Die Deutsche Oper Berlin zeigt eine Neuproduktion von TRISTAN UND ISOLDE, Richard Wagners 1865 in München uraufgeführte Musikdrama, das der Komponist selbst als „Handlung in drei Aufzügen“ titulierte: diese Neuproduktion stellt eine Koproduktion mit dem Grand Thèatre de Genève dar, dessen Intendant Aviel Cahn mit Beginn der Spielzeit 2026/27 an das Haus in der Bismarckstraße wechselt.
Für den nach dieser Saison scheidenden Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Sir Donald Runnicles, bedeutet dieses Stück „in seiner emotionalen Unbedingtheit ein Werk, das Dirigent und Orchester, Sänger:innen und Publikum zu einem gemeinsamen Erleben miteinander verschmelzen lässt“. Mit der ganzen Souveränität seines Dirigentenlebens waltet der Dirigent am Pult des am Abend des 16. November 2025 in allen Instrumentengruppen ausgezeichnet disponierten Orchesters der Deutschen Oper Berlin – hervorzuheben das herrliche Holz mit betörenden Klangfarben – und vertraut ganz auf die Sogwirkung von Wagners süchtig machender Musik, ohne dabei jemals die Bühne aus den Augen zu verlieren und die Sänger:innen wo nur möglich zu unterstützen, ja auf Händen zu tragen. Vom verhaltenen Beginn des Vorspiels bis zum rauschhaft gesteigerten Schluss spannt Runnicles einen nie abreißenden Spannungsbogen, Wagners Kosmos in all‘ seinen Nuancen wie ganzen Tiefe erfassend. Der Klang entfaltet sich bisweilen magisch, Wagners feinnervige wie gleichsam äußerst leidenschaftliche Musik wird hier gleichsam durch starke Akzente wie subtile Feinheit verwirklicht, die Spannung der betonten Chromatik besitzt eine natürliche Vitalität und wird auch durch enorme Energieaufladung erzielt.
Die Stimmen fügen sich an diesem Abend wunderbar in dieses Konzept ein. Der Chor der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von Jeremy Bines, steuert im ersten Akt starken Chorgesang bei, sehr gut besetzt sind bereits die kleinen Rollen – Dean Murphy (Melot), Paul Minhyung Roh (Steuermann), Kangyoon Shine Lee (Seemann) und Burkhard Ulrich (Hirt). Thomas Lehman verfügt als Kurwenal über einen kräftigen Charakterbariton. Exemplarisch in Gestaltung und Wortdeutlichkeit, Stimmkultur und warmer Bassfülle singt Georg Zeppenfeld klang- und gesangvoll einen ergreifenden König Marke. Nach etwas zögerlichem Beginn lässt Irene Roberts als Brangäne betörende, volle Mezzosoprantöne vernehmen.
Jede Aufführung des Werkes fällt und steht naturgemäß mit den beiden Hauptrollen, die zu den schwersten Aufgaben des Musiktheaters überhaupt zu zählen sind. Clay Hilley als Tristan verfügt über einen hellen, durchaus kräftigen, mehr und mehr in Richtung Heldenfach entwickelnden, bestens fokussierten Tenor, der enormes Gefühl für die leisen Töne wie die ungeheuren Zwischentöne dieser fordernden, komplexen Partie entfalten und auch noch im gefürchteten dritten Akt die nötigen Kraftreserven für diese parforce tour aufbringen kann. Abgründig rollenimmanent gerät seine gezielte Deklamation zu Beginn des dritten Aktes, sein letztes „Isolde“ entschwebt förmlich seinem Herzen, seiner Seele, zuvor kämpft er sich heldenhaft mit martialischen Stentortönen durch die Partie, überragend seine Textbehandlung. Und gespannt war man vor allem auf Elisabeth Teige als Isolde, die sich am besten Weg hin zu einer hochdramatischen Sopranheroine befindet. Ihre jugendlich-dramatische Sopranstimme besitzt bereits über ausreichend Kraft für die schweren Gesangslinien. Ihre gefühlvolle Interpretation geht in Richtung einer noch mädchenhaft jungen, aber bereits großen Liebenden. Diese Sängerin vermag mit großen Gesangslinien und ausgezeichnet geführter Stimme zu beeindrucken, hat hörbar an Artikulation und Textverständlichkeit gearbeitet, und krönt ihre Leistung mit einer berührenden, zu Herzen gehenden Verklärung, einem sanften Verglühen gleichkommend. Alle Ausführenden werden zum Schluss vom Publikum zu Recht lautstark und stürmisch gefeiert.
