenden Menschen zeigt. Personenregie und Personenführung sind subtil, beklemmend psychologisch fundiert, die Beziehungen der handelnden Personen überdeutlich herausarbeitend, ganz auf die jeweiligen Charaktere fokussiert.

Im Sommer wagen sich die Salzburger Festspiele an TRI SESTRI (DREI SCHWESTERN) von Peter Eötvös. Sämtliche Frauenrollen sind, wie vom Komponisten bevorzugt, mit männlichen Sängern besetzt, wodurch für ein Maximum an Verfremdung und Abstraktion gesorgt ist. In der Inszenierung von Evgeny Titov ereignet sich wahrhaft echtes, wenngleich bitteres Musiktheater. Titov beherrscht die riesigen, gefährlichen Dimensionen der Bühne in der Felsenreitschule: im an einen Kriegsschauplatz erinnerndes, desolat zerstörerisches Ambiente gelingt ein Kammerspiel höchster Subtilität, mit beklemmend psychologisch fundierter Personenführung wie Personenregie. Aus dieser zerbombten, in jeder Hinsicht total zerstörten Zivilisation gibt es keinen Ausweg mehr, kann es keinen mehr geben. Für ein musikalisches Ereignis sorgt auch in der Aufführung am 21. August 2025 das Klangforum Wien Orchestra unter der Leitung von Maxime Pascal. Die Seelenregungen und Zustände von Eötvös‘ eindringlich kontemplativer Musik werden perfekt, bewegend umgesetzt. Flüssig, traumverloren klangschön breitet Pascal die komplexe Partitur aus, am Schluss starke Beklemmung hinterlassend. Stimmlich jeder für sich individuell wie grandios agieren die vier Countertenöre in den Hauptrollen: Sopranist Dennis Orellana zauberhaft leicht als Irina, der Mezzosopran-Countertenor Cameron Shabazi höchst elegant als Mascha, der Alt-Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen warm als Olga und der Sopran-Countertenor Kangmin Justin Kim kreischend böse als Natascha. Aus der übrigen Besetzung ragt Jacques Imbrailo als Andrej heraus.

Im Rahmen der beiden Zyklen von Richard Wagners tiefschürfende Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN – unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Christian Thielemann und in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov – an der Berliner Staatsoper Unter den Linden hat SIMPLY CLASSIC im ersten Zyklus DAS RHEINGOLD am 27. September und DIE WALKÜRE am 28. September, im zweiten Zyklus SIEGFRIED am 10. Oktober und GÖTTERDÄMMERUNG am 12. Oktober 2025 besucht. Mit der Staatskapelle Berlin wird der RING in Berlin unter Thielemanns außerordentlicher Stabführung zum singulären Ereignis. Großes Musikdrama entsteht an allen vier Abenden: Wunderbar, dass vom mythisch raunenden Urbeginn im „Rheingold“ bis zum kathartisch verklärenden Ausklang der GÖTTERDÄMMERUNG ein an Spannung nie nachlassender Bogen gespannt werden kann. Auffällig, wie transparent und zügig bei ungemein flüssigen Tempi Thielemann mittlerweile die Tetralogie musiziert. Herrlich der große Klang , den Thielemann dem Orchester entlockt, lyrische Stellen wie dramatische Höhepunkte werden gleichsam deutlich herausgearbeitet. In Thielemanns Gestaltung beeindrucken nicht nur die großen, rein orchestralen Abschnitte, sondern jeder Takt wird mit ungeheurer Intensität umgesetzt, enorm der wahrlich gigantische Strom, der den ganzen dritten Tag durchfließt. Dass dieser RING zu einem solchen Ereignis wird, liegt aber auch an vor allem vier ausgezeichneten SängerInnen: Michael Volle gibt einen durch und durch imposanten Wotan mit enorm starker, viriler Stimme, berührt immens im bewegenden, strömend gesungenen Abschied von seiner Wunschmaid, beeindruckt mit blendender Diktion im RHEINGOLD und kräftigem Ausdruck in der WALKÜRE, verfügt auch noch als Wanderer über uneingeschränkt stimmliche Mittel im SIEGFRIED. Anja Kampe begeistert als Brünnhilde mit jungem, kräftigem Ton in der WALKÜRE, mit strahlend fraulichem Ton in den anderen beiden Teilen, verfügt über herrliche Strahlkraft eines mittlerweile echten hochdramatischen Soprans, auf der Basis einer festen, gesunden, tiefen Stütze. Ebenso Andreas Schager als Siegfried mit seinem enorm robusten, kräftigen, ja bärenstarken, nie angestrengt klingenden, schmetternden Heldentenor. Und Mika Kares liefert eine gewaltig bedrohliche, abgründige Studie vom Albensohn Hagen, die fahle Schwärze seines gewaltigen Basses macht erschauern, Stimmfülle und Stimmfärbung verursachen Gänsehaut. Höchstinteressant bzw. anregend spannend ist, wie der Regisseur die Geschichte erzählt: Schauplatz ist ein wohl geheimes, von der Welt abgeschottetes Forschungslabor namens E.S.C.H.E, wo menschliche Feldversuche stattfinden. Wotan ist der verantwortliche wissenschaftliche Leiter, seine Geschöpfe entgleiten ihm zusehends, wie auch dem durch Verträge gebundenen Göttervater bei Wagner selbst. Tcherniakovs Inszenierung bildet ein System aus Versuchslabors, Büros, Wohnräumen, Zimmern und Konferenzsälen, mit Aufzügen verbunden, unterschiedlich miteinander kombiniert, worin Forscher:innen und Versuchspersonen eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden und wo es ganz gewaltig menschelt mit allen denkbaren Regungen, Gefühlen und Charakteren. Seine überaus detailreichen Personenstudien geraten voll im Dualismus zwischen Ironie und Schrecken, Spaß und Schmerz. Die Regie schafft das Kunststück, in das verworrene Handlungsgeflecht viel an Klarheit zu bringen.

Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles waltet am 16. November 2025 bei TRISTAN UND ISOLDE von Richard Wagner an der Deutschen Oper Berlin mit der ganzen Souveränität seines langen Dirigentenlebens am Pult des in allen Instrumentengruppen ausgezeichnet disponierten Orchesters und vertraut ganz auf die Sogwirkung von Wagners süchtig machender Musik, ohne dabei jemals die Bühne aus den Augen zu verlieren und die Sänger:innen wo nur möglich zu unterstützen. Vom verhaltenen Beginn des Vorspiels bis zum rauschhaft gesteigerten Schluss spannt Runnicles einen nie abreißenden Spannungsbogen, Wagners Kosmos in all‘ seinen Nuancen wie ganzen Tiefe erfassend. Der Klang entfaltet sich bisweilen magisch, Wagners feinnervige wie äußerst leidenschaftliche Musik wird hier gleichsam durch starke Akzente wie subtile Feinheit verwirklicht, die Spannung der betonten Chromatik besitzt eine natürliche Vitalität und wird auch durch enorme Energieaufladung erzielt. Die Stimmen fügen sich an diesem Abend wunderbar in dieses Konzept ein. Clay Hilley als Tristan hat einen hellen, durchaus kräftigen, bestens fokussierten Tenor, der enormes Gefühl für die leisen Töne wie die ungeheuren Zwischentöne dieser fordernden, komplexen Partie entfaltet und auch noch im gefürchteten dritten Akt die nötigen Kraftreserven aufbringt. Überragend die Textbehandlung des Sängers. Elisabeth Teige als Isolde gelingt mit jugendlich-dramatischer Sopranstimme eine gefühlvolle Interpretation in Richtung einer noch mädchenhaft jungen, aber bereits großen Liebenden. Sie vermag mit großen Gesangslinien und ausgezeichnet geführter Stimme zu beeindrucken, hat hörbar an Artikulation und Textverständlichkeit gearbeitet, und krönt ihre Leistung mit einer berührenden, zu Herzen gehenden Verklärung, einem sanften Verglühen gleichkommend. Regisseur Michael Thalheimer geht dem Wesen von Wagners Handlung schnörkellos, direkt, strikt auf den Grund und vertraut blind Wagners überragender, sehnsuchtstrunkener Musik. Ohne Rahmen- wie Zusatzhandlungen, Verdoppelungen, Videos oder Choreografien entwickelt und erzählt Thalheimer das Stück einfach aus der Musik, die „Handlung“ wird dabei quasi seziert. In Thalheimers Regiearbeit entfalten sich die Spannungen und Beziehungen der handelnden Personen nur in Gestik und Mimik, ihm gelingt es dennoch, eine enorme szenische Intensität über die ganze Werkdauer zu erzielen: bisweilen im szenischen Stillstand, wirkt der ganz große Zauber von Wagners intensivster Musik noch stärker als sonst. Jede Geste gewinnt an Bedeutung in diesem Raum, der Seelen- und Handlungsraum ist, der Brennpunkt ist zentriert auf die innere Bewegung der handelnden Personen, geprägt durch einen äußerst präzisen, bereits extremen Minimalismus. Diese Inszenierung zeigt zwei sich nacheinander sehnende Menschen, die nicht am Tag, sondern nur in der Nacht, also im Tod, zusammenkommen können.

