Betrachtungen zum 150. Geburtstag von Franz Schmidt

Der - leider viel zu selten gespielte - österreichische Komponist Franz Schmidt (1874 - 1939)

Der Österreicher Franz Schmidt muss als Prototyp jener offensichtlich benachteiligten Komponisten gelten, deren Name von einem breiten Publikum fast ausschließlich mit einem einzigen Erfolgsstück, meist nicht dem persönlichsten und gelungensten, in Verbindung gebracht wird. In seinem Fall handelt es sich um das von zigeunerisch-rhapsodischen Streichermelos erfüllte Zwischenspiel der zwischen 1903 und 1906 entstandenen, 1914 uraufgeführten Oper „Notre Dame“. Dieses rein instrumentale, zwischen der zweiten und dritten Szene des ersten Aktes eingeschobene, symphonische Intermezzo erklang erstmals bereits 1903 und stellt ein retardierendes Element unmittelbar vor dem ersten dramatischen Höhepunkt der Opernhandlung dar. Die Musik entwickelt eine enorme emotionale Intensität, ist schicksalsschwer gestaltet und wartet mit sparsam dosierten Ungarismen wie üppig instrumentierten, elegischen Fin de Siecle-Kantilenen auf.

Geboren wurde Franz Schmidt am 22.12.1874 im damals noch ungarischen Pressburg, der heutigen slowakischen Hauptstadt Bratislava. Er wurde von Pater Felician Josef Moczik noch in seiner Geburtsstadt in Musiktheorie und Orgelspiel unterrichtet und setzte, nachdem die Familie 1888 nach Wien übersiedelte, seine Studien am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde fort: Komposition bei Robert Fuchs, Violoncello bei Ferdinand Hellmesberger, Klavier bei Theodor Leschetizky sowie Kontrapunkt bei Anton Bruckner. Nach mit Auszeichnung abgeschlossenen Studien wirkte er zunächst 15 Jahre als Cellist im Orchester der Wiener k. u. k. Hofoper, größtenteils unter dem Direktor und Dirigenten Gustav Mahler, und damit auch bei den Wiener Philharmonikern, dem Orchester, das ihm auch heute noch stark verbunden ist und sehr empfindlich reagieren kann, wenn einer der Ihren in frontal bösartigen Verrissen, was die Qualität seiner Kompositionen betrifft, angegriffen wird. Nicht nur als Cellist, sondern auch als Pianist, Dirigent und Hochschulprofessor zählte Schmidt zu den anerkanntesten Persönlichkeiten des damaligen Wiener Musiklebens. 1925 berief man ihn zum Direktor der „Wiener Musikakademie“, von 1927 bis 1931 amtierte er als Rektor der Fachhochschule für Musik und Darstellende Kunst. Versehen mit bedeutenden Auszeichnungen (Ehrendorktorwürde der Universität Wien, Ehrenmitgliedschaft der Wiener Philharmoniker sowie der Titel „Hofrat“) steht zu all diesen beruflichen Erfolgen sein Privatleben in herb schmerzlichem Kontrast. So musste seine erste Frau in einer Nervenheilanstalt behandelt werden, seine einzige Tochter starb kurz nach der Geburt seiner Enkelin, litt er selbst an einer Reihe von Krankheiten und brachte erst seine zweite Ehe mit einer wesentlich jüngeren Klavierschülerin eine gewisse Stabilisierung seines Privatlebens. Einen Schatten auf seine Biographie wirft auch der Umstand, dass er als Komponist in den 1930er-Jahren von den Austrofaschisten wie auch von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurde und sich nicht dagegen gewehrt hatte. Franz Schmidt starb am 11.2.1939 in seinem geliebten Perchtoldsdorf bei Wien. Seine sterblichen Überreste wurden im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins aufgebahrt, die Einsegnung fand in der imperialen Karlskirche statt, seine Beisetzung erfolgte in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Zwischen all den regen beruflichen Betätigungen fand Franz Schmidt auch noch die Zeit, ein nicht wenig umfangreiches Oeuvre an Kompositionen zu schaffen, das, neben der bereits eingangs erwähnten Oper auch noch ein zweites Bühnenwerk, die Oper „Fredigundis“, sowie Orgelmusik, eine stattliche Anzahl an Kammermusikwerken, eine Reihe von Werken für den Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte, sowie an Orchesterstücken, neben den „Variationen über ein Husarenlied“, vor allem vier Symphonien umfasst. In seinen Orchesterwerken erreicht er eine überaus individuelle Synthese aus den verschiedenen Traditionssträngen der deutsch-österreichischen Symphonik, stellt zugleich aber auch einen Eckpunkt in deren Entwicklung, wobei er stets einer, bisweilen an ihre Grenzen geführten, tonalen Harmonik verpflichtet bleibt, dar. Charakteristisch sind dabei eine strenge motivisch-thematische Arbeit, kunstvolle Kontrapunktik, strahlende Bläserchoräle, geistreiche Variationsfolgen und eindrucksvolle Steigerungen – Schmidt selbst verstand sich als traditionsbewusster Fortsetzer der Symphonik von Brahms und Bruckner. Weshalb er heute im Musikbetrieb gerne übersehen wird, mag seinen Grund darin haben, dass beim oberflächlichen, nicht gezieltem Hören wenig persönliche Note zu erkennen sein mag und seine Kompositionen, die immer der Spätromantik verpflichtet bleiben, an Liszt, Brahms, Bruckner, Mahler, Strauss und Reger erinnern.