„Aber auch heute noch suche ich vergeblich nach einem Werk, das die gleiche gefährliche Faszination, die gleiche beängstigende und süße Unendlichkeit hat wie Tristan und Isolde.“ – schreibt Friedrich Nietzsche in seinem „Ecce homo“ – und geht der deutsche Regisseur Michael Thalheimer dem Wesen von Wagners Liebesepos „Tristan und Isolde“ schnörkellos, direkt, strikt auf den Grund. Im kargen Bühnenbild von Henrik Ahr – es gibt nichts außer einer Rückwand mit zwischendurch von dunkelorangerot bis weiß gleißend leuchtenden Scheinwerfern und einem schwarzen Block, mittels Elektronik kann die Leuchtwand vom Schnürboden nieder- bzw. hinaufgesenkt werden – vertraut der Regisseur blind Wagners überragender, sehnsuchtstrunkener Musik, weshalb sich dieses „Adagio der Nacht“ (Ernst Bloch) bis zum „zweimal einsamen Tod“ (Nike Wagner) der beiden Protagonisten zwingend entfalten, den Zuschauern beinahe schon überdeutlich vermitteln kann. Michaela Barth steuert zeitlose, äußerst geschmackvolle, ästhetische Kostüme bei, die Lichtregie von Stefan Boliger ist grandios stimmig wie ausgesprochen plastisch geraten, ganz auf grandiose Musik abgestimmt. Ohne Rahmen- wie Zusatzhandlungen, Verdoppelungen, Videos oder Choreografien entwickelt und erzählt Thalheimer einfach das Stück aus der Musik, die „Handlung“ wird dabei quasi seziert, weil der Regisseur auch die Requisiten auf das Wesentliche reduziert. Im ersten Akt schleppt sich Isolde mit einem Seil auf die Bühne, im dritten Akt Tristan: Schwer ziehen sie, leiden sie an der Last ihrer unentrinnbaren Liebe, an der sie schließlich beide zugrunde gehen. Brangäne bringt während der Konfrontation der Liebenden ein Glas Wasser – synomym für den Trank, den es nicht braucht, dass sich Tristan und Isolde endlich ihrer Gefühle füreinander bewusstwerden, sich diese eingestehen. Mit einem Messer schlitzen sie sich auf dem Höhepunkt im zweiten Akt die Pulsadern auf, es hilft alles nichts, noch können sie nicht sterben. Der Tod kommt erst im dritten Akt – wenn Tristan an der Wunde stirbt, nachdem er selbst in dieses Messer (Melots) gerannt ist, nachdem sich Isolde damit die Halsschlagader aufgerissen hat, um in „unbewusst höchster Lust“ zu vergehen. Wann war ein Regisseur in den letzten Jahren in solch‘ einer direkten Einfachheit, im Grunde mit einem szenischen Nichts, näher an Wagners „opus metaphysicum“ (Friedrich Nietzsche)? In Thalheimers Regiearbeit entfalten sich die Spannungen und Beziehungen der handelnden Personen nur in Gestik und Mimik, auch die klare Personenregie wie die meisterhafte Personenführung bleiben während des ganzen Verlaufes des Geschehens äußerst zurückgenommen. Thalheimer gelingt es dennoch, eine enorme szenische Intensität über die fünf Stunden Werkdauer inklusive zweier Pausen zu erzielen und auch zu halten, bisweilen im szenischen Stillstand wirkt der ganz große Zauber von Wagners wahrscheinlich intensivster Musik noch stärker als sonst. Jede Geste gewinnt an Bedeutung in diesem Raum, der Seelen- und Handlungsraum ist, zentriert ist der Brennpunkt auf die innere Bewegung der handelnden Personen, geprägt durch einen äußerst präzisen, bereits extremen Minimalismus. Diese Inszenierung zeigt in der Tat zwei sich nacheinander sehnende Menschen, die nicht am Tag, sondern nur in der Nacht, also im Tod, zusammenkommen.