An der Bayerischen Staatsoper hat Tobias Kratzer mit DAS RHEINGOLD von Richard Wagner einen neuen RING begonnen. Angeregt für seine Arbeit, die auch die Rezeption des Werkes nicht ausspart, wird Kratzer von der Philosophie Ludwig Feuerbachs: die Götter beziehen ihre Existenz im Wesentlichen nur aus dem Glauben der Menschen. Und auch Friedrich Nietzsche lässt grüßen: „Gott ist tot“, sein später auch im „Zarathustra“ verwendetes Zitat, ist zu Beginn auf eine Wand gesprüht. Man darf schon gespannt sein, wie es in DIE WALKÜRE im Juni 2026 weitergeht. Und bei den Salzburger Festspielen hat Ulrich Rasche Gaetano Donizettis MARIA STUARDA inszeniert – ein beinahe archaisches Drama um die beiden Königinnen von England und Schottland, über zwei zerbrechliche Frauen, die beide für sich einen Halt in der Welt suchen. Repräsentiert werden die beiden in dieser aufwändigen Produktion durch zwei große rotierende Scheiben auf der Bühne, durch eine dritte, darüber schwebende Scheibe werden sie getrennt oder über Projektionen verbunden: Die Bühne von Ulrich Rasche funktioniert wie eine gnadenlose Apparatur. „Im Zentrum steht ein System der Gewalt, das sich als politische Vernunft tarnt“, wie der Regisseur und Bühnenbildner selbst erläutert. Donizettis Werk steuert auch musikalisch brutal auf die Hinrichtung der schottischen Königin zu: Ulrich Rasche macht diesen Fortgang durch permanente Bewegung und unerbittlichen, szenischen Rhythmus deutlich.

Konzert

Nach Gott sei Dank überstandener Krebserkrankung kehrt er genesen auch ans Pult der Wiener Philharmoniker zurück und sorgt mit diesem Orchester für zwei außerordentliche Konzerte in Salzburg und Wien: Franz Welser-Möst.

Zur großartigen IX. Symphonie von Anton Bruckner hat der Dirigent eine besondere Beziehung. Mit dem prächtig disponierten Orchester musiziert er es am 28. August 2025 bei den Salzburger Festspielen im vollkommenen Einklang, kompakt, rund, voll, wie aus einem Guss, setzt mit der sehr gut ausbalancierten wie satt klingenden Formation auf flüssige, zügige Tempi, die Aufführungsdauer ist mit einer Stunde eher knapp bemessen. Der Dirigent baut mit weitem Atem große, atemberaubende Spannungsbögen auf, die er über den gesamten Verlauf der Symphonie halten kann. Feierlichkeit ist dort zu hören, wo von Bruckner verlangt und angebracht, die Musik wird aber nie zum Selbstzweck zelebriert, pompöse Steigerungen, die sich nur in plakativ monumentalen Knalleffekten entladen, sind bei dieser beglückenden Interpretation nicht zu vernehmen. Im ersten Satz betont der Dirigent eindrücklich Ernst, Kampf, Strenge und Wucht. Der Bläserchoral in der Coda wird intensiv, vehement gesteigert, das Tremolo in den ganzen Streichern gerät ekstatisch, so hört man das selten. Die ganze Coda führt Welser-Möst zu einer gigantischen Steigerung. Im Scherzo zieht in den stampfenden Akkorden, die er nur so herausmeißelt, ein bizarrer, rhythmisch akzentuierter Totentanz, erinnernd an ein Gemälde von Albin Egger-Lienz, vorbei. Besonnene Abgeklärtheit, Mystik, nie hohles Pathos dann im Finale: Welser-Möst reizt die Klangfarben-Intensität hier aufs Äußerste aus, die Akkord- und Klangballungen werden gewaltig aufgetürmt, die kühne Harmonik grell wie stark betont. Das an Konzentration nicht nachlassende, nie ermüdende Orchester setzt das alles in einer staunenswerten Intensität um. Am Ende, im Abgesang der Coda, mit diesem ruhigen Ausschwingen, vermag Welser-Möst mit seiner ausgefeilten, an ein Bruckner-Hochamt gemahnenden Interpretation, sensible Hörer*innen wohl zu Tränen zu rühren.