Sein persönlichstes Werk ist bestimmt die Symphonie Nr. 4, C-Dur, die zwar durchkomponiert ist, jedoch die vier Abschnitte der symphonischen Tradition aufweist – ein Werk speziell für Kenner und Feinschmecker, welches sein Schöpfer als symphonisches Requiem für seine verstorbene Tochter verstanden wissen wollte. Speziell die Wiener Philharmoniker spielen auch gerne seine Symphonie Nr. 2, Es-Dur, dreisätzig, gewidmet dem Dirigenten und Direktor der Wiener Staatsoper Franz Schalk, trotz der heroischen Tonart eine Art „Pastorale“. Den triumphalen Bläserchoral am Ende begleiten schaurige Töne des Tamtam, jenes Todesinstrumentes der romantischen Musik, wo man bereits eine Vorahnung auf den Schwanengesang von Franz Schmidt erkennen kann, nämlich auf jenes Werk, das nach sieben ekstatischen Halleluja-Rufen ebenfalls mit einem Tamtam-Schlag im Nichts verebbt: Das imposante Oratorium aus der Offenbarung des Heiligen Johannes „Das Buch mit sieben Siegeln“, womit er zu archaisierenden polyphonen Formkonstruktionen zurückfinden sollte, ist gewiss sein großartigstes, bestes, bedeutendstes Werk, dessen packenden akustischen Bilder, die stilistische Komplexität einer Wendezeit wie seine extremen Gegensätze für Nikolaus Harnoncourt schlicht „eine unglaubliche Vertonung eines unglaublichen Textes“ darstellen. Herbert von Karajan lehnte es zwar ab, Schmidts tönende Apokalypse zu dirigieren, das sei „verspätete Romantik“, bezeichnete aber den genuin österreichischen, verschwenderisch luxuriösen, aufrauschen Orchesterklang von Franz Schmidt treffend als „Alte-Welt-Wärme“.

Wer die Musik dieses spannenden Komponisten auf CD hören möchte, dem seien an Einspielungen empfohlen: „Notre Dame“ unter Christof Prick – der im amerikanisch-englischen Sprachraum unter dem Nachnamen Perick auftritt – mit Gwyneth Jones, James King und Kurt Moll exzellent besetzt; Die „Variationen über ein Husarenlied“ in einer frühen Aufnahme von Franz Welser-Möst mit London Philharmonic; die zweite Symphonie mit den im Klang schwelgenden Wiener Philharmonikern unter Semyon Bychkov; die vierte Symphonie mit den exquisiten, höchst transparent aufspielenden Berliner Philharmonikern unter dem analytischen Kirill Petrenko sowie „Das Buch mit sieben Siegeln“ hervorragend unter dem den Werk auf dessen Essenz spürenden Nikolaus Harnoncourt, den Wiener Philharmonikern, dem Wiener Singverein und Kurt Streit. 2020 hat die DGG eine hörenswerte Gesamtaufnahme der vier Symphonien mit Paavo Järvi und dem HR – Sinfonieorchester Frankfurt auf den Markt gebracht.

Schade nur, dass in Wien, der Stadt seines Wirkens, weder im Musikverein noch im Konzerthaus Werke von Franz Schmidt um seinen 150. Geburtstag auf den Programmen zu finden sind.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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