Im vierten Abonnementkonzert der Wiener Philharmoniker am 21. Dezember 2025 im Großen Musikvereinssaal in Wien, bei der Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 von Ludwig van Beethoven, der „Schicksalssymphonie“, setzt Welser-Möst auf kräftige, leuchtende Orchesterfarben bei ungemein rasanten, taumelnden Tempi, die vom Orchester mit schier unbändiger Musizierlust freudig und höchst präzise umgesetzt werden. Auch Transparenz ist bei dieser Gangart angesagt, Welser-Möst dirigiert mit einem Furor sondergleichen. Über die ganzen vier Sätze spannt er einen strukturiert energischen Bogen, der erste Satz hat auch das nötige Feuer, der zweite Satz gerät trotz des schnellen Tempos sehr dicht, das Scherzo huscht nur so vorbei, das Finale gleicht einem jubelnden Triumphmarsch und steuert höchst konzentriert auf seinen strahlenden Ausklang zu. Die Interpretation der äußerst wehmütigen METAMORPHOSEN. Studie für 23 Solostreicher, AV 142, von Richard Strauss, ist verinnerlicht, ernst, abgeklärt, vergeistigt, man wähnt sich in einem resignativen Fließen, in schmerzlicher Schönheit. Was Qualität und verhangenen, silbrig schimmernden Streicherglanz anbelangt, kann dieses Werk wohl nicht besser gespielt werden als von den Wiener Philharmonikern. Im schärfsten Kontrast dazu steht die III. Leonoren-Ouvertüre op. 72 von Ludwig van Beethoven: erklang das Werk zu Beginn eine knappe Woche zuvor bei der Premiere von FIDELIO an der Wiener Staatsoper aus dem Orchestergraben noch mit ekstatischem Furor, pfeffert Welser-Möst das Stück nun vom Konzertpodium mit kontrollierter Ekstase in den Goldenen Saal, direkt, unmittelbar, aber nicht ganz so trocken forsch und kantig geschärft wie ein paar Tage zuvor im Haus am Ring.

Das Boston Symphony Orchestra steht für besondere Intensität, Transparenz und Perfektion, gekennzeichnet von glühender Spielkultur wie höchst ausdrucksvoller Klangkultur: beste Voraussetzungen also für eindrucksvolle Interpretationen der Werke von Dmitrij Schostakowitsch. Und Andris Nelsons, Music Director in Boston, verfügt wie das Orchester über eine besondere Affinität zum Werk dieses Komponisten. Im Konzert am 8. Mai 2025 kommt nach einer eindringlichen Wiedergabe des Konzertes für Violine und Orchester Nr. 1 a-moll op.77 mit Baiba Skride als Solistin, bei deren Gestaltung Ernst und Aufrichtigkeit der Empfindungen immer im Vordergrund stehen, Schostakowitschs ein „offizielles“ historisch-politisches Programm besitzende Symphonie Nr. 11 g-moll op. 103 „Das Jahr 1905“ zur Aufführung. Charakter und Stimmung dieses erschütternden Werkes trifft Nelsons mit seinem blendend aufgestellten Orchester genau, sei es der eisige erste Satz, der beinahe hypnotisierende, quälend autokratische Kälte und Weite vor dem Winterpalast in St. Petersburg hervorruft, sei es die Brutalität der Schüsse auf die demonstrierenden Arbeiter im zweiten Satz, sei es im dritten Satz, der sich wie ein meditatives Requiem entfaltet, wie auch im mitreißenden, marschartig gesteigerten vierten Satz, der in hymnischer Größe eindringlich ausklingt.

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker am 15. Mai 2025 in der Berliner Philharmonie mit der Symphonie Nr. 9 D-Dur von Gustav Mahler. Da der Komponist sein Werk weder selbst dirigiert noch gehört hat, es wurde erst nach seinem Tod, uraufgeführt, bedeutet für alle Interpreten die Ausdeutung des Notentextes immer eine besondere Herausforderung. Wenn Kirill Petrenko und das an diesem Abend in Galaformation angetretene, in allen Gruppen bestens aufgestellte, mit unglaublicher Klang- wie Spielkultur aufwartende Orchester nach drei großartig musizierten, ergreifenden Sätzen noch zulegen und den vierten Satz in atemberaubender Transparenz wie endzeitlich zwingend gestalten, ist das Publikum ob dieser klar kristallinen, gläsernen Interpretation völlig gebannt, lange absolut still – man kann die Stille förmlich hören an diesem Abend – wie heute selten im Konzert. Das Ergreifende, Besondere, Außergewöhnliche an dieser Wiedergabe ist, dass Petrenko damit wie nur ganz große Mahler-Dirigenten deutlich macht, wie nicht nur dieses Werk, sondern das ganze (19.) Jahrhundert endgültig morendo verlischt.

Elisabeth Leonskaja spielt am 25. Mai 2025 im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses auf einem hervorragend gestimmten, wunderbar klingenden Steinway-Flügel die drei letzten Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven – dem Charakter der Werke als Trias entsprechend, ohne Pause – mit zwingender Strenge, jedoch ohne das sperrig grimme, bisweilen kalte, Klavierspiel ihres Mentors Svjatoslav Richter. Herrlich die Anschlagskultur der Ausnahmepianistin, einer bescheidenen Künstlerin, die feinen, differenzierten Nuancierungen, ihr nahezu vollkommene Gestaltung. Hervorzuheben ihre dramatische Präsenz wie tief empfundene Lyrik, genauso wie die kräftige Leidenschaft, mit der sie dynamische Kontraste herausarbeitet, die rhythmische Konsistenz ihres Vortrags am Klavier. Wenn Richter die Konzentration der Interpretation auf das Wesentliche von Beethovens Noten reduziert, gestattet sie sich doch manch‘ freien, überzeugenden rhapsodisch-romantischen Ausflug und gönnt sich einige, klug gesetzte tempi rubati. Als Höhepunkte der Wiedergabe herauszugreifen sind die bachisch anmutend wiedergegebenen Variationen der Sonate Nr. 30 E-Dur op. 109, Gesangvoll, mit innigster Empfindung, das lyrische Fließen im Adagio ma non troppo der Sonate Nr. 31 As-Dur op. 110 und die anschließende, strikte Fuga. Allegro ma non troppo sowie die ungemein verhalten beginnende, gesangvoll daherkommende, dann mehr und mehr gesteigerte, groß aufgetürmte und subtil verklingende Arietta aus der Sonate Nr. 32 c-moll op. 111, wobei Beethovens Satzbezeichnung Adagio molto semplice e cantabile selten so ernst und genau genommen wird wie von Elisabeth Leonskaja an diesem Abend.

Für zwei Sternstunden mit Anton Bruckner sorgt auch noch Riccardo Muti mit den Wiener Philharmonikern. Was den großen italienischen Maestro von anderen Bruckner-Dirigenten unterscheidet, ist eine tief empfundene Innigkeit, mit der er Bruckner dirigiert. Am 16. Februar 2025 im Wiener Musikverein setzt er bei der Symphonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 ganz auf Transparenz und Leichtigkeit, lässt den herrlichen Orchesterklang nur so schweben. Phrasierungen, Übergänge, aufgebaute Steigerungen gelingen ihm aus einem Guss, aus einem nie versiegenden Fluss; Spannungsbögen baut er langgezogen auf, kann diese meisterhaft halten, dass nicht einmal im Ansatz einer davon abzureißen droht. Bei dieser Gangart steht das martialisch Zwingende von Bruckners Musik nicht im Vordergrund, sondern die organisch fließenden Übergänge. Geprägt ist diese Wiedergabe auch von einer schon beinahe vollendeten Schönheit des Klanges: die Wiener Philharmoniker schwelgen förmlich in satten, herbstlichen Farben und die samtig schimmernden Celli und famos abgetönten Tuben vermögen tief zu beeindrucken – wie auch die formidable Gesanglichkeit, die Muti nie aus den Augen lässt. Und Bruckners auch in seiner Messe Nr. 3 f-moll WAB 28 für Soli, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester ausgeprägte, bekennende Gottesverherrlichung wird von Muti mit einer tiefempfundenen Spiritualität erfasst. Spannungsgeladen, mit der nötigen Zeit und schier unendlich differenziert führt er das blendend gestimmte Orchester und die von Ernst Raffelsberger bestens präparierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor durch das impulsreiche Opus, wodurch die liturgischen Texte noch deutlicher erfassbar werden. Inspiriert von Gregorianischen Chorälen wie Messkompositionen von Beethoven und Schubert, bündelt Bruckner diese Messe zu einer durch und durch eigenständigen Komposition, theatralisch, mit säkularen Zügen: selten wird das so deutlich wie am 15. August 2025 bei den Salzburger Festspielen, wenn Muti dieses Meisterwerk in beispielloser Schönheit wie auch reich an Dramatik in ihrer ganzen Größe und Pracht erklingen, erstrahlen lässt.

Mögen uns auch 2026 solche musikalische Highlights im Musiktheater wie im Konzertsaal beschieden sein!

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert